Gegen das Betriebssystem

„Leben im Büro“: Christoph Bartmann blickt auf die verinnerlichte Bürokratie und die Schattenseiten des Megatrends New Work – und sagt, was trotzdem hilft.

Von Cornelia Kelber (09/2015)

Christoph Bartmann arbeitet als Direktor beim Goethe-Institut in New York. In seiner Funktion als Angestellter einer öffentlichen Einrichtung analysiert er „Die schöne neue Welt der Angestellten”. Es ist kein optimistisches Buch, eher eine düster gehaltene Gegenwartskritik im Feuilleton-Stil, und doch hält es, wie jede gute Kritik, Zukunftspotenzial bereit: Die Entwicklung des modernen Verwaltungsapparates, vom „Scientific Management“ des Taylorismus bis hin zur Wiedergeburt der alten Bürokratie in der Maske des „New Public Management“, bringt in Bartmanns Augen ständige Evaluationen, Qualitätskontrollen und Zielvereinbarungen der gegenwärtigen Bürokratie mit sich. Dazu kann es nur eine Alternative geben: eine neue Arbeitskultur des Vertrauens und der Verantwortung.

Der Autor holt zunächst einmal ziemlich weit aus: In Franz Kafkas „Der Prozess“ von 1915 sieht sich der Literaturwissenschaftler Bartmann an die Abgründe der modernen Bürokratie herangeführt. In Kafkas Werk erfährt der Bankprokurist Josef K., dass er gerichtlich angeklagt wurde - aber nicht, warum: ein Spiegel für das Wirken der Bürokratie als rätselhafte Macht in der wirklichen Welt. Bartmann deutet den „Prozess“ als dunkle Vorausahnung dessen, was wir als „Prozessmanagement“ der heutigen Beraterliteratur kennen. Kafkas „Prozess“ steht für Bartmann an der Schwelle zwischen Disziplinar- und Kontrollgesellschaft, eine Transformation, die die Arbeitswelt für immer veränderte.

Das moderne Büro war eine geniale Innovation von Ingenieuren wie Frederick Taylor und Henry Gantt. Ihr Design von Prozessen und Arbeitsabläufen Anfang des 20. Jahrhunderts prägte das Berufsleben vieler Generationen. Steigerung der Produktivität war oberstes Gebot, das Menschenbild mechanistisch: „Der Mensch war in der Welt des Büros noch nicht erfunden“, schreibt Bartmann. Doch in den 70er-Jahren hielt der Mensch mitsamt seiner Psyche Einzug. Das Büro verwandelte sich in der Folge von einem Ort der Sachlichkeit und Effizienz in einen Ort der Selbstverwirklichung. „Taylorismus“ wurde mit dem Siegeszug der Psychologie gleichsam zum Schimpfwort. In der öffentlichen Verwaltung kam rund 20 Jahre später das „New Public Management“ angelsächsischer Prägung in Mode. Ämter, Verwaltungen und Behörden, so lautete das Credo, sollten sich ab sofort gefälligst als Dienstleister verstehen – eine Bewegung, der wir unter anderem die Umbenennung von „Arbeitsamt“ in „Agentur für Arbeit“ verdanken.

New Public Management, kurz NPM, brachte es mit sich, dass den Angestellten öffentlicher Einrichtungen auch ein neues Selbstbild verschrieben wurde und zwar vom Beamten zum Business-Punk. Allein, wie Bartmann einwendet: Wer Business-Punk werden möchte, schlägt nicht unbedingt die Beamtenlaufbahn ein und dieser sogenannte Bürokratieabbau sei selbst nichts anderes als Bürokratie.

Eindringlich schildert Bartmann die Schattenseiten des Megatrends „New Work“. Mit dem Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft wandelt sich die Bürokratie von einem System äußerer Regeln und Vorschriften hin zu einer „verinnerlichten“ Bürokratie. Anstatt von außen bestraft beziehungsweise belohnt zu werden, rechtfertigt sich der neue Angestellte des 21. Jahrhunderts permanent vor sich selbst. Für ihn sind Herrscher zu Helfern geworden; er wird nicht von Autoritäten, sondern von seinen eigenen Werkzeugen gesteuert. „Die bürokratische Kontrolle (...) ist, weit über den Computer hinaus, zu unserem Betriebssystem geworden – und wie wollte man sich Opposition gegen ein Betriebssystem vorstellen?“ klagt Bartmann und tut doch in seinem Buch genau das: Die Bürokratie kritisieren, die zu unserem Betriebssystem geworden ist.

Christoph Bartmann: Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten. Carl Hanser Verlag (2013) 

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