Neugier-Management für innovative Unternehmen

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Neugier hat nicht nur gefühlt Vorzüge, sie hat klare gesellschaftliche und wirtschaftliche Vorteile. Da stellt sich die Frage, warum Neugier bisher so wenig im Fokus stand – vor allem in der Unternehmensführung. Das kann an zwei Dingen liegen:

  • Neugier ist eine Emotion. Die Bewertung dieses Gefühls kann individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Wenn Menschen aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen viele negative Bewertungen von neuen, unsicheren Situationen gesammelt haben, ist Neugier für sie extrem negativ besetzt. Das Fachwort dazu ist die Neophobie.
  • In milderen Spielarten ist gerade die Neophobie in Unternehmen besonders weit verbreitet. Warum?

In Zeiten gefährdeter Jobs ist Sicherheit das Gebot der Stunde. Hinzu kommt: In hierarchischen Organisationen ist Misstrauen ein guter Berater gegen plötzliche Übervorteilung Menschen neigen dazu, eine Regel zu belegen und viel weniger, sie zu widerlegen durch Konkurrenten auf der Karriereleiter. In einer kennzahlengetriebenen Firma ist Beharren ein Eckpfeiler des Bewahrens vergangener Erfolge. Sprichwörtlich formulieren böse Zungen im Großraumbüro: Neugier ist der Wunsch, hinterher schlauer zu sein als vorher, Sicherheit ist das Verlangen, vorher schlauer zu sein als hinterher!

Menschen können sehr gefangen sein in ihren eigenen Routinen und starke Überzeugungen davon haben, was richtig und was falsch ist. Aber einen offenen Geist zu bewahren ist extrem wichtig, um sich in einer Welt zu bewegen, deren Paradigma auf Teamwork, Kollaboration und Netzwerken basiert und deren Arbeitsweise in einen Permanent-Beta-Status übergeht. Das gilt ebenso für das Verstehen von Kundentrends wie das Weiterentwickeln bestehender Lösungen.

Trend-Tracking ist dann wiederum einfacher, als man denkt: Der offene Geist fragt sich nämlich bei jedem Verhalten „Warum?“ und entdeckt neue Gründe und Hintergründe, anstatt nur Unzulänglichkeiten festzuhalten. Neugier wird künftig immer stärker als notwendiger Faktor für den so nötigen Perspektivenwechsel erkannt werden. Denn bei vielen Angeboten und Entwicklungen fällt einem erst viel zu spät ein, dass man eben doch nicht so tickt wie der eigene Kunde. Neugier hilft hier dem klassischen Bestätigungsfehler zu entgehen.

Spiegelung gegen „Not invented here“

Im Alltag neigen Menschen eher dazu, eine Regel oder einen Sachverhalt zu belegen und viel weniger, ihn zu widerlegen. Wenn nun zwei Menschen dieselbe Art zu denken an den Tag legen, dann ist der Streit vorprogrammiert: Jeder sucht nach dem Splitter im Auge des anderen (Belegen des eigenen Gedanken) anstatt nach dem Brett vor dem eigenen Kopf (Widerlegen des eigenen Gedanken). Das bedeutet: Menschen scheinen logische Probleme auf der Basis der persönlichen Alltagserfahrung und ohne deduktives, logisches Schlussfolgern zu lösen. Das macht deutlich, warum Abteilungen ohne Spiegelungskorrektiv von außen so anfällig sind für das berüchtigte Not-invented-here-Syndrom.

Menschen machen mit Vorliebe drei Dinge, wenn sie schlussfolgern:

  • Ignorieren von Gegenbeweisen
  • Suche nach Bestätigung, nie nach Widerlegung
  • Sie geben Hypothesen auch dann nicht auf, wenn sie falsch sind.

Diese allzu menschliche Eigenschaft hat mit unseren Erwartungen zu tun. Denn wir alle – Konsumenten, Manager, Vorstände – fokussieren unsere Wahrnehmung auf das, was wir erwarten. In der Forschung nennt man das den „Bestätigungs-Bias“ (engl. bias = Voreingenommenheit, Vorurteil). Menschen sehen das, was ihnen in den Kram passt. Und verzerren, was nicht dazu passt.

