Quereinsteiger sorgen für frischen Wind und kreative Konzepte im Handel. Ihr Hobby ist ihre Passion, monetäre Aspekte sind für Hobby Professionals zweitrangig – genau das macht sie einzigartig, authentisch und erfolgreich.
Retail Report 2017
Hobby Professionals

In der heutigen Kreativökonomie verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Sinn gilt als wichtiges Credo – jeder sucht ihn, einige finden Erfüllung im Job. Andere leben ihre Interessen – auf den ersten Blick klassisch – außerhalb der Arbeitszeiten aus. Auf den zweiten Blick verwandeln immer mehr Kreativarbeiter diese Leidenschaft in innovative Business-Modelle. Sie sind das Salz in der Suppe des Handels, denn diese Entrepreneure bringen nicht die übliche Ausbildung und alles andere als traditionelle Denkansätze mit.
Diese Händler mögen sich nicht an den gängigen Geschäftszeiten orientieren, aber lassen es nicht an Leidenschaft mangeln. Sie sind die Grenzgänger des Retails und passen nicht in die typische Unternehmens-Startup-Matrix. Mit ihren persönlichen Geschichten, ihrer “Selbstverwirklichungs-Mentalität“ und ihrer Kreativität schaffen sie neue Impulse für den Handel, die auch große Handelskonzerne antreiben können.
Vom Traum zum Business
“Ich würde das nicht als Startup bezeichnen”, sat der Gründer des Online-Weinhandels Zeitwein. Hauptberuflich ist Florian Bolte in einer Werbeagentur tätig, nebenbei verkauft er Freunden und Freunden von Freunden (und damit einem großen Teil Berlins) seinen Wein, den er sich von Winzern individuell für jede Saison zusammenstellen lässt. Es sind diese individuellen Geschichten der Sinnsuche und Selbstverwirklichung, die den Handel heute besonders lebendig machen. Viele Startups sind aufgrund dieser hochgradig persönlichen Intention, etwas selbst, anders oder besser zu machen, entstanden. Tatsächlich wird Roland Berger zufolge alle 20 Stunden in Deutschlands Hauptstadt ein Internetunternehmen gegründet.
Startup ist heute nicht mehr Startup. Mittlerweile tauchen innerhalb des Startup-Geflechts immer mehr Unternehmen auf, die weniger mit einer cleveren Idee finanziell erfolgreich werden wollen, sondern von emotionalen Erlebnissen und Träumen getrieben werden. Geld wird woanders verdient. Die Hobby Professionals haben selten den Anspruch, sich zu einem großen Unternehmen zu entwickeln oder von einem Big Player aufgekauft zu werden. Aus diesem Grund legen sie besonders unerschrockene Kreativität an den Tag und bringen vor allem sich selbst als Marke auf den Markt.
Dass dieses Prinzip funktioniert, sieht man an neuen Erfolgsformaten wie der TV-Serie “Die Höhle der Löwen“, die erfahrene Investoren und Geschäftsführer mit Ideengebern und Träumern zusammenbringt. Mit durchschnittlich zwei Millionen Zuschauern begeistern die persönlichen Geschichten und Gesichter der ”Erfinder“. Dies führt sogar dazu, dass einige Ideengründer auch ohne Investorenglück in der Show erfolgreich wurden, eben weil sie positiv und sympathisch aufgefallen sind. Ein besonderes Erfolgsphänomen ist die Geschichte des mittlerweile 14-jährigen Mo, der im US-amerikanischen TV-Format “Shark Tank“ seine handgenähten Fliegen aus Stoff präsentierte. Der Teenager trägt seine Fliegen selbst jeden Tag, mit der Überzeugung, damit die Welt ein Stück weit “eleganter“ zu machen.
Ganz im Kontrast zu globalen Konzernen sind diese Verkäufer Menschen auf Augenhöhe, deren Kreativität und Authentizität glaubwürdig ist. Den Traum, sich selbst zu verwirklichen, kennt man in der neuen Arbeitswelt eben nur zu gut. Mittlerweile haben laut Statistischem Bundesamt fünf Prozent der Deutschen einen Zweitjob – und das nicht nur aufgrund finanzieller Notwendigkeit. Laut einer Umfrage von TNS Emnid im Auftrag der Deutschen Vermögensberatung Ende 2012 zählte bereits für 55 Prozent der nebenberuflich Tätigen vor allem der Spaß an der Arbeit.
Dass sich dieses Prinzip auf viele Menschen übertragen lässt, zeigt der Erfolg von Plattformen wie Descape.com, die es jedem ermöglichen, für einen Tag in einen anderen kreativen Job einzutauchen. Zum Beispiel als Weinverkäufer oder Modedesigner mit eigenem Laden.
Die Marke bist Du: Echte Emotionen
Die Beispiele verdeutlichen, dass das eigene Gesicht zur wichtigsten Marke wird. Die persönlichen Geschichten der Hobby Professionals schaffen eine neue Wertigkeit, die viele Großhandelsunternehmen nicht bieten können. Vorzugsweise wird über digitale Kanäle und vor allem Social Media emotional kommuniziert, denn dort finden die privaten Informationen eine gute Basis für virale Verbreitung. Der “Ich habe einen Traum“-Gedanke und die Liebe zum eigenen Produkt schaffen dabei manchmal mehr Begehrlichkeit bei den Kunden als die bekannte Marke oder die Stückzahl.
Die Limitierungen in der Produktvielfalt und der Vorratsmenge sind für die Hobby Professionals nicht unbedingt ein Hindernis, sondern unterstützen sogar die authentische Geschichte und eine Exklusivität, die in Zeiten des Überflusses Die Handelsbranche wird auch in Zukunft dem Individuum immer mehr Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung geben können. nicht leicht zu erreichen ist. Das mit Liebe Handgemachte oder Ausgesuchte wird zu einer neuen Form eines Konsums, die man gerne bewusst auswählt, auch wenn die Vertriebswege weit weniger kundenmaßgeschneidert sind, als es große Omnichannel-Anbieter leisten können.
Trendprognose
Die Handelsbranche wird auch in Zukunft dem Individuum immer mehr Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung geben können. Nicht nur über kostengünstige Online-Plattformen, auch offline finden sich innovative Konzepte, die mit neuen Pop-up- und Location-Management-Lösungen ermöglicht werden. Und auch die Unternehmen der neuen Arbeitswelt räumen ihren Mitarbeitern immer mehr Freiheiten ein, die Hobby Professionals für sich nutzen, um die Handelswelt mit neuer Kreativität zu bereichern.
Große Handelsunternehmen können von den leidenschaftlichen und authentischen Konzepten lernen – sei es in Bezug auf emotionales Storytelling und den Mensch als Marke oder in Bezug auf ungewöhnliche neue Formate und Plattformen, die ein Produkt auf andere Wege in die Herzen und Köpfe der Kunden bringen.