Was hat Trump mit der Zukunft zu tun? Geht es mit ihm nicht geradewegs rückwärts in die Vergangenheit? Ein Text zum konstruktiven Querdenken über das Phänomen des Hass-Populismus. Von Matthias Horx
Trump und die Zukunft

Es hat keinen Zweck, sich etwas schönzureden: Die Zukunft, as we know it, ist in Gefahr. Strömungen des Hasses, des Neides, des Ressentiments breiten sich epidemisch aus. Die Globalisierung, auch die Globalisierung des Geistes, scheint an einem „Tipping Point“ angelangt. Wir, die wir der Zukunft vertrauen, sind ohnmächtig, weil die starken, eindeutigen, gemeinen Gefühle immer die stärkeren sind.
So jedenfalls das spontane Gefühl: Die Entropie schlägt die Komplexität. Aber stimmt das auch?
Die dunkle Seite der Empathie
Leslie Jamison ist eine junge Kulturanthropologin und Autorin des Buches „Die Empathie-Tests“. Darin hat sie sich mit der Frage beschäftigt, welche dunklen Seiten in jenem Grundgefühl der Identifizierung liegen, mit dem wir uns mit Opfern, Schwachen, Benachteiligten identifizieren. In einem Interview von Fanny Jiménez in der „Welt“ sagte Jamison:
„Tatsächlich glaube ich, dass Empathie oft eigennützig ist – man fühlt sich besser, wenn man intensiv mitfühlt – und zu einer Form von Selbstgerechtigkeit werden kann. Beim Schreiben hat mich fasziniert, wie Empathie gefährlich werden kann: die Tyrannei der Vorstellungskraft (wenn man Vermutungen über jemanden anstellt) oder die Gefahr der Selbstgefälligkeit, das Risiko, dass Empathie zum Selbstzweck wird (statt zum Katalysator altruistischen Handelns). Um diese Komplexität geht es mir.“
Jamison reiste zu einer Jahresversammlung von Betroffenen der umstrittenen Morgellons-Krankheit, deren Opfer von seltsamen, bunten Fasern und Objekten berichten, die aus ihrer Haut austräten. Sie erwartete in diesem Kreis zunächst nur Gutes: nämlich eine Gemeinschaft von Menschen, die einander unterstützen. Doch am Ende wurde ihr klar, dass bestimmte Formen der Empathie neurotische und destruktive Erzählungen verstärken; dass Empathie den Schmerz manchmal nur zementiert, indem sie ihn zurückspiegelt, und den Fühlenden und den Mitfühlenden in einer negativen Verschwörung gefangen hält.
Ähnliche Einwände formuliert der Psychologe Paul Bloom in seinen Werken. Er konstatiert ein „Empathie-Bias“: Durch blinde Identifikation mit „Opfern“ besteht die ständige Gefahr zum Abgleiten in Rachegefühle. Ungerechtigkeit wird, emotional aufgeladen, immer als emotionaler Trigger für Machtstrategien genutzt.
Genau das können wir in Sachen Trump, Pegida, Hasspopulismus generell beobachten: Hier wird Machtgier mit Opferkult legitimiert. Es geht ja um die „kleinen Leute“, die Schwachen, „das Volk“, das ungehört und ohnmächtig ist, und endlich eine Stimme braucht, damit sein Elend hörbar wird! In dessen Namen kann, nein muss man jede Schweinerei begehen...
Folterer nähern sich ihrem Opfer immer mit scheinbarer Empathie. Lobbyisten versuchen, vor allem Empathie-Standpunkte herauszustellen. In jeder Familie wird mit Empathie-Argumenten erpresst, was das Zeug hält. Jeder Aufruf zur Gewalt ist gleichzeitig ein Appell an die Empathie mit der Gruppe, der diese Gewalt Vorteile verschaffen soll.
