Das Marketing muss Stellung beziehen

Wer Tourismus-Nischen ansprechen möchte, muss sie nicht nur bewerben, sondern sich für ihre Belange einsetzen - gemeinsam mit der Zielgruppe.

Quelle: Tourismus Report 2015

Dudarev, Mikhail/ Fotolia

Die Reisemärkte werden von den unterschiedlichsten Nischen und Lebensstilen geprägt. Während schon seit einigen Jahren zunehmend die Touristiker die jeweiligen Konsumenten in ihren Reisebedürfnissen ansprechen und von Halal-Urlaub bis Grey & Gay für jeden einen Urlaub stricken, endet das Marketing der Zukunft nicht bei der Zielgruppe, sondern muss mit der Zielgruppe öffentlich präsent sein. Die Aufgabe erfolgreicher Kampagnen ist nicht das Werben um die Gruppe, sondern die Unterstützung der Gruppe in ihren Interessen. Mit dieser Strategie lässt sich nämlich nicht nur der jeweilige Lebensstil ansprechen, sondern Die Aufgabe erfolgreicher Kampagnen ist nicht das Werben um die Gruppe, sondern die Unterstützung der Gruppe in ihren Interessen auch der Orbit, die Sympathisanten und Mitläufer.

Gender-Travelling

In der Gesellschaft wird zunehmend offen über Sexualität, Orientierung, Ehe und Liebe gesprochen. Die Akzeptanz steigt. Laut dem Mikrozensus lebten 2012 bundesweit bereits 73.000 gleichgeschlechtliche Paare zusammen – und damit doppelt so viele wie vor 15 Jahren. 32.000 Paare davon waren sogar rechtlich als Lebenspartner eingetragen – Tendenz steigend. Entsprechend zählt die Reisegruppe der LGBTQ (Lesbisch, Schwul, Bi, Trans, Queer), ob als Gruppe, als Paar oder als Regenbogenfamilie mit Kindern, zu einer stetig wachsenden Kundschaft.

Mit seiner Kampagne #LoveTravels zeigt das Hotel Marriott inspirierende Geschichten von Menschen aus aller Welt. Es geht um ihr ganz individuell gestaltetes Leben und ihre Leidenschaft beim Reisen. Dabei wird nicht unterschieden, ob jemand schwarz oder weiß, homo- oder heterosexuell ist. Getreu dem Motto, es gebe keinen Platz für Ungleichheit, heißt das Hotel jeden, ganz gleich, wohin er reist oder wo und wie er sich wohlfühlt, bei sich willkommen.

Damit treffen sie genau den Nerv der Zeit, denn gerade LGBTQs leiden nicht selten unter Diskriminierung und fehlender Akzeptanz. Das Marriott solidarisiert sich nicht nur mit ihnen, sondern unterstützt sie, indem es ihre Welt und ihre Geschichten zeigt. Und darum geht es auch: Es reicht nicht, nur spezielle Reiseangebote anzubieten. Man muss sich für den Menschen dahinter interessieren, mit all seinen Wünschen und Träumen.

Benimmkurs für russische Touristen

Unfreundlich, undankbar, maß- und distanzlos, reichen russischen Touristen eilt ein schlechtes Image voraus. Unter dem Stereotyp leiden nicht nur Hotelangestellte, sondern in der Regel auch andere Reisegäste und nicht zuletzt all jene Russen mit gepflegten Umgangsformen. Um seine zahlungskräftigen und gut situierten Gäste nicht zu vertreiben, gleichzeitig jedoch den Wünschen anderer Hotelgäste entgegenzukommen, erstellte Salvatore Madonna, der Manager des 5-Sterne-Hotels Byron im italienischen Nobelbadeort Forte di Mari, ein Video mit „Benimmregeln für russische Touristen“. Das Video soll jedoch keinesfalls ein Affront gegen die umstrittene Reisegruppe sein, sondern sie unterstützen, indem es ihnen beim „richtigen“ Benehmen als Touristen hilft. Das lässt sich vor allem daran erkennen, dass die Verhaltenstipps nicht etwa von irgendjemandem, sondern von dem international bekannten russischen Topmodel Ludmilla Radchenko gegeben werden.

