Neugier-Management: Flamme vs. Fake

Anderthalb Jahre nach dem Erscheinen der Studie „Neugier-Management“ stellt sich die Frage: Wie ist es der Neugier ergangen? Die Antwort fällt ambivalent aus.

Illustration: simoneleitenberger.de

Im Herbst 2014 stellten Carl Naughton von der Braincheck GmbH und Andreas Steinle, Geschäftsführer der Zukunftsinsitut Workshop GmbH, eine Studie zum Neugiermanagement vor. Sie belegte mit einem Mix aus aktuellen Forschungsergebnissen und wirtschaftlichen Initiativen die Wichtigkeit des explorativen Verhaltens. Es war die erste Veröffentlichung überhaupt, die sich dem Thema „Neugier“ in einem ernsthaften Kontext näherte und die Relevanz dieser mentalen Ressource für den wirtschaftlichen Erfolg offen legte.

Nun, gut anderthalb Jahre später, stellt sich die Frage: Welches Interesse hat sich an der „Neugier“ und durch sie entwickelt? Das erste Fazit: Es haben sich sowohl Licht und Schatten rund um dieses Thema vermehrt.

Ein Spotlight bildet das archäologische Museum in Monrepos. Die Arbeit am Ausstellungskonzept beeinflusste bereits maßgeblich die Entstehung der Neugier-Studie, seit 2016 bietet das Team sogar eine Management-Führung an. Denn, so formulierte es die Monrepos-Sprecherin Constanze Kamm in einem Interview: „Die Strategien (der Urzeitmenschen) haben sich auf unserer Festplatte eingebrannt.“ Der Neugier, samt Führung, ist dabei ein ganzer Raum gewidmet: Verhaltenslehren aus der Urzeit als Erkenntnisreise zu zukunftsorientiertem Handeln.

Bereits Ende 2015 lud das Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung in Rheinland Pfalz dazu ein, „Neugiermanagement“ im Zeichen von „Kulturwandel als Unternehmensstrategie“ zu diskutieren. Das Event mit Impulsvortrag, anschließenden Talkrunden und abschließendem Kamingespräch fokussierte auf Neugier als Treibstoff für die Innovationskraft insbesondere von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Ministerin Evelyn Lemke fasste es wie folgt zusammen: „In dem Impulsvortrag und den nachfolgenden Diskussionen wurden den Unternehmen viele Anregungen und Handlungsempfehlungen gegeben.“

Die Firma Covestro, ehemals Bayer MaterialScience, hat mit ihrer Umfirmierung die Neugier zu einem der drei zentralen Unternehmenswerte gemacht. Das ist wohl nicht "‚Das kennen wir alles schon’ gilt für uns nicht" direkt der Studie geschuldet, doch es ist ein Zeichen der Zeit. Das Unternehmen formuliert nämlich exakt den Anspruch, der den Kern der Studie bildet: „Bei Covestro glauben wir nicht an ‚Business as usual’. ‚Das kennen wir alles schon’ gilt für uns nicht. Wir begrüßen unkonventionelle Ansätze und Blickwinkel. Wir möchten Ihren ganz eigenen Blick auf die Dinge erkunden.“

Neugier als Unternehmenswert, als Managementskill, als politischer Wirkweiser: Neugier ist ein Thema geworden. Seit der Studie haben wir mehr als 200 Vorträge und Workshops dazu auf die Beine gestellt. Neugier wirkt.

Doch wo viel Licht, da auch viel Schatten: Was seit 2014 mit dem Neugier-Begriff in der Beratung passiert, gleicht einer misslungenen Kochshow. Seit dem Erscheinen der Studie haben unterschiedlichste Berater das Thema für sich entdeckt – oft jedoch, ohne mit den richtigen Zutaten ein ernst zu nehmendes Menü zu entwickeln. Stattdessen passiert etwas, das in der Rezeptwelt taugt, in der Beratungswelt jedoch einen faden Beigeschmack hinterlässt: Es wir nachgekocht. Etwa in Form von Blog-Einträgen, die sich dem genauen Wortlaut der Studie bedienen und so auf neu gefundene eigene Themenkompetenz aufmerksam machen wollen.