Paul Bloom schlägt dagegen vor, es besser mit dem produktiveren Mitgefühl zu versuchen. Mitgefühl ermöglicht uns die notwendige Distanz. Wenn ich Mitgefühl habe, kann ich einen arbeitslosen Stahlarbeiter verstehen, aber ich muss nicht seinen Hass gegen Migranten legitimieren oder gar teilen. Ich kann den Zorn derer, die aus irgendeinem Grund sauer sind und nicht mit dem Leben zurechtkommen, nachvollziehen, ohne das daraus Mitgefühl ermöglicht uns die notwendige Distanz resultierende Abwerten anderer gutheißen zu müssen. Diese Grenze wider den Opferkult zu setzen, ist eine wichtige Verteidigungslinie gegen den inneren Populismus – jene Stimme, die uns einflüstern will, die Trumps und Petrys dieser Welt wären nur „Symptome“ und „hätten eigentlich Recht“, und die Welt müsse sowieso zum Teufel gehen...
Resonanzkatastrophen: Die Botschaft der „Clusterfucks“
In seinem Grundwerk „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen“ beschreibt der Soziologe Hartmut Rosa, wie Menschen in ihrer ganzen Existenz auf Erkannt- und Gewolltwerden angewiesen sind. Ohne Anerkennung können wir nicht leben. Darin spiegelt sich die existenzielle Verletzlichkeit des Menschen, aber auch seine außergewöhnliche Fähigkeit zur Sozialität.
Die Menschen, die Trump an die Macht gewählt haben, leiden unter einem Defizit an positiver Resonanz. Sie fühlen sich nicht akzeptiert, geborgen, verbunden. Ihr Kontrakt mit der Bösartigkeit Trumps rührt aus diesem Verletzungsgefühl. Sie verbünden sich mit einem Rüpel, weil sie damit ihre Aggressionen auf einen anderen, Mächtigen übertragen können.
In der Hypervernetzung durch die sozialen Medien entsteht eine Überresonanz der Emotionen. Stimmungen und Gefühle können sich in dieser gigantischen Echokammer in kurzer Zeit radikal aufschaukeln – das hat Trump meisterhaft für sich genutzt.
Dabei gelten nicht mehr die linearen Gesetze der Medien (etwa von von Reichweite, Auflage, Quote, Argument, Wahrheit, Überzeugung, Abwägung), sondern exponentielle Skalen-Gesetze. Wenn sich eine Gruppe von 20 oder 100 Menschen vernetzt – das konnten auch unsere Jäger- und Sammler-Urahnen schon – hat das wenig Konsequenzen auf die Umwelt. Aber wenn sich plötzlich Millionen Individuen in Meinungsblasen, Hass-Stürmen, hate bubbles vereinen, ändert sich die soziale Struktur.
Wenn wir den Hass-Populismus von dieser Seite verstehen, wird er zu einer typischen Resonanzkatastrophe. Ein mentaler Clusterfuck. Dieser seltsame Begriff wurde vom amerikanischen Militär für jene Ereignisse geprägt, in denen sich kleine Ausgangsereignisse gegenseitig hochschaukeln – bis alles in Trümmern liegt. Der Irak-Krieg war ein solcher Clusterfuck. Die Finanzkrise. Und eben die Trumpifikationen unserer Zeit.
Erleuchtete Ignoranz: Das große Abschalten
Was den Hass-Populismus auf breiter Front vorbereitet hat, ist der mediale Negativismus, der in den vergangenen Jahren epidemische Ausmaße angenommen hat. Jede noch so kleine Problemlage wird zum Abgrund hochdefiniert. Jeder Kommentar eines Politikers zum Skandal umgemünzt. Im unersättlichen Hunger der Medien nach der raren Ressource Aufmerksamkeit bildet sich der Humus für die populistische Regression: Negativer, hysterischer, verdachtsorientierter, opferverherrlichender und staatsfeindlicher Diskurs wird täglich eingeübt. Dass „die da oben“ schuld sind und „die Eliten“ nichts taugen, das ist heute Tenor des Frühstücksfernsehens. Die wenigen Medien im Bereich des “konstruktiven Journalismus” – etwa die neue Web-Plattform „Perspective Daily“ – können dem noch wenig entgegensetzen.
Sind wir wirklich bereit, unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, unsere Kultur, als apokalyptisch, verdorben, korrupt verlorenzugeben? Natürlich leben wir nicht in einer heilen Welt. Jede Gesellschaft, jeder Fortschritt, hat immer irgendwelche Opfer. Zivilisation ist die Moderation von Ungleichheiten. Die absolute Gut-Gesellschaft, in der niemand sich abgehängt fühlt, wird es nie geben – und wenn, dann wäre sie schrecklich.
