Der kreative Aufstand gegen die Verödung der Innenstädte beginnt - und stellt Einzelhandel wie Stadtentwickler vor große Herausforderungen
Handel im Wandel: Love Your City
Das Flächenwachstum im konventionellen Einzelhandel stößt an seine Grenzen. „Wir haben etwa 25 Prozent zu viel Ladenfläche in Deutschland“, gesteht etwa Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub im Interview mit der Tageszeitung Die Welt (25.11.2012) und mahnt „die längst überfällige Konsolidierung des Einzelhandels“ an. Oliver Samwer, seines Zeichens Internet-Unternehmer und Zalando-Investor, polterte auf dem Tengelmann e-day 2013, einer Fachveranstaltung für E-Commerce, gar: „80 Prozent der Offline-Händler werden nicht überleben!“
Das ist Wasser auf die Mühlen all jener, die dem stationären Handel keine rosige Zukunft prophezeien. Die Konkurrenz aus dem Internet, aber auch hausgemachte Probleme wie Factory Outlet Center ziehen Kaufkraft dort ab, wo früher das Flanieren und spontane Kaufimpulse die Eckpfeiler der westlichen Konsumkultur markierten: in den Fußgängerzonen. Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands „Das Internet wirkt wie ein Brandbeschleuniger im Strukturwandel des Handels“ Baden-Württemberg, brachte die Herausforderungen auf dem Handelsimmobilien-Gipfel 2013 auf den Punkt: „Das Internet wirkt wie ein Brandbeschleuniger im Strukturwandel des Handels.“
Die Verödung der Innenstädte ist kein Hirngespinst des notorisch unzufriedenen Kaufmanns. Der schleichende Zerfall gewachsener Einzelhandelsstrukturen ist überall spürbar. Klein- und Mittelstädte sind zweifelsohne stärker betroffen als Oberzentren oder Großstädte. Aber auch Letztere, etwa München, kompensieren die Abwanderung lokaler Kaufkraft vor allem durch ihre touristische Anziehungskraft, die Geld in die Kassen der Einzelhändler spült.
Kreative Zerstörung schafft Innovationen
Lokalpolitikern, Investoren und City-Managern ist der Abgesang auf den stationären Handel ein Dorn im Auge. Insbesondere dort, wo die jüngere Handelsgeschichte mit dem Siechtum des Warenhauses tiefe Krater gerissen hat, ziehen mittlerweile „Wutbürgermeister“ ins Feld, um sich mit neuen Vermarktungskonzepten gegen starres Baurecht, insolvente Immobilieneigentümer und Leerstände zur Wehr zu setzen.
Im Schumpeterschen Sinne aber erleben wir gerade den Beginn der kreativen Zerstörung der klassischen Einzelhandelslandschaft. Das heißt: Jenseits des Discounts entdeckt man auch aufregende neue Flächenkonzepte – von Convenience Stores über Konzeptläden und Pop-up-Stores bis hin zu den ersten stationären Tuchfühlungen einstiger Online-Pure-Player wie MyMuesli, Bonobos oder Notebooksbilliger.de.
Allerdings ist auch klar: Für bestimmte Warenkategorien präferieren Kunden – aus guten Gründen – künftig den Einkauf im Netz. Und so wird man vor allem bei der Innenstadtentwicklung für Klein- und Mittelstädte alle Register ziehen müssen, will man beispielsweise inhabergeführte Fachgeschäfte vor Ort halten oder ansiedeln.