Markenprodukte werden bereits im großen Stil über Absatzpartner wie Amazon verkauft. Mit welchen Strategien können die produzierenden Hersteller darauf reagieren?
Von Prof. Dr. Gerrit Heinemann (04/2016)
Markenprodukte werden bereits im großen Stil über Absatzpartner wie Amazon verkauft. Mit welchen Strategien können die produzierenden Hersteller darauf reagieren?
Von Prof. Dr. Gerrit Heinemann (04/2016)
Endverbraucher erwarten heutzutage das gesamte Produktportfolio eines Herstellers im Netz und möchten neben einer stationären Händlersuche auch online ohne Medienbruch zum Kaufabschluss gelangen. Dennoch ignorieren viele Markenanbieter die „neuen Wünsche“ ihrer Kunden und betrachten das Internet nicht selten wie das Kaninchen die Schlange. Unter diesem „starren Tunnelblick“ entgeht vielen Markenherstellern, dass ihre Produkte nicht selten bereits im großen Stil online verkauft werden, und zwar durch ihre Absatzpartner auf Marktplätzen à la Amazon und eBay. Bis zu 20 Prozent des Absatzes findet bei gängigen Marken bereits über Portale statt, ohne dass dieses vielleicht beabsichtigt oder gar in manchen Fällen bekannt ist.
Welche strategischen Optionen stehen den produzierenden Herstellern hinsichtlich des Online-Markenauftritts eigentlich zur Verfügung? Sinnvoll kann durchaus eine multioptionale Lösung sein, welche direkte und indirekte Distributionsformen verbindet. Diese ist aber nicht ohne Risiken, denn einerseits ist das Wholesaling rückläufig, andererseits kann der eigene Einzelhandel schnell in eine Kostenfalle führen. Zudem ist eine Integration beider Vertriebsformen nahezu unmöglich. Dennoch verfolgen derartige Vertriebsstrategien derzeit mit Hochdruck vor allem die großen Modemarken wie zum Beispiel Boss oder Gerry Weber. Die Kanalkombinationen ermöglichen dabei sowohl einen herstellereigenen Einzelhandel, der enorm boomt, als auch klassisches Wholesaling und/oder innovative Verbundlösungen mit dem (Groß-)-Handel. Wichtig hierbei ist, dass eine solche Option auch das Thema Internationalität berücksichtigt und Anbindungen an Marktplätze ermöglicht.
Stark im Kommen sind auch interaktive Plattformen als zusätzliche Absatzkanäle, die weit über die Funktionalität der bisherigen Marktplätze hinausgehen. Plattformen wie DaWanda und Etsy rüsten massiv auf, sodass davon auszugehen ist, dass in Zukunft Alternativen zu Amazon und eBay bestehen werden. Diese sogenannte Reintermediation, also die Neuerfindung von Intermediären im digitalen Bereich, wird dazu führen, dass traditionelle intermediäre Händler und Fachhändler zunehmend ersetzt werden. Es ist deshalb wichtig, dass Hersteller diese Tatsache in einer expliziten E-Commerce-Strategie berücksichtigen.
Von radikalen Outsourcing-Lösungen wie etwa der Auslagerung eines exklusiven Markenshops an den Handel ist nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre eher abzuraten, da damit auch die Kontrolle aus den Händen gegeben wird. Gerade die Kontrolle wird aufgrund der sich ändernden Marktverhältnisse zum Zünglein an der Waage. Denn das Internet sorgt für vollkommenere Märkte, vorwiegend durch eine hohe Preistransparenz. Demzufolge differenzieren sich viele Online-Anbieter primär durch den Preis. Dies stellt insbesondere für Premium-Hersteller ein großes Problem dar. Allerdings resultieren die Probleme häufig daraus, dass Hersteller am Anfang falsche Weichenstellungen vorgenommen haben, die über selektivere und kontrollierte Absatzwege hätten verhindert werden können. Dies im Nachhinein auszugleichen, gestaltet sich jedoch schwierig.