Der smarte Kühlschrank macht nicht neugierig

Als sogenannter „Future Bias“ findet sich das Phänomen in den Prognosen und Zukunftsplänen von Unternehmen. So haben fast alle Hersteller von Haushaltsgeräten auf den vernetzten Kühlschrank gesetzt, der automatisch Lebensmittel nachbestellt, wenn diese verbraucht sind. In den Szenarien wurden plausible Bestätigungen gefunden: die zunehmende Vernetzung, die Verbreitung des Online-Handels, der Convenience-Anspruch der Verbraucher. Die Bestätigungen wurden wiederum durch andere Bestätigungen bestätigt – nämlich seitens der Telekommunikationsindustrie, die im vernetzten Haus einen Zukunftsmarkt sieht. Schon vor zehn Jahren, als der Hype um den vernetzten Kühlschrank hochkochte, war klar: Die Menschen sind immer weniger zu Hause, essen viel häufiger auswärts, und gemeinsame Mahlzeiten gibt es kaum noch. Welchen Sinn hat es, wenn der Kühlschrank die Milch nachbestellt, obwohl keiner zu Hause ist? Zudem macht sich gerade beim Thema Wohnen eine große Sehnsucht nach Geborgenheit breit, die Technologie in den Hintergrund rücken lässt.

Es ist wichtig, zu verinnerlichen, dass wir alle diesem Bestätigungs- und Future-Bias unterliegen. Versuche zeigen zudem, dass Training im logischen Denken erschreckend wenig Erfolg hat. Logikstudenten sind bei der oben vorgestellten Karten-Aufgabe nur um drei Prozent besser als vergleichbare Denker ohne Logiktraining. Die Erklärung? Auch wenn sie Logik studiert haben, bringen die Studenten diese Logik nicht im Alltag ein.

Klar ist, was passiert, wenn sich in einem Unternehmen alle an ihrer Bestätigungs-Bias festhalten: Dann hat die nervende Neugier keine Chance, und der berühmte amerikanische Psychologe William James behält auch in den nächsten 100 Jahren recht: „Wenn etwas neu ist, sagen die Leute: ‚Das kann nicht wahr sein.‘ Später, wenn die Wahrheit eine anerkannte Tatsache ist, sagen die Leute: ‚Das ist ohne Belang.‘ Am Ende, wenn die Bedeutung nicht mehr geleugnet werden kann, heißt es: ‚Ja gut, aber das ist doch nichts Neues.‘“

Die schwierige Historie der Neugier

Um zu verstehen, warum wir uns – gerade in ökonomischen Zusammenhängen – mit der Neugier so schwer tun, müssen wir einen Blick in die Geschichte werfen. Neugier hatte in der westlichen Geistesgeschichte die meiste Zeit einen schlechten Beiklang. Seit der Antike kämpft sie mit ihrem schlechten Ruf, und das wirkt beeindruckenderweise bis heute.

Samuel Johnson, erfolgreicher englischer Autor des 18. Jahrhunderts, schrieb: „Neugier reduziert unser Unbehagen, erzeugt aber keine Befriedigung.“ Mythen und Literatur sind voll von Beispielen, bei denen die Neugier zu weit gegangen ist – und die Neugierigen maximal schlecht wegkamen: Strafe, Schläge und verkürztes Leben. Schon in der Antike erwischte es Acteon recht böse, als er bei der Jagd aus Versehen die nackte Diana beim Bad im See überraschte und genauer hinschaute: Er wurde zur Strafe in einen Hirsch verwandelt und von seinen eigenen Jagdhunden zerfleischt. Pentheus, König von Theben, zahlte ebenfalls hart für seine Neugier: Er verkleidete sich als Frau, um sich bei den Bacchantinnen einzuschleichen. Selbstredend wird er entdeckt, und seine Neugier wird mit dem Doppel-Sehen bestraft.

Neugier war die meiste Zeit kein erstrebenswerter Zustand der angeregten Aufmerksamkeit, sondern das genaue Gegenteil: Unaufmerksamkeit, Laxheit oder Ablenkung. Bernard von Clairvaux sah in ihr den Anfang aller Sünde. Selbst in den aristotelischen Schriften wird es nicht besser: Während „thauma“, das Wundern, die notwendige Erkenntnis des eigenen Nichtwissens impliziert, ist die Neugier, die „periergia“, moralisch höchst fragwürdig, da sie den Wunsch verkörpert, Dinge zu erfahren, die einen eigentlich nichts angehen.

Dieses schlechte Image wurde die Neugier in Europa erst sehr spät los. John Lockes Schrift „Some Thoughts Concerning Education“ von 1693 ist ein Meilenstein im „Rebranding“ der Neugier. Er zeigt auf, welch hervorragendes Instrument die Natur dem Menschen zur Verfügung gestellt hat und wie wichtig es ist, dieses Instrument wertzuschätzen.