Und auch der Hotel-Manager versteht das Video nicht als Benimmkurs. Vielmehr möchte er „russischen Hotelgästen Tipps für italienische Lebensfreude geben, damit sie unserem Lebensgefühl näher kommen“. Beleidigen wolle er damit niemanden. Die Tipps in dem Video sind sehr allgemein gehalten und können entsprechend nicht nur auf die russischen Touristen bezogen werden. Vielmehr könnten gerade solche Videos allen ausländischen Gästen, ganz gleich welcher Nationalität, eine Hilfestellung beim Verhalten im Reiseland bieten.

Kompass für ein zivilisiertes Reisen

Ein solcher Benimmkurs bietet sich auch für Reisende aus China an. Die Chinesen zählen zu den Reiseweltmeistern. 2012 reisten 83 Millionen Chinesen ins Ausland, 2013 waren es schon 94 Millionen. Damit ließen sie die Amerikaner hinter sich. Doch auch wenn China einst als Reich der Höflichkeit und Etikette galt, sind chinesische Touristen heute eher berüchtigt als berühmt. Nicht selten hört man von schwarzen Schafen, die in Hotels klauen, im Bus prügeln oder Welterbe (in Ägypten) beschmieren. Als Grund für dieses Verhalten wird das plötzliche Aufkommen einer Klasse von Neureichen in China genannt. Hinzu komme, dass in China Recht und Gesetz nichts wert sei, weshalb sich entsprechend keiner daran halte. Chinas Tourismusminister Wang Yang spricht sogar von fehlender Kinderstube und „niederer Qualität“ (Im Reich der Sitte: In: SZ, 5.9.2013). Um das zu ändern und seine Bürger zu mehr Höflichkeit zu erziehen, hat Chinas Regierung ihren „Kompass für zivilisiertes Reisen“ von 2006 neu aufgelegt. Er soll helfen, das angeschlagene Image des Reichs der Mitte wieder aufzuwerten.

XXL Airport Love – Sport für jeden

Als Reaktion auf die Anti-Homosexuellen-Haltung Russlands zu den diesjährigen Winterspielen in Sotschi sind zahlreiche Video-Kampagnen entstanden, die sich mit den LGBTQs solidarisierten und sich für weniger Diskriminierung gegenüber diesen Gruppen einsetzten. Der Spot des norwegischen Outdoor-Bekleiders XXL fiel dabei besonders auf. In dem mit prominenten Sportlern besetzten Video folgen wir einer langbeinigen jungen Frau quer durch den Flughafen. Mit jedem Schritt zieht sie mehr Männeraugen auf sich. Angetan von der schönen Brünetten, wenden sie all ihr sportliches Können auf, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Ein leidenschaftlicher Kuss mit einer anderen Frau erklärt am Ende des Spots, warum sie sich von keinem Mann angesprochen fühlt.

Gemeinsam mit der Zielgruppe werben

Ganz gleich, wie groß oder nischenhaft eine Reisegruppe ist, jede bringt ihre ganz speziellen Bedürfnisse und Ansprüche mit. Diese ernst zu nehmen und sich damit auseinanderzusetzen zählt künftig zu den großen Aufgaben der Reiseunternehmen. Es gilt der Grundsatz, nicht mehr für eine Zielgruppe zu werben, sondern gemeinsam Es geht also nicht nur um Service, sondern vor allem um Support mit ihr. Wer das verpasst und lediglich zurechtgeschnittene Reiseangebote zur Verfügung stellt, läuft Gefahr, unbewusst zu separieren und im Endeffekt zu diskriminieren und abzuwerten. Es geht also nicht nur um Service, sondern vor allem um Support. Touristiker haben hier die Möglichkeit, eine Öffentlichkeit für sich zu schaffen, indem sie Position beziehen. Mit dieser Strategie lässt sich nämlich nicht nur der jeweilige Lebensstil ansprechen, sondern es werden auch andere Reisende erreicht, die sich der entsprechenden Zielgruppe verbunden fühlen.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Dossier: Marketing

Dossier: Marketing

Wir stehen vor einer Marketing-Zäsur. Selbstbewusste, ermächtigte Kunden werden Marketing in Zukunft anders bewerten. Mehr Marketing wird nicht mehr automatisch für mehr Absatz sorgen. Künftig werden Konsumenten nur dann zu echten Kunden, wenn die Vertrauensbilanz stimmt.

Folgende Menschen haben mit dem Thema dieses Artikels zu tun:

Anja Kirig

Aus Perspektive der Megatrends erläutert Expertin und Keynote Speaker Anja Kirig die gesellschaftlichen Entwicklungen, insbesondere für Sport und Tourismus.