Alexa Clay: "Trends sind Dinge, die wir alle spüren"

10 Fragen zur Zukunft an Alexa Clay. Sie möchte unsere Gesellschaft und Wirtschaft durch die Integration von Subkulturen und dem dort vorhandenen “Street-know-how” verändern – wie erfahren Sie beim Future Day 2016.

1. Welcher Trend wird die Zukunft viel stärker prägen als wir denken?
Ich denke, dass die Zukunft der Arbeit maßgeblich von den normalen Bürgern beeinflusst sein wird. Die Möglichkeiten, mithilfe von Do-it-yourself-Konzepten und Open-Source-Technologien Konsumenten in Produzenten zu verwandeln, werden uns noch viel unabhängiger von Großkonzernen machen. Außerdem wird die zunehmende Suche nach individuellem Lebenssinn die Struktur von Firmen und Communities grundsätzlich verändern. Ich arbeite gerade an einem Forschungsprojekt, das sich mit neo-tribes beschäftigt. Ich frage mich, ob wir nicht schon evolutionär zu weit fortgeschritten sind für die Massenkonsum-Gesellschaft.

2. Was ist Ihrer Meinung nach ein überschätzter Trend?
Ich werde das Gefühl nicht los, dass die 3D-Druck- und Big-Data-Hypes übertrieben sind und den nötigen Weitblick vermissen lassen. Ich denke, dass die alten großen Fragen nach wie vor die wichtigsten sind: Wie organisieren wir unsere Gesellschaft, und wie wollen wir Eigentum verteilen? Schauen wir uns Facebook an: Es sind unsere privaten Daten, die Facebook rentabel und ständig reicher machen, trotzdem haben wir keinerlei Anteil an den Gewinnen oder der Firma. Ich würde mir deshalb wünschen, dass wir öfter ethische Fragen an die Technikkonzerne stellen.

3. Was wird in unserer Gesellschaft in 20 Jahren anders sein?
Ich denke, eine der großen Fragen der nächsten Jahre ist, ob wir es wirklich schaffen können, Weltbürger zu sein, oder ob wir nicht stattdessen den Fokus auf die Entwicklung von Mikro-Gesellschaften und kleinen Communities legen sollten. Ich habe das Gefühl, wir sind jetzt schon alle Teil einer Globalkultur, in der jeder in seiner eigenen kleinen Seifenblase lebt und nicht wirklich viel Kommunikation zwischen diesen Seifenblasen existiert. Die Frage ist also, ob sich dieser Trend weiter verstärken wird, oder ob es uns gelingt, eine Welt-Gemeinschaft zu erschaffen.

4. In welcher Form beeinflussen Trends Ihre Arbeit?
Trends sind mehr als cool klingende Begriffe. Trends sind Dinge, die wir alle spüren, die unseren Alltag beeinflussen. Der Ölpreis beeinflusst den generellen Zinssatz, der Zinssatz beeinflusst das Wirtschaftswachstum, und das Wirtschaftswachstum beeinflusst unsere Kulturwahrnehmung. Falls die Wirtschaft zu schnell wächst, fühlen wir uns vielleicht nervös, fremd und werden vom Strom mitgerissen. Falls die Wirtschaft stattdessen stagniert, werden wir depressiv, konservativ und sehnen uns nach “der guten alten Zeit”. Auch ich bin ein Produkt von Trends: Als Teil der Generation Y und digitale Nomadin habe ich keinen wirklichen “Platz” in der Welt – stattdessen verfolge ich einen flexiblen, lern- und erlebnisfokussierten Lebensstil. Meine gesamte Karriere besteht daraus, ständig in neue Subkulturen einzutauchen und zu untersuchen, was man von diesen lernen kann – seien es Hacker, Gangster, Öko-Hippies oder New-Age-Spritiualisten.

5. Wann hat Sie ein Trend zum letzten Mal so richtig überrascht?
Mich als Kind der Postmoderne hat der Trend, plötzlich wieder “back to the roots” zu gehen und nach simpleren Lebensformen zu suchen, sehr überrascht. Plötzlich wollen junge Menschen wieder ländlich leben und entwickeln ein neues Heimatgefühl. Das zu sehen, war für mich eine sehr angenehme Überraschung.