Inspiration - Wunderkammern für Unternehmen

Glücklicherweise ändert sich das Image der Neugier allmählich. Zu offensichtlich treten die Korrelationen zwischen menschlicher Neugier und individuellem sowie unternehmerischem Erfolg zutage. Ein Blog-Eintrag von John H. Bell, der auf seine Zeit als Global Managing Director bei Ogilvy & Mather zurückblickt, illustriert die veränderte Sichtweise:

„Wir reden über die Bedeutung von Neugier für das Unternehmen und suchen Leute, die Leidenschaft für ihre Arbeit entwickeln und eigeninitiativ neue Dinge erforschen – weil wir meinen, dass neugierige Leute frische Ideen und forscherischen Geist in eine Firma bringen, deren Ziel es ist, kreative Probleme zu lösen. Ich finde das eigenartig, denn unser erster Gedanke zu Neugier ist, dass die neugierige Katze früher stirbt. Wenn uns aber Neugier umbringt, warum soll sie dann in Unternehmen gut sein? Es ist ganz einfach: Das Ende des Top-Down-Managements ist auch das Ende der Ideen und Innovationen, die von oben nach unten sickern. Unsere Wettbewerber, bekannt oder unerkannt, tun ihr Bestes, um Ideen über das Internet zu erzeugen. Sie ermuntern ganze Belegschaften, Ideen zu suchen und zu teilen. Auch bei uns wären ein paar der besten Neuerungen ohne Neugier nicht existent. Katzen hin oder her.“

In der Wirtschaft wird Neugier also als Erfolgsfaktor stärker thematisiert. Dabei war institutionalisierte Neugier auch früher schon bekannt. Seit der Renaissance gab es bei Adel und reichen Kaufleuten den Drang, ein regelrechtes Kuriositätenkabinett in ihre Wohnräume zu integrieren – die sogenannte Wunderkammer. Darin wurde alles gesammelt, was zur Verwunderung eines Betrachters taugen konnte. Die Raritäten und Kuriositäten reichten von „Einhörnern“ und Naturschätzen bis zu alchimistischen Büchern und technisch-wissenschaftlichen Neuerungen. Die schnelle Vermehrung der Wunderkammern machte das Barock denn auch zum „Zeitalter des Staunens“.

In extremen Fällen existierte diese Wunderkammer gar nicht wirklich, sondern sie wurde nur erfunden, indem eine Art Inhaltsverzeichnis von ihrem geistigen Besitzer erstellt wurde – ein Phantasieraum einer überbordenden Neugier.

Business Playground

Wenn das Konzept der Wunderkammer so hervorragend funktioniert, stellt sich die Frage, ob es sich nicht nutzbringend von Unternehmen einsetzen lässt – als Inspirationsquelle für Mitarbeiter für neue Strategien und Innovationen. Die „Wunderkammern“ in Unternehmen müssen natürlich anders interpretiert werden. Die Bausteine der Neugier – Wissen-Wollen und Dranbleiben – brauchen aber auch in der heutigen Zeit Erlaubnis- und Erlebnisräume. Orte, wo das Staunen, das Nichtwissen, der „Aaah“-Moment erlaubt sind.

Mit diesem Ziel vor Augen machte sich der französische Designer Mathieu Lehanneur daran, einen neuen Arbeits- und Tagungsraum zu kreieren, den er „Business Playground“ nennt und für die Pullman Hotels entwickelt hat. Der Konferenztisch ähnelt einem Pokertisch. Für informelle Gespräche und Pausen gibt es einen besonderen Rückzugsbereich. Sogenannte „Curiosity Boxes“, die in Anlehnung an die Kuriositäten-Kabinette von damals ungewöhnliche Gegenstände enthalten, entführen die Tagenden in der Fantasie an unerwartete Orte. Alle Elemente sollen überraschen und die Kreativität anregen. Der erste „Business Playground“-Raum wurde im The Pullman London St. Pancras eingerichtet. Nach und nach soll es die ungewöhnlichen Meeting-Spielplätze in allen Häusern der Gruppe geben.

Die Frage, welche Arbeitsumgebung die Mitarbeiter inspiriert und zu kreativen Höchstleistungen führt, treibt heute viele Unternehmen um. Sie richten spezielle Kreativräume ein oder tagen in Innovationszentren. Allzu oft sind diese Räume genauso eingerichtet, wie wir es erwarten: ausgestattet mit der neuesten Technik, hochauflösende Smartboards, multifunktionale Sitz- und Arbeitsmöbel, bunte Wände.