In den nächsten Jahren wird es zu einem breiten und anhaltenden Medien-Exodus kommen, vor allem in den gebildeten Schichten. Der Aufforderung des Kognitionspsychologen Rolf Dobelli, „die Medien abzuschalten, um das Leben wiederzugewinnen“, folgen jetzt und in Zukunft immer mehr Menschen. Die erste Handlung, um die innere Freiheit zu regenerieren, ist der Druck auf den Aus-Schalter. Denn die Droge der täglichen Erregung zerstört unser mentales Immunsystem und verwandelt uns in hysterische Ängstlinge.
Es geht aber keineswegs darum, sich zu isolieren. Die Devise lautet nicht „disconnect“, sondern „reconnect“: Das Ziel ist eine neue Medienkompetenz in einer reizüberfluteten Kultur. Das meinen wir mit dem Trendbegriff OMline. Im digitalen Zeitalter die informelle und kommunikative Balance wiederzufinden, die Medien im Sinne eines konstruktiven Lebens zu selektieren – darum wird es in Zukunft gehen.
Die Pflicht zur Zuversicht
Die Politologin Esra Küçük sprach neulich in einer Rede vom „Mut, keine Angst zu haben“. Man könnte auch von der Pflicht zur Zuversicht sprechen. In einer hysterisierten Kultur wird Gelassenheit eine begehrte und erlernbare Kulturtechnik. Immunkräfte gegen die Negativität zu entwickeln, Hoffnung als kostbare Lebensenergie zu betrachten: Das ist ein wesentlicher Bestandteil des Achtsamkeitstrends.
In W. H. Audens poetischem Szenenstück „The Age of Anxiety“ (1948) – das Zeitalter der Angst – konfrontieren sich vier Personen in einer Bar der Nachkriegszeit mit dem Schrecken der Weltgeschichte. Alles beginnt düster, das Grauen der Welt scheint die Wirklichkeit und die Zukunft zu bestimmen. Doch dann beginnen die Protagonisten zu begreifen, dass die Angst verschwindet, indem man die inneren Bindungskräfte stärkt, die Sympathie untereinander – in gegenseitiger Liebe zu sich selbst, zum Fremden, zur Welt...
Und: Ironie hält uns innerlich lebendig und in geistiger Bewegung. Deshalb ist das gute Lachen in Zukunft die beste Waffe Wer achtsam lacht, versteht, dass die Welt immer mehrere Seiten hat gegen die Herrschaft des Grölens. Wer achtsam lacht, versteht, dass die Welt immer mehrere Seiten hat. Er schlägt sich auf die Seite des Eingeständnisses, dass die Welt nicht zu retten, wohl aber zu verstehen und zu verbessern ist. In diesem Moment ist man immun gegen die Gespenster der Vergangenheit, die jetzt wieder aus der Gegenwart hervorzubrechen scheinen.
Wie funktioniert Wandel in Zeiten negativer Emotionalisierung?
Der Soziologe Armin Nassehi schreibt in seinem Essay „Die große Weltveränderung“, Veränderungen müssen listig angegangen werden – „listig in dem Sinne, dass man ihnen eine Chance geben muss, sich von den Intentionen der Beteiligten unabhängig zu machen. Wenn sich die Dinge bewähren, kommen die Intentionen schon hinterher.“ Nassehi schreibt weiter:
„Paradox ist, dass es offenbar nicht möglich ist, Veränderung durch Aufklärung anzuregen, sondern umgekehrt: Aufklärung durch Veränderung. Das ist ein pädagogischer Gedanke: Verhältnisse einzurichten, in denen sich anderes Verhalten so bewähren kann, dass es sich normalisiert.“
Nassehi nennt diese Art der Wandel eine Restabilisierung-Strategie. Der evolutionäre Ansatz des Handelns setzt auf die Selbstorganisations-Fähigkeit von Menschen und Gesellschaften. Er traut Menschen und Systemen eine heilsame Autonomie zu. Dieser Vitalismus vertraut der Zukunft als formende Kraft in der Gegenwart, ganz gleich, wer oder was gerade die Regierung stellt.