6. Welche Prognose der vergangenen Jahre lag am meisten daneben?
Die Subprime-Hypotheken-Krise war eine große Verfehlung seitens des Finanzsektors. Außerdem glaube ich, dass wir noch viele Flops in den Bereichen digitale Technik und Startups sehen werden. Auch das Konzept der Werbung fühlt sich wie ein Auslaufmodell an. Der größte Flop ist meiner Meinung nach aber der Irrglaube, dass technischer Fortschritt das Leiden der Menschheit beenden würde. Wir stecken zu viel Energie in technische Spielereien, die nichts für den Fortschritt der Menschheit tun, weil wir der Technik-Illusion auf den Leim gehen.

7. Wer ist Ihr Lieblingsdenker zum Thema Zukunft?
Ich mag Douglas Rushkoff sehr gerne und fühle mich Künstlern wie Anais Nin oder Black Elk sehr verbunden. Die zeigen uns erst, was es heißt, menschlich zu sein – ein wagemutiges, ehrliches Leben zu führen und sich vom Cartesianismus loszusagen. Und damit sind sie nicht nur ein Vorbild für ihre Generation, sondern auch für alle nach ihnen.

8. Welche Innovation wünschen Sie sich?
Dass Innovatoren mehr an die soziale Gerechtigkeit denken, und dass all die kreativen Talente, die sich in den Subkulturen verstecken, eingeladen werden, Teil der Innovationsgesellschaft zu werden. Im Moment liegt eine Menge Geld bei billigen Silicon-Valley-Kopien, aber die wirklichen Unternehmer finden sich oft im Untergrund – hier wird ohne Subventionen und ohne Gesetzesschutz Wirtschaft gemacht. Leider werden diese Personen meist nicht einmal als Unternehmer anerkannt. Aber wer auf der Straße Drogen verkauft, der weiß bereits eine Menge darüber, wie man Kunden anlockt, sich auf dem Markt behauptet und wie wichtig Qualitätsstandards sind. Deshalb würde ich mir wünschen, dass wir mehr Menschen aus dieser Schattenwirtschaft einladen, Teil des aktuellen Unternehmer-Trends zu werden.

9. Was treibt Sie zur Verzweiflung?
Die Aufmerksamkeitsgesellschaft. Ich fühle mich von der ständigen Informationsflut überfordert. Dieser nie endende Strom an Daten steht nicht nur mir, sondern auch dem allgemeinen Fortschritt im Weg. Man kann heutzutage so sehr im Konsum-Meer aufgehen, sich von Trend zu Trend spülen lassen, dass man am Ende völlig vergisst, dass man auch selbst seinen Teil für eine bessere Zukunft tun kann. Und es macht mir Sorgen, wenn sich so viele Menschen ihres eigenen Potenzials nicht mehr bewusst sind.

10. Was gibt Ihnen Anlass zur Hoffnung?
Die jungen Menschen voller Energie und dem Willen, die Welt zu verbessern, die scheinbar immun gegen die Apathie älterer Generationen sind. Ich habe den Eindruck, dass die Generationen zunehmend zusammenrücken und ihre Ideen in einer Art und Weise, die es früher nicht gab, zusammentragen können. Und die Vorstellung, neue Wirtschaftssysteme, die zu diesen neuen Denkweisen passen, zu errichten, ist doch aufregend!

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Fragebögen

10 Fragen

Wie sieht unsere Zukunft aus? 10 Fragen an prominente Forscher und Denker zu unterschätzten und überschätzten Trendprognosen, Überraschungen in ihrem eigenen professionellen Umfeld, Wünschen, Sorgen und Hoffnungen rund um das Thema Zukunft.

Dossier: Technologie

Dossier: Technologie

Was vor wenigen Jahren noch als visionäres Raunen durch die Fachpresse ging, ist jetzt Alltag geworden: das Internet der Dinge. Das digitale Leben hat den Desktop-Computer endgültig hinter sich gelassen und lässt sich in jedermanns Hosentasche herumtragen. Digitale und analoge Realität verschmelzen zunehmend zu einer, was auch eine langfristige “Technisierung” unserer Lebenwelt bedeutet.

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