Die Erfahrung zeigt, dass dies die Kreativität nicht wirklich fördert. Zufällige Verknüpfungen, wie sie durch die Vielfalt der Artefakte in einem Kuriositäten-Kabinett ausgelöst werden, sind in solch einer Umgebung kaum möglich. Neue Impulse werden leichter durch neue Umgebungen ausgelöst. Der Tagungsraum, der keiner ist, unterstützt dies meist besser.

Neugierschub: Priming des Querdenkens

Egal wie Unternehmen es anstellen, einen solchen „Erlaubnisraum“ zu schaffen – ein Ort, von dem Impulse von völlig andersartigem Material ausgehen, wird über kurz oder lang auch Der Tagungsraum, der keiner ist: Neue Impulse durch neue Umgebungen die Unneugierigsten anziehen und Impulse für neues Denken und das Denken im Neuen erleichtern. Denn unsere Umgebung wirkt unbewusst auf das, was wir im nächsten Moment denken, wahrnehmen, entscheiden. Man bezeichnet das als „Priming“. Mit Priming beschreibt man einen vorgeschalteten, unbewusst wahrgenommenen Reiz, der zu einer impliziten Gedächtnisbildung führt und eine nachfolgende Handlung entscheidend bestimmen kann. Der Geist wird durch eine Denk- oder Verhaltensweise vorbereitet beziehungsweise voraktiviert. Das beeinflusst maßgeblich die nachfolgende Reaktion. Solche Vorbereitungsreize können gezielt als Bilder, körperliche Tätigkeiten oder Wörter maskiert werden.

In einem Versuch von John Bargh, Mark Chen und Lara Burrows aus dem Jahre 1996 spielten zwei Teams Wortpuzzle. Team A spielte mit Begriffen wie „vorsichtig“, „weise“, „alt“, „zur Ruhe gesetzt“, die anderen Teams spielten mit neutralen Begriffen. Anschließend stoppten die Forscher die Zeit, die beide Teams auf dem Weg zum nahe gelegenen Aufzug brauchten. Spieler aus Team A brauchten in der Regel bis zu einer Sekunde länger als die Vergleichsgruppen; sie hatten tatsächlich Charaktereigenschaften aus den Begriffswelten aufgenommen: die langsamere Gehgeschwindigkeit!

In nachfolgenden Experimenten gingen Forscher einen anderen, noch alltäglicheren Weg. Sie ließen die Versuchspersonen fünf Minuten lang entweder Professoren oder Sekretärinnen beschreiben. Anschließend spielten alle ein paar Runden Trivial Pursuit. Die Ergebnisse verschlagen einem fast den Atem: Diejenigen, die an der Beschreibung der Professoren – die in der Regel mit einem gerüttelt Maß an Intelligenz assoziiert werden – gearbeitet hatten, lagen bei 60 Prozent ihrer Antworten richtig, gegenüber 46 Prozent richtiger Antworten in der Vergleichsgruppe. Was keineswegs eine Wertung impliziert, denn die Vergleichsgruppe bearbeitete die Fragen im Vergleich deutlich effizienter – sie brauchten sechs Minuten im Vergleich zur professoralen Gruppe, die im Schnitt acht Minuten mit dem Fragebogen verbrachte. Übrigens: Die internen Assoziationen können auch für schlechtere Ergebnisse sorgen, je nachdem, mit wessen Stereotypen sich die Probanden auseinandersetzen.

Für Unternehmen wird es bei der Frage interessant, ob sich beispielsweise auch Querdenken primen lässt – eine Eigenschaft, die in modernen Innovationsprozessen oft vergeblich eingefordert wird. Dass es geht, belegte der Psychologe Jens Förster. Seine Hypothese: „Bloßes Anschauen eines modernen Kunstwerks kann eine kreative Haltung auslösen.“

Priming als Führungskultur

Führungskräfte prägen allein durch ihre Sprachwahl das Denken und Verhalten ihrer Mitarbeiter, wie eine Erhebung aus 2005 belegt. Ob Manager ihr Unternehmen als Maschine, als Team oder als Garten bezeichnen, hat enormen Einfluss auf die Kommunikation und das Verhalten. Kooperatives Führungshandeln findet man in Gruppen, die ein Unternehmen als Team sieht, autoritäres Führen findet sich dort, wo die Metapher der Maschine genutzt wird. Auch mit welcher Metapher die Mitarbeiter ihr Unternehmen beschreiben, beeinflusst, wie sie es wahrnehmen, erinnern und wie sie denken. Es prägt, was erwartet wird, wie gesprochen wird und wie man handelt.

