Warum wir uns für eine bessere Gesellschaft nicht auf Sozialunternehmer verlassen sollten. Ein kritischer Blick auf die Sprache, Ideale und Umgangsformen von Berliner Startups.
Von Bijan Kafi (05/2017)
Warum wir uns für eine bessere Gesellschaft nicht auf Sozialunternehmer verlassen sollten. Ein kritischer Blick auf die Sprache, Ideale und Umgangsformen von Berliner Startups.
Von Bijan Kafi (05/2017)
Es gibt viele gute Gründe, in Berlin zu leben: die Spree, die Kulturszene, die kleinen Designerläden. Überhaupt, wer das Individuelle schätzt, findet in Berlin ein reizvolles Umfeld. Das liegt wohl auch daran, dass in Berlin so viele so sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Berlin ist besessen vom Individualismus als Lebensstil. Yoga-Studios, Veganismus, ein Dasein als Freelancer, die Entfaltung der eigenen Kreativität – auf den Straßen von Kreuzberg und Mitte ist Laktoseintoleranz ein Lebensentwurf.
Viel von seiner Attraktion bezieht dieser Individualismus allerdings auch aus dem Ideal, Selbst- und Weltverbesserung zu kombinieren: Wir machen Yoga für den Weltfrieden, essen vegan für das Klima und co-worken in lauten Cafés, um neue Arbeitsideale zu kultivieren. Dementsprechend ideell aufgeladen kommt der Königsweg altruistischer Selbstverwirklichung in der deutschen Startup-Metropole daher: das soziale Unternehmertum.
Seit findige Geschäftsleute herausgefunden haben, dass sich mit unserer Sehnsucht, selbständig, aber dennoch nicht allein sein zu wollen, prächtig Geld verdienen lässt, boomen die Co-Working-Spaces. Hier betritt man ein eigenes Sprachuniversum, geprägt vom überbordenden Sinn für die gesellschaftliche Berufung des Jungunternehmers, dem die Rettung der Welt auffällig leicht fällt. Was nicht funktioniert, wird kurzerhand „gehackt“, gegebenenfalls auch gleich das Leben („life hacking“). Vermutlich ist der Begriff deshalb so beliebt, weil Ruhm und Ehre des Hackers wie des Unternehmers größtenteils von individueller Hartnäckigkeit abhängen – die Gesellschaft, für die man tätig sein will, bleibt einem dabei fremd.
Überhaupt sind viele der in der Coworking- und Gründerszene verwendeten Ausdrücke ungewohnt emotional aufgeladen. Sie kreisen um das Ego und dessen Selbsterfahrung. Geworben wird mit der Möglichkeit zum „Wachstum“ in einer „wahren Gemeinschaft“, zum „Aufbau von Beziehungen, die wirklich zählen“. Dieser Fokus auf das Verbinden und Wachsen macht viele hier auffallend begeistert („excited“) und leidenschaftlich („passionate“). „Work hard, play hard, buch einen Yoga-Kurs“ – so der Rat eines beliebten Szenetreffs.
Diese Umdeutung von Profitmaximierung in einen Akt der Selbsterfüllung setzt eine bekannte Ökonomisierung der Sprache in umgekehrter Weise fort. Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass „success“ nicht mehr „Abfolge“, sondern „Erfolg“ bedeutet. Die Liste lässt sich leicht um „Fortschritt“, „Entwicklung“, „Wachstum“ oder „Innovation“ ergänzen – alles Ausdrücke, die sich längst von ihrem ursprünglichen, wertneutralen gesellschaftlichen Kontext gelöst haben und anders als ökonomisch besetzt in unserem Alltagsbewusstsein kaum noch existieren. Eigentlich, irgendwie, meinen sie alle dasselbe: höher, schneller, weiter als die anderen.