Um Preiserosionen zu vermeiden, ist unbedingt eine stärkere Kontrolle im Absatzkanal anzuraten, was allerdings zu selektiveren Distributionsmodellen führt. Es gibt auch Marktplätze bzw. marktplatzähnliche Modelle, die diese Kontrolle zulassen, weil sie geschlossen sind. Das Partnermodell von Zalando oder auch der eBay-Markenshop sind markenverträgliche Plattformlösungen, bei denen Preisverhau nicht allgegenwärtig ist. Amazon hingegen nutzt die Preisaggressivität bei Markenartikeln uneingeschränkt, um damit auch mehr Frequenz für Eigensortimente zu schaffen – und nimmt dabei auch Untereinstandspreise in Kauf. Markenanbieter sollten Partnerschaften deshalb nicht zu schnell und unüberlegt eingehen. Denn vor allem in Bezug auf Marktplätze sind Pricingstrategien irreversibel.
Hinsichtlich der Distributionsstrategien führt die Omnipräsenz auf allen Kanälen unweigerlich zu einem erhöhten Preis- und Margendruck. Der Siegeszug der Marktplätze, die in Deutschland bereits für rund ein Drittel aller Online-Handelsumsätze stehen, sorgt diesbezüglich für weiter zunehmende Transparenz, sodass manchen Markenherstellern letztlich nur der Schritt in eine selektive Distribution bleibt. Dabei ist der erhöhte Preis- und Margendruck häufig selbst verschuldet: Vielen Herstellern und deren Händlern fehlt der Einfallsreichtum, sich über andere Kriterien als über den Preis zu differenzieren.
Einige Markenhersteller – zum Beispiel adidas – haben bereits versucht, ein selektives Vertriebssystem zur Markenpflege einzurichten, um dem Preisverfall auf Marktplätzen wie Amazon entgegenzutreten. Das Bundeskartellamt hat die Zulässigkeit des „quasi befohlenen Selektivvertriebs“ von adidas untersagt. Dieses zeigt, dass hier in keinem Fall mit der heißen Nadel gestrickt werden darf. Denn nichts ist schwieriger, als ein solches selektives System nachträglich einzuziehen. Auch adidas hat den Vertrieb auf Marktplätzen mit großer Naivität zu lange ausufern lassen und versucht jetzt nachträglich, den Schaden zu beheben. Jedoch kann auch ein selektives Vertriebssystem nur unter bestimmten Voraussetzungen funktionieren.
Viele Marken-Hersteller verstehen leider bis heute nicht, wie der moderne Kunde tickt. Durch das mobile Internet hat der Kunde die totale Markttransparenz und kann Preisvergleiche „anywhere and anytime“ durchführen. Künftig wollen Kunden selbst bestimmen, ob sie eine Beratung im Handel beanspruchen möchten, und sind nur noch bereit dafür zu bezahlen, wenn sie sich aktiv dafür entschieden haben. Hersteller und Händler müssen ihre Geschäftsmodelle deshalb dringend neu bewerten und preisfähiger ausrichten.
Künftige Geschäftsmodelle sollten Kunden Produkte vergünstigt – ohne Beratung – anbieten und sich die optionale Beratung monetär vergüten lassen. Und sich im Klaren darüber sein, dass dabei die qualitativen Anforderungen an eine optionale Beratungsleistung massiv steigen werden. Auch ein selektives Vertriebsmodell wird sich nur dann durchsetzen können, wenn es einen echten Vorteil für den Kunden schafft.
Prof. Dr. Gerrit Heinemann leitet das eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein, wo er auch BWL, Managementlehre und Handel lehrt. Zuvor war er rund 20 Jahre in leitenden Positionen im Handel tätig. Heinemann ist Gastprofessor am Management Centrum Innsbruck und an der Leipzig School of Media sowie Autor zahlreicher Fachbücher zu den Themen Digitalisierung, E-Commerce, Online- und Multi-Channel-Handel.