Für Organisationen ist es heute und künftig erfolgsentscheidend, über spielerische Kompetenzen zu verfügen. Ein gekürzter Auszug aus der Studie „Playful Business“
Von Silke Seemann
Für Organisationen ist es heute und künftig erfolgsentscheidend, über spielerische Kompetenzen zu verfügen. Ein gekürzter Auszug aus der Studie „Playful Business“
Von Silke Seemann
Der Sinn von Organisationen liegt in Entscheidungen. Denn die Entscheidungen einzelner Individuen werden für die Gesellschaft erst dann relevant, wenn sie im Kontext einer Organisation getroffen werden – egal, ob diese Organisation im Funktionssystem des Rechts, der Politik, der Bildung, der Kunst oder der Wirtschaft arbeitet. Um bindende Entscheidungen zu ermöglichen, spielen Organisationen mit eigenen Regeln. Diese Spielräume können einengend wirken. Aber sie können auch Chancen eröffnen, die Individuen sonst versagt bleiben.
In stabilen Märkten hatten Unternehmen die klare Spielregel „Komplexität reduzieren“. Die Methode war das Management, und sie wurde über Jahrzehnte hinweg optimiert: Wo immer Management zum Einsatz kam, dienten Effizienz und Effektivität als Orientierungsgrößen, und der Modus Operandi war das Reduzieren von Komplexität. Mit zunehmender Vernetzung wächst jedoch die Komplexität in den Umwelten von Organisationen rasant. Organisationen, die in solchen Umwelten überleben wollen, müssen die eigene Komplexität ebenfalls erhöhen. Dazu sind Manager nicht ausgebildet, und nur langsam greifen neue Methoden des Organisierens, die dieses neue, spielerische Denken voraussetzen.
Die sich geradezu überschlagende Möglichkeitsvielfalt lässt Pfadabhängigkeiten entstehen, die zu „Teufelspfaden“ werden: Das Voraussehen von Folgen einer Entscheidung wird zum Glücksspiel. Führungskräfte müssen unter diesen Rahmenbedingungen Paradoxien hinnehmen: Einerseits erweisen sich Umstände als nicht kompatibel, zugleich sind sie aber auch nicht inkompatibel – sie verhalten sich komplementär.
Ein bekanntes Beispiel ist die Frage, ob Licht ein Teilchen- oder Wellenphänomen ist. Seit Heisenbergs Doppelspaltversuch wissen wir, dass diese Frage nur abhängig vom Beobachter beantwortet werden kann. Wer in Organisationen mit diesem Verständnis operiert, geht entspannter durch den Alltag. Doch noch ist diese hochgradig kontextsensible Haltung nicht im Mainstream angekommen.
Ausgebildet für eine Wirtschaft, in der von Knappheit ausgegangen wird, also einem Mangel an Möglichkeiten, befindet sich das Management also aktuell in einer Überfülle an Möglichkeiten, die es schwer macht, zu entscheiden, was zu tun ist. Zudem wächst die Erkenntnis, von Zufällen abhängig zu sein, die weitreichende Folgen nach sich ziehen. Nassim Nicholas Taleb hat sie als „Schwarze Schwäne“ bezeichnet: höchst unwahrscheinliche Ereignisse, die als selbstorganisiertes Zusammenspiel aus „Small Events“ entstehen – verbunden mit Entscheidungen, die auf Machbarkeitsfantasien bauen.
Aktuell arbeiten wir in Organisationen in Misch- und Übergangswelten. Teilweise ist noch alles beim Alten und damit kalkulierbar. Teilweise scheint es aber nur noch so, als wäre alles beim Alten. Um nachvollziehen zu können, welcher Logik zu folgen ist, muss zunächst der aktuelle Komplexitätsgrad wahrgenommen werden. Niedrige Komplexität erlaubt uns, auf Basis antrainierter und bewährter Entscheidungsprämissen zu entscheiden. Das können Regeln und Definitionen sein, über die wir uns die Welt erklären. Routinen sorgen dann für Sicherheit. Organisationen bilden in dieser Hinsicht abgeschlossene Wenn Kinder spielen, zeigen sie, dass es immer auch anders geht. Diese Flexibilität im Denken als Erwachsene zurückzuerobern, ist anspruchsvoll – aber möglich Universen: Wer dazu gehört, versteht die Zeichen und Werte, Neulinge und Außenstehende finden sich nicht zurecht.
Hohe Komplexität hingegen können wir daran erkennen, dass wir jede Definition und jede Unterscheidung, mit der wir uns in der Welt orientieren, jeweils neu entdecken oder entwickeln können und müssen. Bevor es zu einer Entscheidung kommen kann, braucht es einen Forschungsakt, der eröffnet, mit welchen Spielregeln in einem aktuellen Kontext, zu einer aktuellen Zeit zu rechnen ist – und welche Entscheidungen erlaubt und anschlussfähig scheinen.
Dazu muss mit einem wesentlich höheren Maß an Aufmerksamkeit agiert werden. Es braucht eine Haltung der Offenheit und hohe geistige Beweglichkeit: spielerische Kompetenzen. Ähnlich einem dribbelnden Fußballspieler, der eine hohe Wahrnehmung und Aufmerksamkeit von seinem Umfeld hat und sich offenhält, den Ball jederzeit in eine unvermutete Richtung zu schicken, müssen Entscheider ihre Wahrnehmung für die jeweils relevanten Kontexte offenhalten.
Ein hoher Grad an Digitalisierung und die Teilhabe von Künstlicher Intelligenz werden die Agilität vernetzter Systeme noch einmal massiv steigern. Wer in diesen Systemen Einfluss geltend machen will, muss bereit sein, sich in Interaktion mit ihnen zu verändern, zu entwickeln, zu wachsen. Klassisches Management scheitert, weil es genau diese Playfulness vermeidet: Es reduziert Komplexität dort, wo eine Steigerung der Komplexität den Weg zu nachhaltigen Lösungen, zu Überlebensfähigkeit sichern würde.
Resiliente Organisationen, Führungskräfte und Mitarbeiter gehen nicht in den Widerstand. Sie verharren nicht in Enttäuschung, wenn sich etwas ganz anders entwickelt als angenommen. Sie erholen sich schnell und sind bereit, sich staunend auf neue Bedingungen einzustellen. Dabei hilft die spielerische Grundhaltung des „Als-ob“: Sie erlaubt es, sich schnell von Selbstannahmen zu verabschieden und ein anderes, neues „Als-ob“ zu akzeptieren. Kinder, die spielen, beherrschen das perfekt. Uns Erwachsenen ist diese Haltung abtrainiert worden. Doch wir können diese Flexibilität im Denken und Handeln wieder lernen. Es ist nicht einfach, aber gemeinsam geht es. Zumal keine Alternative am Horizont zu erkennen ist.
Dieser Text ist ein gekürzter Auszug aus der Studie “Playful Business”