Eine Ära der Glokalisierung
Trumps Sieg scheint zunächst ein glatter Sieg des Nationalismus – ein Schlag gegen die Globalisierung generell. Aber ist der Nationalstaat eigentlich noch das zentrale Aktionsfeld in einer hyperkonnektiven Welt? Jenseits der Struktur der alten Ländergrenzen entsteht längst eine zweite metapolitische Struktur des Glokalen. Städte, Regionen, ganze Teil-Länder lockern ihre nationalstaatlichen Bindungen und kooperieren direkt untereinander. Ein transnationales Netzwerk entsteht, in dem sich die dynamischen Regionen zu Pakten, Allianzen und Aktionsbündnisse formieren.
Kalifornien kooperiert in Sachen grüne Energie direkt mit Provinzen Chinas und mit Baden-Württemberg…
Berlin, Vancouver und Peking beschließen eine Null-Karbon-Politik...
Es ist kein Zufall, dass sich gerade jetzt die Bürgermeister großer Weltstädte zu einem „Parliament of Global Mayors“ versammelt haben (wobei ihre Städte nicht selten die Einwohnerzahlen ganzer Länder haben). Benjamin Barber, der Gründer dieser Bewegung, sagte in einem Interview mit „Zeit Online“:
„Wie sollen wir mit einem Regierungssystem die Zukunft gestalten, das 400 Jahre alt ist? Unsere Welt ist heute immer vielschichtiger in gegenseitigen Abhängigkeiten miteinander verbunden, aber regiert wird sie nach wie vor von Nationalstaaten. Die Städte könnten wertvolle andere Perspektiven einbringen. (…) Städte reagieren schneller, konkreter und bürgernäher auf die großen Krisen, ob auf die Gefahren des Klimawandels, die Migration oder die Bedrohung der Sicherheit. Bürgermeister müssen handeln. Und sie tun das unideologisch und pragmatisch.“
Die Urban-Kids-Bewegung
Der indische Politikwissenschaftler Parag Khanna zeigte unlängst in einem TED-Vortrag die Realvernetzung der Welt auf. Längst verlaufen die Kraft- und Wachstumslinien jenseits der alten Nationalgrenzen. Städtische Ballungs- und Boomgebiete mit zwei Drittel der gesamten Weltbevölkerung als Einwohner bilden in Zukunft das neue globale Konnektom.
Trumps Triumph war auch ein Sieg der Provinz, der Kleinstadt über die Metropolen. Gerade deshalb wird er die Formierung einer neuen kosmopolitischen Jugendgeneration befördern – oder eines neuen Jugendgefühls, das sich der Offenheit, dem Universalismus und der Kreativität verpflichtet. Nennen wir sie die “Generation Global”. Diese Generation wird in den kommenden Jahren auf die Straße gehen und – noch wichtiger – die Strukturen des neuen transnationalen Die Generation Global wird ein neues transnationales Netzwerk bauen Netzwerks bauen.
Dass die Welt eins ist – ein Ort der Kooperation, ein Ort des Lebens –, diese holistische Idee geht letztlich auf die 1960er- und 1970er-Jahre zurück. Damals sahen wir zum ersten Mal – durch die Augen der Astronauten – die ganze Erde von außen. Diese Ikonographie ist unschlagbar, weil sie die andere Seite des Menschen anspricht: unseren Hang, uns als Teil eines größeren Ganzen, einer letzten Endes kosmischen Dimension zu begreifen.
Aber bleiben wir nüchtern. Zukunft entsteht am Ende nicht dadurch, dass sich das Gute durchsetzt. Sondern dass das Böse scheitert. Wir stehen vor einer Zeit des Scheiterns, und das wird nicht einfach. Aber Trump wird uns in seinem stetigen Fall einen Gefallen tun. Er wird neue Weltstrukturen provozieren, indem er versucht, alte Verhältnisse wieder herzustellen. Ganz nach Goethes Devise von der Kraft, die stets das Schlechte will und doch das Gute schafft.
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