„i“-type Curiosity

Gerade Unternehmen aus der schnellen digitalen Welt beginnen, mit Hilfe des Priming eine bestimmte Unternehmenskultur zu unterstützen. Das können, wie oben beschrieben, visuelle Reize sein. Es geht aber auch mit Begriffen. Denn hier geht es um das, was Jordan Litman von der University of South Florida (2007) als „i-type curiosity“ (Interest Type Curiosity) beschreibt, also eine Neugier, die durch Interesse angetrieben wird. Es ist eine Annäherungsmotivation, die erzeugt werden soll. Sie reguliert, welche Kontexte Menschen aufnehmen und wie sie darauf reagieren. Man kann sich das wie eine „Suchfunktion“ vorstellen. Sie steuert den Wunsch, uns mit einem bekannten Thema auseinanderzusetzen. Damit lassen sich die assoziativen Prozesse im Gehirn gezielt beeinflussen.

„d“-type Curiosity

Neben einem „Raum“ zur Anfeuerung der Neugier brauchen Unternehmen künftig auch einen Raum fürs „Dranbleiben“. Oder wie Jordan Litman von der Universität of South Florida sagen würde: der „d“-type curiosity (Deprivation Type Curiosity). Jene Art von Neugierverhalten, das Menschen nach dem Suchen und Finden des Neuen den Gedanken einpflanzt, nach dem Motto: „Da ist ein Problem, das ich noch nicht ganz gelöst habe, und ich will es wissen.“ Hierbei geht es sozusagen um die mentale „Eroberungsfunktion“. An dieser Stelle kommt die Gewissenhaftigkeit ins Spiel, die neugierige Menschen ebenfalls auszeichnet. Auch dieser Raum kann ein realer, physischer oder ein virtueller sein. Wichtig ist dabei, dass Unternehmen darin die kulturelle Atmosphäre des Labors erzeugen. Es muss nicht unbedingt wie eines aussehen, sollte aber Anreize bieten, ernsthaft spielerische Auseinandersetzung fördern und so ein lustgesteuertes Lernen, das „Delight Directed Learning“-Prinzip, verfolgen.

Zusammengefasst: Eine Wunderkammer für neues Wissen muss nicht mehr aussehen wie im Barock ... kann sie aber. Es hängt von der Zielsetzung ab. Denn funktionieren kann beides. Die Hauptsache ist, dass ein Erlebnis- und Erlaubnisraum überhaupt geschaffen wird. Denn schon die unbewusste Konfrontation mit Neugier entfachenden Objekten, Inhalten und Geschichten hat einen durchschlagenden Effekt: „Out-of-the-Box-Thinking“ und „Über-den-Tellerrand- Schauen“ funktioniert genau so.

Implementierung: Die drei Bausteine der Neugierkultur

Wenn es um die Umsetzung und Implementierung einer dauerhaften Neugierkultur im Unternehmen geht, müssen sich Manager zunächst Folgendes vor Augen halten. Drei Dinge hängen eng mit unserer Neugier zusammen:

