Danke Mr. Trump, Bay Erdogan, Madame Le Pen, Mr. Johnson, Мистер Putin, Herr Schulz, Monsieur Fillon, de Heer Wilders & Co. – Danke für die großartige Show: Sie lässt uns den Umgang mit Komplexität trainieren.
Von Florian Kondert (04/2017)
Danke Mr. Trump, Bay Erdogan, Madame Le Pen, Mr. Johnson, Мистер Putin, Herr Schulz, Monsieur Fillon, de Heer Wilders & Co. – Danke für die großartige Show: Sie lässt uns den Umgang mit Komplexität trainieren.
Von Florian Kondert (04/2017)
Die aktuellen politischen Galionsfiguren verfolgen sehr unterschiedliche Ziele, doch sie haben eines gemeinsam: Sie sind laut, sie polarisieren, sie mobilisieren. Und sie machen oft ungeahnte Facetten des Geschehens sichtbar, indem sie involvierte Akteure öffentlicher Ämter in Bedrängnis bringen – etwa FBI-Chef James Corney, der offiziell Stellung gegen Donald Trump bezog.
Die aktuellen Überschriften der politischen Online-Magazine lesen sich wie Polit-Thriller auf Speed. Zwar hat der geneigte Leser nach wie vor kaum eine realistische Chance auf nachvollziehbare Fakten – oder die Kompetenz zu erkennen, was wirklich vor sich geht und welchen Darstellungen er glauben kann. Und doch helfen uns gerade diese undurchdringlichen Geflechte und “alternativen Fakten”: Denn endlich machen tagesaktuelle Polit-News wieder wach, endlich passen Politik und Popcorn wieder zusammen, und endlich finden auch die Nicht-Eliten wieder Anschluss an die großen Themen, die die Welt bewegen – weil sie auf diesem Niveau auch den Menschen bewegen und berühren.
Die News dieser Tage laden uns ein, das bisschen politische Affinität zu reaktivieren, das den meisten von uns in den vergangenen Jahren oder Jahrzehnten abhanden gekommen ist. Wir wagen es wieder, uns einzubringen. Dies ist die Voraussetzung, um gesellschaftlich und politisch Neues entstehen zu lassen und Verantwortung zu übernehmen.
Die durchaus brisanten und an manchen Stellen verstörenden Geschehnisse unserer Welt fordern uns auf, einen verträglichen Umgang mit dem dadurch entstehenden kognitiven Stress zu finden. Modellhaft gesprochen durchlaufen wir gewissermaßen die vier Phasen der Trauer nach Verena Kast: 1. Verleumdung, 2. Resignation, 3. Aufrappeln und 4. Neuordnen. Wir befinden wir uns in einer Wandlungsphase hin zum Neuen – als politisch denkende und letztlich handelnde Gesellschaft.
Die individuelle – und damit auch kollektive – Evolution läuft auf Hochtouren, weil unser inneres System diesen manchmal skurrilen, popcornkompatiblen Stress erfährt, etwa die Neuigkeit über die Ausweisung niederländischer Kühe aus der Türkei. Wir müssen mit diesem Sinn-Überschuss umgehen – und trainieren uns so automatisch im Komplexitätsmanagement. Der Unterhaltungswert des uns umgebenden Komplexitätsstroms ist dabei durchaus begrüßenswert: Er erleichtert den Zugang zu Themen, die an sich sperrig sind.
So durchläuft die Gesellschaft durch die aktuell sicht- und spürbaren Reize einen wertvollen Prozess des Neu-Beobachtens, Neu-Hinterfragens und Neu-Lernens. Durch die stellenweise Absurdität und B-Movie-Qualität der einströmenden Reize tritt sogar das uns naheliegende Zweckdenken in den Hintergrund und wird verdrängt durch eine größere Werte-Frage. Gregory Bateson und seiner “Ökologie des Geistes” (1985) zufolge ist dies sogar eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen demokratischer Systeme: Ansonsten drohe die Dominanz des Zwecks allzu sehr die eingesetzten und oft zweifelhaften Mittel zu rechtfertigen.
So formieren wir heute unseren kognitiven Code an kritischen Stellen neu und öffnen den Raum für etwas sehr Wesentliches: das Bejahen von Komplexität. Das nämlich ist die große Aufgabe, um in komplexen Umwelten agil zu bestehen. Die Verneinung, die schlichte Reduktion von Komplexität hingegen macht Systeme schnell selbst unterkomplex: Sie verringert die Anpassungsfähigkeit an überraschende äußere Einflussfaktoren. Genau diese Einflüsse aber werden in einer zunehmend vernetzten Welt noch zahlreicher auftreten.