Ebenfalls vermeidenswert: die Headline „Neugierkultur“ zu nutzen, um dann die oberflächlich verstandenen Studienergebnisse in das eigene Beratungsangebot zu integrieren. Das Resultat: eine Mischung, die „Neugier“ heißt, aber nur klassische Kreativitäts- und Personalentwicklungsstools mit ein bisschen geliehenem Wissen angereichert hat. In der Beratung – und in der Folge in den Unternehmen – passiert so, wovor die Studie warnt: auf das Neue mit Altem reagieren. Denn hier gilt nur: Eine neue Verpackung soll helfen, Altbekanntes zu vermarkten.

Platon sprach vom „thaumazein“, auf Deutsch so etwas wie das „Staunen“: Die großen Augen als Voraussetzung für die Entdeckung des Neuen; das Nicht-Erwartbare, das der Blick über den Tellerrand einfordert. Dafür muss eine echte Neugierkultur jenseits des Schattens stattfinden. Erst dann wird sie Treibstoff für Innovation. Statt in der teuer eingekauften Neugierbox mit Fast-Food-Tools zu stochern, hilft der Kontakt zu Menschen, die Wissenshunger leben. Egal in welcher Branche. In einem „Forbes“-Interview vom Mai 2015 gesteht der 17-jährige Forscher Andrew Jin, auf die Frage, warum er eine Maschine entwickelt hat, die 130 Gen-Mutationen entdeckt und so unter Umständen das Gesicht der Medizin verändern wird: „Ich habe es aus Neugier gemacht. Ich war neugierig darauf, wie Mutationen uns helfen, hochentwickelte Menschen zu sein.“

Ein Gespräch mit ihm bringt einen ganz anderen Input als die Aufforderung „Aus Farben Sätze zu bilden“. Letzteres hat nichts mit beruflicher Neugier oder einer kulturellen Verankerung dieser zu tun. Es ist und Statt in der Neugierbox mit Fast-Food-Tools zu stochern, hilft der Kontakt zu Menschen, die Wissenshunger leben bleibt eine Kreativtechnik. Sie macht Menschen nicht neugieriger. Und übrigens auch nur in den seltensten Fällen kreativer. Der Filmemacher J.J. Abrams wiederum spricht in seinem TED-Talk von einer Mystery-Box, die ihn sein ganzes Berufsleben begleitet hat. Seine Erfolge (u.a. „Lost“, „Mission Impossible“, „Star Trek“) lassen aufhorchen, ob das vielleicht ein Tool sein kann, auch das eigene Denken und Handeln mit einer Mystery-Box zu bereichern. Besonders, wenn er erzählt, wie die Neugier seines Großvaters ihn ansteckte und zu seiner beruflichen Treibfeder wurde.

Wie lautet also das Fazit, anderthalb Jahre nach Erscheinen unserer Neugier-Studie? Neugier ist, mehr denn je, ein Thema – besonders die berufliche. Doch Menschen zu interessieren und zu faszinieren, gelingt eben nicht mit altbekannten Methoden. Wer ein bisschen in die Tiefe geht, bekommt viele echte Neugierimpulse. Einige faszinierende haben wir 2014 in der Studie zusammen getragen. Jetzt, 2016, sammeln wir sie für den Neugier-Day, die Workshops und die Vorträge.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Dossier: Innovation und Neugier

Dossier: Innovation und Neugier

Wie entstehen Produkte und Dienstleistungen? In der komplexen Netzwerköonomie wird Innovation immer wichtiger: die Fähigkeit, neue Sichtweisen einzunehmen, neue Ideen zu entwickeln und neue Zukunftsperspektiven für Organisationen zu entwerfen.

Folgende Menschen haben mit dem Thema dieses Artikels zu tun:

Carl Naughton

Dr. Carl Naughton vermittelt als Keynote Speaker mit psychologischer Expertise das Mindset und die Zukunftskompetenzen für den Umgang mit Transformation.