  • Autonomie: Menschen werden neugieriger, wenn sie mehr Wahlmöglichkeiten bekommen. Und zudem, wenn sie mehr Information und Ermutigung erhalten. Auf der anderen Seite wirken Drohungen, negatives Feedback und Überwachung negativ auf die Aufgaben-Neugier. Wenn das Management die Neugier im Unternehmen erhöhen will, muss es also seinen Mitarbeitern mehr Freiheiten zugestehen. Das berührt in starkem Maße die Autonomie, darüber zu entscheiden, wann, wo und wie die Arbeit verrichtet wird. Angebote zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung sowie die Möglichkeit, vom Home Office aus zu arbeiten, stehen auf der Wunschliste von Mitarbeitern weit oben. Vor dem Hintergrund des Megatrends Individualisierung wird dieser Wunsch noch weiter zunehmen – vor allem, wenn sich Männer wie Frauen gleichermaßen um Kindererziehung, Haushalt und Work-Life-Balance kümmern. Das Büro als Arbeitsplatz wird dadurch nicht unwichtiger. Im Gegenteil: Als Ort gelebter Unternehmensidentität, als Ort des Lernens und des Knowledge-Transfers sowie als Ort der realen Zusammenarbeit im Sinne von Teamwork gewinnt das Büro, das künftig mehr einem Campus gleichen wird, sogar an Bedeutung. Doch im Zuge größerer Autonomie, wie und wo Arbeit in Zukunft realisiert wird, vervielfältigen sich Arbeits-Plätze.
  • Kompetenz: Ereignisse, die Menschen das Bewusstsein vermitteln, dass sie effektiv mit der Umgebung interagieren (empfundene Kompetenz), oder die ihnen das Verlangen geben, das zu tun (Kompetenzbewertung), werden zu mehr Neugier führen. Kompetenzen werden in starkem Maße durch Bildung und Lernen erworben. Das neugierige Unternehmen ist daher immer auch ein lernendes. Damit Mitarbeiter jedoch eine Kompetenzerweiterung erfahren, muss das Lernen auf ihren Wissensstand optimal abgestimmt sein. Inhalte und Aufgaben, die zu schwierig sind, hinterlassen ein Gefühl der Irritation. Dann sind sie zwar neu, aber nicht verständlich genug, um Neugier hervorzurufen. Anders herum: Wenn Lerninhalte zu bekannt oder Aufgaben zu einfach sind, fördern sie die Langeweile und führen zum Bore-out. Die Herausforderung für das Personalmanagement liegt daher im genauen Erfassen, wo jeder einzelne Mitarbeiter mit seinen Kompetenzen steht und wie diese zu seinen Aufgaben passen, um optimale Weiterbildung zu ermöglichen. Die Individualisierung des Lernens wird für Unternehmen in Zukunft eine große Herausforderung darstellen. Sie ist die Grundlage für mehr Neugier im Unternehmen. Ein äußerst preisgünstiges, dafür höchst effektives und doch selten eingesetztes Instrument ist zudem aufrichtige Belobigung. Sie erhöht die empfundene Kompetenz und die Kompetenzbewertung. Sie ist ein wichtiges Tool im Werkzeugkasten jeder Führungskraft, um auf einfache Weise Neugier zu erhöhen.
  • Bezug: Das Gefühl von Bezug – sich mit anderen verbunden zu fühlen und zu glauben, dass die emotionalen Erlebnisse anerkannt werden – lässt ebenfalls die Neugier steigen. Bezug verbindet das Individuum mit der Gemeinschaft und stellt das eigene Handeln in einen größeren Kontext. Die Dinge bekommen dadurch einen Sinn. Aus diesem Grund Nichts motiviert Menschen mehr als das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun müssen sich Unternehmen künftig sehr viel stärker mit Sinnfragen beschäftigen, was auch den großen Aufstieg des Themas Corporate Social Responsibility erklärt. Wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, dass ihr Tun einen gesellschaftlichen Mehrwert erzeugt, entsteht das positive Gefühl von Bezug. Nichts motiviert Menschen mehr als das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Zu wissen, dass die Arznei, an der man forscht, Hunderttausenden das Leben retten kann, ist ein niemals endender Quell der Neugier. Wenn die Arznei diese Hoffnung erfüllt, wird der Betreffende sehr viel Anerkennung – und damit Bezug – zurückgespielt bekommen. Bei all den Tätigkeiten, wo sich das Gefühl von Bezug nicht so leicht einstellt, ist die Herausforderung für das Management, diesen herzustellen. Bezug wurde im übrigen als besonders wirksam bei der Steigerung der Neugier und der Performance von Athleten, Akademikern und generell in Arbeitskontexten nachgewiesen. Und: Wenn Menschen sich wohl und sicher fühlen, steigert das die Neugier.

Basierend auf diesen drei beschriebenen Faktoren können Unternehmen nun verschiedenste Neugier-Interventionen starten.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Dossier: Innovation und Neugier

Dossier: Innovation und Neugier

Wie entstehen Produkte und Dienstleistungen? In der komplexen Netzwerköonomie wird Innovation immer wichtiger: die Fähigkeit, neue Sichtweisen einzunehmen, neue Ideen zu entwickeln und neue Zukunftsperspektiven für Organisationen zu entwerfen.

Folgende Menschen haben mit dem Thema dieses Artikels zu tun:

Carl Naughton

Dr. Carl Naughton vermittelt als Keynote Speaker mit psychologischer Expertise das Mindset und die Zukunftskompetenzen für den Umgang mit Transformation.

Andreas Steinle

Andreas Steinle ist Experte für die praktische Umsetzung von Trends in Business-Innovationen. Seine Kernfrage: Was bringt Gesellschaft und Wirtschaft voran?