Warum das Peak-Denken in der eindimensionalen Logik von Wachstum und Kollaps, Aufstieg und Fall logisch scheint, aber systematisch Fehlurteile produziert.
Quelle: TREND UPDATE 06/2012
Warum das Peak-Denken in der eindimensionalen Logik von Wachstum und Kollaps, Aufstieg und Fall logisch scheint, aber systematisch Fehlurteile produziert.
Quelle: TREND UPDATE 06/2012
Ende des 19. Jahrhunderts prognostizierten Stadtplaner fundiert und mit empirischem Datenmaterial hinterlegt, spätestens im Jahr 1910 werde die Stadt New York metertief im Pferdemist versinken. Dann kam das Auto und strafte alle linearen Fortschreibungen der Vergangenheit Lügen. Nun verursacht das Auto und sein Durst nach fossiler Energie ganz eigene Probleme, und die Prognosen zielen erneut auf Kollaps: einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Klimakatastrophe und dem Auslaufen fossiler Brennstoffe.
Aber die Geschichte folgt nur sehr bedingt dem Aufbau des klassischen Dramas von Exposition, Eskalation und Katastrophe. In seiner materialistisch fundierten Universalgeschichte „A Thousand Years of Nonlinear History“ zeigt Manuel De Landa anschaulich, dass Ressourcen- und Materialengpässe immer wieder Bifurkationen und nichtlineare Sprünge verursachten, nach denen es in anderer, unerwarteter Richtung weiterging. Das Peak-Denken in der eindimensionalen Logik von Wachstum und Kollaps, Aufstieg und Fall scheint naheliegend und zwingend, produziert aber systematisch Fehlurteile.
Der Klassiker dieser kulturpessimistischen Mustererkennung ist die These vom „Untergang des Abendlandes“. Oswald Spengler orakelte 1918 in seiner morphologischen Geschichtsphilosophie, auch Großreiche würden zwangsläufige Zyklen durchlaufen und nach einer Hochphase reifen und welken „wie die Blumen auf dem Felde“. In Spenglers Fußstapfen machte sich der angesehene britische Historiker Arnold Toynbee nach dem Zweiten Weltkrieg daran, die These empirisch zu untermauern, und gelangte mit seiner umfassenden „Study of History“ zu Weltruhm. Fundierte Kritik von Historiker-Kollegen kränkelte Toynbee nicht an, und die breite Rezeption schien ihm Recht zu geben: 1947 schaffte er es gar aufs Cover des Time-Magazins.
Heute ist sich die Zunft einig, dass „die Muster, die er in der Geschichte sah, eine Illusion waren, und sein gesamtes Projekt die Vergeudung brillanter Geisteskraft“, wie Dan Gardner in „Future Babble“ resümiert. Gerade Gerade große Geister unterliegen oft der Verlockung des Peak Thinking große Geister unterliegen oft der Verlockung des Peak Thinking. Man denke an Georg Lukács pointierte Kritik an Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Die Gründerväter der Frankfurter Schule lebten im „Grand Hotel Abgrund“, von dessen Terrasse aus sie beim Aperitif den Niedergang der Welt betrachteten.
Eine interessante Spielart von Peak Thinking, wenn auch keine Niedergangsgeschichte, lieferte der US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama mit seiner These vom „Ende der Geschichte“ 1992. Der Kalte Krieg war zu Ende, der Zweite Golfkrieg gerade vorbei, und es gab nichts, was dagegen sprach, dass der domestizierte Kapitalismus sich als paradiesischer Endzustand der Geschichte global ausbreiten und den immerwährenden Weltfrieden mit sich bringen würde. Wo wir sind, ist oben. Und: So, wie es ist, soll es für immer bleiben. Dann kam der 11. September 2001. Deutlicher ist Gegenwarts-Eitelkeit selten abgestraft worden.
Besonders anfällig für lineare Fortschreibungen scheint das Feld der Arbeit. Zentrale These: Der technische Fortschritt entlaste den Menschen graduell und sukzessive vom Zwang zur Erwerbsarbeit. Schon Marx sah ein durch Produktivitätsfortschritte freigesetztes Individuum. Zuletzt insistierte Jeremy Rifkin 1995, das „Ende der Arbeit“ sei nahe, fortschreitende Automatisierung werde massenhafte Lohnarbeit überflüssig machen. Heute spricht einiges für das Gegenteil: Die Arbeitsteilung hat neue Bereiche durchdrungen, in allen Industrieländern nehmen durchschnittliche Arbeitszeiten zu, nicht ab. In Deutschland hat zudem die Beschäftigung ein Allzeithoch erreicht. Schon möglich, dass wir in mittlerer Zukunft „Peak Work“ erreichen. Davon, dass „uns die Arbeit ausgeht“, wie in unzähligen Diskussionen gemenetekelt, kann jedoch keine Rede sein.
Und wo wir gerade dabei sind: Auch Douglas Couplands griffige Beschreibung der „Generation X“ als erster Generation, „der es einmal (wirtschaftlich) schlechter gehen wird als ihren Eltern“, erschien 1991 plausibel, als Baby-Boomer alle verfügbaren Jobs und Aufstiegschancen verstopften. Heute ist auch das – trotz Wirtschafts- und Finanzkrise – im großen Ganzen abgehakt. Nun profitieren die Nachrücker vom demographischen Wandel, der sich auf dem Arbeitsmarkt als Fachkräftemangel bemerkbar macht. Zudem erben sie die üppigen Vermögen, die die Baby-Boomer zu Lebzeiten anhäuften.
Literatur:
Manuel de Landa: A Thousand Years of Nonlinear History. 2000
Dan Gardner: Future Babble. 2011