Frau Smilde, Sie beschäftigen sich intensiv mit alternativen Potenzialen von Musik. Woran arbeiten Sie dabei genau?
Ich war schon immer in der Musik engagiert, aber seit 14 Jahren leite ich die Forschungsgruppe „Lifelong Learning in Music“. Es gibt so viel Wandel, auch kulturellen Wandel, und wir sehen uns an, wie man professionelle Musik neu einsetzen kann. Musiker wurden bislang zu wunderbaren Performern ausgebildet, das müssen sie auch weiterhin werden, aber
Durch Musik können wir Menschen immer erreichen, auch wenn wir mit Worten nicht mehr zu ihnen durchdringen
eine sich so rasant verändernden Welt bedeutet auch, dass sich der Beruf des Musikers schnell verändert. Und Musik kann eine viel größere Rolle im Leben der Menschen spielen als wir es bislang kennen. Musiker waren bisher sehr auf sich selbst fokussiert. Sie wollten das Beste aus sich herausholen, in einem Orchester spielen und vom Publikum geliebt werden. Das ist legitim, aber man kann auch mit Publikum interagieren, das nicht in Konzerthallen kommt. Menschen, die es sich etwa nicht leisten können oder die krank sind. Wir fokussieren uns mit unserer Forschungsgruppe auf neue Anwendungsmöglichkeiten von professioneller Musik.
Welche sind das zum Beispiel?
Wir arbeiten beispielsweise mit Demenzkranken und deren Pflegern zusammen. Wenn Menschen an Demenz leiden, vor allem in einem fortgeschrittenen Stadium, verlieren sie ein Stück weit ihr Menschsein. Durch Musik können wir die Person hinter der Demenz wieder sichtbar machen. Dabei profitieren wir auch davon, dass jenes Areal im Gehirn, das für Musik zuständig ist, trotz Demenz intakt bleibt. Durch Musik können wir Menschen also immer erreichen, auch wenn wir mit Worten nicht mehr zu ihnen durchdringen. Musiker sollen sich aber nicht entscheiden, die klassische Unterhaltung zu verlassen und Therapeuten zu werden. Es funktioniert beides nebeneinander, man kann so mit total verschiedenen Publika agieren. Für die Musiker ergeben sich daraus neue Erfahrungen und eine völlig andere Sicht auf ihre eigene Rolle in der Gesellschaft.
Welche Auswirkungen hat die Arbeit mit Patienten?
Sie vermittelt den Leuten wieder Bedeutung. Wir haben seit zwei Jahren ein Projekt namens Meaningful Music in Healthcare. Dabei arbeitet eine Gruppe von drei Musikern am University Medical Center Groningen an sieben aufeinanderfolgenden Tagen mit Patienten. Das bedeutet, dass sie die Patienten in den Tagen vor und nach ihrer Operation begleiten. Wir spielen für einen Patienten oder eine Gruppe von Patienten und dabei zeigt sich, dass das Schmerzlevel der Patienten nicht nur während der Spieldauer sinkt, sondern es drei Stunden danach sogar noch weiter zurückgeht. Wohlgemerkt geht es dabei um Live-Musik. In diesem Zusammenhang ist die soziale Interaktion zwischen den Menschen sehr wichtig. Wir waren in einem Raum mit vier Patienten unterschiedlichen Alters.