Gesellschaftliche Veränderung statt steigender Gewinne: Warum so viele Menschen sich nach mehr Sinnhaftigkeit in der Arbeitswelt sehnen.
Von Bettina Schuler (08/2017)
Gesellschaftliche Veränderung statt steigender Gewinne: Warum so viele Menschen sich nach mehr Sinnhaftigkeit in der Arbeitswelt sehnen.
Von Bettina Schuler (08/2017)
Die Zeiten, in denen die Menschen strikt von 8 bis 17 Uhr gearbeitet haben, sind schon lange vorbei. Dank Internet und Smartphone können wir selbst im Urlaub vom Strand aus noch schnell eine wichtige E-Mail schreiben – die klare Grenze, die früher zwischen Arbeit und Freizeit existierte, verschwimmt mehr und mehr. Lange Zeit galt es als ein Zeichen von Engagement und Erfolg, wenn man am Wochenende im Büro saß, anstatt mit Freunden am See zu liegen. Doch nach und nach zeigt sich, welche negativen physischen und psychischen Auswirkungen dieses Arbeitsverhalten auf die Menschen hat, und wie wenig wir alle dadurch gewinnen.
Bedingt durch eine wachsende Entfremdung unserer Arbeit stellen sich viele Menschen zudem die Frage nach dem Sinn: Wenn wir schon den Großteil unseres Lebens mit Arbeit verbringen, dann wollen wir diese Lebenszeit zumindest mit etwas Sinnvollem verbringen. Da Sinnhaftigkeit und Wertschätzung in der Arbeitswelt jedoch Mangelware sind, nehmen immer mehr Menschen zu Gunsten ihres psychischen Wohlergehens finanzielle Einbußen hin – anstelle einer Gehaltserhöhung wünscht man sich mehr Urlaubstage oder ein Sabbatical.
Diesen Trend erkennen auch viele Arbeitgeber. Sie versuchen entgegenzuwirken, unter anderem durch ein Angebot von unternehmensinternem und finanziertem Yoga oder Meditationskursen – übersehen dabei aber, dass auch diese Kurse nur wieder dazu dienen, den Arbeitnehmer für seinen Arbeitsalltag zu optimieren. Das eigentliche Problem, die sinnhafte Gestaltung der Arbeit, bleibt dabei immer noch ungelöst. Immer mehr Menschen geben deshalb ihren gut bezahlten Job auf, um einen wesentlich unsichereren, geringer bezahlten, aber gefühlt sinnvolleren zu beginnen, etwa als Heilpraktiker, Yogalehrer oder Coach. Dies allerdings führt häufig dazu, dass sie in prekären Verhältnissen enden, da vor lauter Suche nach der Sinnhaftigkeit die Frage der Existenzsicherung ausgeblendet wird.
Designer wie Ann-Cathrin Carstensen von dem Accessoire-Label RITA IN PALMA versuchen diese beiden Komponenten, Existenzsicherung und Sinnhaftigkeit, durch die Gründung eines Social Business zu verbinden. So lässt Carstensen ihre Häkelketten und Accessoires von türkischstämmigen Frauen herstellen. Die Frauen bekommen dadurch nicht nur einen gut bezahlten Arbeitsplatz, sondern werden auch noch besser in die deutsche Gesellschaft integriert. Zudem hat Carstensen 2012 den Verein Von Meisterhand – Verein für Integration, Bildung und Kunsthandwerk e. V. gegründet, der die Erlöse komplett den Frauen zukommen lässt. Ein Projekt, das wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftliche Veränderung kombiniert.
Bei mir selbst ist es umgekehrt geschehen: Aus dem Wunsch, den Menschen zu helfen, die hier in Deutschland vor Krieg, Hunger oder Verfolgung Zuflucht suchen, fing ich an, ehrenamtlich Yogaunterricht für Geflüchtete zu geben. Nicht, weil ich mit meinem Beruf als Autorin unzufrieden war, sondern weil ich meinen Teil zur Veränderung der Gesellschaft beitragen wollte. Mittlerweile ist daraus eine gemeinnützige Organisation entstanden: Citizen2be.
Nach erfolgreicher Crowdfunding-Kampagne geht es nun darum, ein Zentrum für Yoga-Trauma-Therapie aufzubauen. Wie es in der Zukunft weitergeht, wissen wir noch nicht. Nur, dass wir weitermachen sollten und wollen – schon wegen des Anklangs, auf den unser Projekt tagtäglich trifft. Diese Resonanz zeigt auch: Es gibt in dieser Gesellschaft ein großes Bedürfnis, sich selbst mehr einzubringen und zur Verbesserung der Welt beizutragen.
Bettina Schuler lebt und arbeitet als freie Autorin, Aktivistin und Yogalehrerin in Berlin. 2016 hat sie die gemeinnützige Unternehmensgesellschaft Citizen2be gegründet, die sich für die Integration von Geflüchteten einsetzt. Einer ihrer Schwerpunkte ist dabei die Entwicklung einer Yoga-Trauma-Therapie: Schuler ist überzeugt, dass Geflüchtete nur dann in einer Gesellschaft wirklich ankommen können, wenn sie bei sich selbst angekommen sind.