Future Towns - Garden Villages

Die alte Synthese zwischen Dorf und Stadt erlebt eine Renaissance. In Großbritannien wird versucht diese urbane Ländlichkeit der traditionellen „Towns” in neuen Siedlungsprojekten umzusetzen: Liegt die Zukunft der Kleinstädte in der Wiederbelebung der Gartenstadt-Idee? Ein Auszug aus dem Home Report 2019.

Von Oona-Horx-Strathern und Matthias Horx

Das englische Wort „Town“ meint etwas anderes als Kleinstadt, obwohl es ein Siedlungskonglomerat von 1.000 bis 10.000 Menschen bezeichnet. Englische „Towns“ sind eine ganz spezifische soziale Lebensform, die sich aus einer idealen Verschränkung von Individualität und Gemeinschaft entwickelt hat. Die Towns verfügen über eine eigene Poesie, die in unendlich vielen Romanen, Serien und Filmen vorkommt. Sie liegen alle im Kernland von Winnie-the-Pooh. Manchmal auch in Colorado oder am Rande der Rocky Mountains.

Towns – ein Mix von Alt und Neu

Towns sind über Jahrhunderte gewachsene Sozialstrukturen, die sich gegen Rationalisierungen und Vermassungen erfolgreich gewehrt haben. Dort findet man eine ganz bestimmte Art der aktiven Bürgerschaft, die wenig dem Staat überlässt und die Entscheidungen auf der lokalen Ebene trifft. Architektonische Scheußlichkeiten werden gar nicht erst zugelassen. Der Sonderling, der Individualist, der Kauz – sie alle sind ein integrativer Teil des Sozialsystems. Jeder hat einen Garten, denn das beruhigt und führt zu einer sozialen Kulinarik. Towns haben traditionelle Inns und Pubs, die mindestens seit 1410 existieren, und natürlich Kirchengemeinden, die unglaublich fleißig soziale Schieflagen „Towns können leichter Anschluss an die Moderne finden als deutsche Dörfer und Kleinstädte, weil das Alte und das Neue sich in ihnen vermischt.“ ausgleichen.

Towns können leichter Anschluss an die Moderne finden als deutsche Dörfer und Kleinstädte, weil das Alte und das Neue sich in ihnen vermischt. Sie haben weniger die Tendenz zur Verengung der Tradition und zum Ausschluss des Fremden. Das liegt auch daran, dass das englische – und auch amerikanische – Provinzleben mehr von Migration geprägt war, aber auch vom ständigen Umzug zwischen Stadt und Land. In einer englischen Town haben viele schon einmal in London oder Birmingham gewohnt und sind zurückgekehrt oder haben hier einen Zweitwohnsitz. Einen der zahlreichen Pubs hat immer ein Hippie übernommen, der viel herumgekommen ist und jetzt Jamie-Oliver-Küche anbietet. Das Idyllische ist nicht nur Fassade, sondern immer auch eine Werbung für den Ort. Eine Town macht sich nicht nur für die eigenen Bürger schön, sondern auch für die Gäste.

Garden Towns & Garden Villages: Wohnen im Grünen

Man könnte die soziale Struktur einer Town als Matrix für ein balanciertes Leben zwischen Soziabilität und Individualität sehen – glokal, eben urbane Ländlichkeit. Aber kann man eine Town nachbauen oder auf die grüne Wiese setzen? Vor 25 Jahren ließ Prinz Charles eine nachhaltige Town namens Poundbury in Dorset erbauen. Dafür erntete er viel Kritik, vor allem für den altmodischen Stil und für die Wahl des Architekten: der kontrovers diskutierte, anti-modernistische Architekt Léon Krier. Heute ist Poundbury eine beliebte Town geworden, in der rund 3.000 Menschen leben.

Dennoch arbeiten derzeit viele englische Städte und Regionen an einer Renaissance der „Garden Towns“ und „Garden Villages“, die eine Art Nachbau der idyllischen, sozial verbindlichen Lebensweise in der Provinz sind, allerdings ohne einen historisch gewachsenen Ortskern. Sie sind nicht als Erweiterung schon existierender Kleinstädte oder Dörfer gedacht, sondern werden als neue Orte mit eigenen Gemeindeeinrichtungen gestaltet. Von Cornwall bis Cumbria sind derzeit 14 solcher neuen Siedlungsprojekte in Planung, die jeweils 1.500 bis 10.000 Wohnungen beinhalten sollen. Die Bauherren der Projekte sind großteils lokale Gemeinden.

Idylle und Naturnähe trifft auf High-Tech

Ein 600 Hektar großer ehemaliger Flugplatz in der Nähe von Corby in Northamptonshire ist einer der Orte, an denen sich bald 1.000 neue Häuser rund um einen Dorfplatz, Geschäfte und eine Gemeindehalle befinden werden. Dunton Hills, ein Gartendorf in der Nähe von Brentwood in Essex, wird mindestens 2.500 Wohnungen sowie neue Stellplätze für Caravans und Wohnmobile haben.

Der vielleicht beste Plan ist die Vision für das West Carclaze Garden Village in Cornwall: Dort soll ein Öko-Dorf mit 1.500 neuen, energieeffizienten Häusern, einer Grundschule, einem Solarpark und 350 Hektar Grünfläche mit Fahrradwegen entstehen. Und natürlich gibt es Platz für ein Pub, in guter alter englischer Dorftradition. Der zuständige Wohnungsbauminister Gavin Barwell sagte, dass die neu entstehenden Garden Villages von der lokalen Gemeinde und nicht von der Regierung geführt werden sollten, um wirklich erfolgreich zu sein (Elgot 2017). Diese Regelung ist jedoch in die Kritik geraten, weil durch diese neuen Towns immer mehr Grünflächen bebaut werden. Es muss eine gesunde Balance zwischen dem Bedarf an mehr Wohnraum und dem Schutz der Landschaft gefunden werden.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Dossier: Wohnen

Dossier: Wohnen

Weltweit steht die Bauwirtschaft vor Jahrzehnten spannender Aufgaben. Wir benötigen neue Mobilitäts-Infrastrukturen und Energie-Landschaften, Lösungen für partikulareres und gemeinschaftliches Wohnen - viel Raum für Planer und Verwirklicher.

Folgende Menschen haben mit dem Thema dieses Artikels zu tun:

Oona Horx Strathern

Trendforscherin Oona Horx Strathern ist Expertin für Urbanisierung, Wohnen und Bauen. Sie beleuchtet als Keynote Speaker die Entwicklung unserer Lebensräume.