Matthias Horx mit einer futuristischen Betrachtung zum Jahresbeginn 2017 und Empfehlungen zu einem neuen Denken über die Zukunft.
Wo bitte bleibt die Zukunft?

Was ist um Himmels Willen mit der Zukunft los? Lauscht man in das unendliche Stakkato der Meinungen, Meldungen und Weltbeschreibungen – in den Medien, im Netz, in der Nachbarschaft, selbst in der Familie –, kann man meinen, sie habe sich endgültig aus unserem Leben verabschiedet. Die Welt scheint ins Trudeln geraten zu sein und vor uns liegt: das Chaos. Stattdessen sehnen sich immer mehr Menschen in eine vermeintlich bessere Vergangenheit zurück.
Können wir Zukunftsforscher also unseren Job an den Nagel hängen?
Mal langsam.
Erstens:
Wir befinden uns tatsächlich in einem Paradigmen-Bruch, in dem sich wichtige Systeme – etwa das tradierte politische Wahlsystem, das System der Globalisierung, aber auch das mediale System – tiefgreifend verändern. Dies anzuerkennen kann viel Panik dämmen. Solche Zeitenwandel kommen in zyklischen Abständen von rund 25 Jahren vor. 1945: Ende des Zweiten Weltkriegs. 1968: Die Kulturrevolte und das Ende der autoritären Kultur (im Westen). 1989: Ende der Ost-West-Teilung. Und jetzt eben 2016. Eine neue Weltordnung entsteht, und dass es dabei turbulent zugeht, ist, wie bei allen echten Wandlungsprozessen im Leben, nicht zu vermeiden. Solche Turbulenzen zu beschreiben ist die Aufgabe einer systemischen, ganzheitlichen Zukunftsforschung.
Zweitens:
Das Spezifische an solchen Umschwüngen ist, dass uns die Verhältnisse plötzlich schrill und vollkommen fremd vorkommen. Das liegt aber weniger an der Schlechtigkeit der Welt, als an der Eigenschaft des menschlichen Geistes, Klischees der Wirklichkeit mit der Wirklichkeit selbst zu verwechseln. Es handelt sich um das, was die Kognitionspsychologen „Kognitive Dissonanz“ nennen: Die Wirklichkeit will nicht so, wie wir sie uns immer vorgestellt haben.
Drittens:
Dass die Welt „immer schlechter“ wird, wie das inzwischen fast jeder herunterbetet, können wir als Trend-Forscher und Big-Data-Analytiker nicht bestätigen. In der Tat tobt im Nahen Osten ein weit verzweigter Bürgerkrieg, aber im großen Rest der Welt herrscht mehr Frieden als jemals zuvor. Viele Parameter der Globalisierung verändern sich zum Positiven, auch wenn der mediale Eindruck genau gegenteilig ist. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Afrika ist in den letzten 15 Jahren um 12 Jahre gestiegen. Die absolute Anzahl der bitter Armen ist massiv gesunken, Hungerkatastrophen sind selten geworden, 92 Prozent aller Kinder des Planeten gehen heute zur Schule – so viele waren es noch nie. Wir nehmen Fortschritte selten wahr, dafür umso mehr STÖRUNGEN unserer Weltbilder. Dahinter steht aber auch ein medial getönter Narzissmus: Wir finden alles wichtig, was uns irgendwie zu bedrohen scheint. Aber wir ignorieren das, was besser wird – weil es uns scheinbar nicht betrifft.
Viertens:
In der Tat geht es auch um eine „Krise der Zukunft“. Diese Krise betrifft aber nicht die Zukunft selbst, sondern die falschen Mythen von ihr. Es ist einer der Grundfehler der Futurologie, Technologie als Heilsversprechen zu predigen. Was predigen Zukunfts-Gurus normalerweise? Demnächst werden wir uns alle Chips unter die Haut implantieren lassen, die uns dazu anhalten, gesund zu leben! Künstliche Intelligenz wird uns reich und glücklich machen! Wirklich? Was ist mit dem Faktor Mensch? WILL eigentlich irgendjemand diese hyperdigitalisierte Zukunft, die wir uns dauernd vormachen?
Wie geht es weiter?
Bruno Giussani, der Europa-Chef von TED, der großen Zukunfts-Ideen-Agentur, sagte mir neulich in einem jener erleuchtenden Gespräche, die man in diesen Zeiten eben AUCH führen kann: „Ich glaube, die Menschen sind einfach nur erschöpft. Sie sind erschöpft von einem viel zu schnellen, unstrukturierten, unverstandenen Wandel, der eher über sie hereinbricht, als dass sie ihn gestalten können.“
Vielleicht ist es einfach nur das: Wir sind erschöpft von eindimensionalen Fortschritts-Versprechen Die wichtigsten Innovationen der Zukunft sind SOZIALE Innovationen der Technologie. Die wichtigsten Innovationen der Zukunft sind SOZIALE Innovationen (bei denen das Internet durchaus eine konstruktive Rolle spielen kann). Wir vom ZUKUNFTSINSTITUT wollen diese Debatten um die richtige, die bessere, die KOMPLEXERE Zukunft vorantreiben. Wir wollen dabei mit unseren Kunden NEU DENKEN lernen: Jenseits der futurologischen Klischees. Dazu gehört es, unkonventionelle und „provozierende“ Fragen zu stellen:
- Könnte sich der „Trumpismus“ als eine Art kreative und letztlich konstruktive Störung eines erstarrten etablierten Politiksystems erweisen?
- Entsteht eine neue GLOKALE Weltordnung, in der sich Regionen und Städte auf neue Weise vernetzten – als Alternative zur Globalisierung amerikanischer Bauart?
- Sind Gegentrends bisweilen stärker als Megatrends – und steuert sich die Zukunft durch Krisen selbst?
- Ist Technologie wirklich immer und überall das lösende Element, auch im Kontext von Business-Modellen der Zukunft?
Unsere Neujahrswünsche an Sie, liebe Zukunftsfreunde: Informieren Sie sich anders als im Rahmen der medialen Angst und Erregungskultur! Sehen Sie sich TED-Talks über Ideen der Zukunft an (auf TED.org). Gönnen Sie sich erhellende Videos von Hans Rosling, dem Daten-Altmeister des globalen Optimismus (unter gapminder.org). Oder optimistische Zahlenreihen bei ourworldindata.org. Lesen Sie ab jetzt konstruktiven Journalismus, wie er sich als Gegenpol zu den Weltuntergangsmedien entwickelt: Etwa auf der Website GOOD.is. Oder in deutscher Sprache: perspective-daily.de. Denken Sie nicht mit dem Strom, denken Sie NEU! Und lassen Sie die Gefühle nicht draußen, wenn es um Zukunft geht.
Ein frohes neues Jahr
wünscht Ihr Matthias Horx