Dieser Gründerjargon bezweckt vor allem eines: den Standardmechanismus wirtschaftlicher Aktivität – billig kaufen, teuer verkaufen – weniger langweilig (und brutal) darzustellen, als er wirklich ist. Mit wahren Gemeinschaften haben die Wahlverbindungen, die er propagiert, nichts zu tun. Sie halten so lange, wie sie ihren Initiatoren zweckdienlich sind. Nicht um Community geht es, sondern um Kalkül. Diese Sprache verschleiert mehr als sie enthüllt. Sie deutet Gemeinschaft zu einer Maschine um, deren Probleme mit derselben geschäftsmännischen Findigkeit zu beheben sein sollen wie der Keilriemen eines Motors.
Diese Außendarstellung prägt auch Jugendliche, die sich, auf der Suche nach den letzten Nischen für selbstgesteuerte Initiative, ihren gesellschaftlichen Beitrag kaum noch anders als unternehmerisch vorstellen können. Laut der Shell-Studie liegt der Anteil „zunehmend pragmatischer“ Jugendlicher, die sich noch organisiert politisch engagieren, in Deutschland bei 17 Prozent. Immer mehr von ihnen gründen lieber Firmen. Viele Events, auf denen sie zusammenkommen, präsentieren deshalb die Weltrettung geschickt als Selbsterfahrungstrip.
Auf einer EU-Veranstaltung waren Teilnehmer kürzlich aufgerufen, Geschäftsmodelle zur Lösung gesellschaftlicher Probleme in Nordafrika zu erarbeiten. Bei hämmernder Rockmusik suchten blutjunge Unternehmer aus der europäischen Mittelschicht nach unternehmerischen Lösungen für Probleme, die sie allenfalls aus den Nachrichten kannten. Eine ähnliche Veranstaltung forderte die Teilnehmer auf, gesellschaftliche Probleme zu benennen, die sich durch Technik lösen ließen. Von Wasserknappheit bis zur „1-Dollar-Brille“ reichten die zahlreichen Vorschläge – die freilich alle übersahen, dass bereits die Frage unsinnig war, weil sich gesellschaftliche Probleme von technischen grundlegend unterscheiden.
Das Problem besteht darin, dass viele der Teilnehmer gerade der Wunsch, Verantwortung für andere zu übernehmen, antreibt. Doch weil ihre Idole den Leitwert der Selbstständigkeit als unternehmerische Unabhängigkeit missverstehen und nichtökonomische Ideale gering schätzen, verachten viele die politische Sphäre als nicht ausreichend ergebnisorientiert. Den Abbau öffentlicher Institutionen empfinden sie als befreiend, ihre berufliche Erfüllung als rein persönliche Verantwortung. Damit wächst zugleich der Druck auf diejenigen jungen Menschen, die sich für künstlerische oder soziale Themen interessieren.
Tatsächlich lösen Unternehmen gesellschaftliche Probleme oft nicht effektiver als Staaten. Die Erfolge von Public-Private-Partnership-Projekten sind beispielsweise häufig gering. So können Mikrokredite zwar Leid lindern, aber sie befreien selten aus Armut. Viele Sozialunternehmen im globalen Süden sind nie integrale Teile ihrer Gesellschaften geworden – und ihre Lösungsangebote dementsprechend krisenanfällig. Die Forschung zeigt zudem, dass sie zur Minderung von Ungleichheit nicht gut geeignet sind. Das liegt auch daran, dass Social Businesses den politischen Raum nicht um seiner selbst willen respektieren können, sondern dass Teilhabe profitabel muss. So können sie die Entstehung politischer Foren, die Betroffene selbst verantworten, behindern.
Um das zu ändern, müssen wir unsere Sehnsucht nach dem „Wandel, der wir selbst sind“ (Gandhi) von der persönlichen Spaß-Maximierung lösen. Es gibt vieles, was der Gesellschaft nützt und die Selbstverwirklichung fördert, aber vordergründig keinen Spaß macht – zum Beispiel der uneigennützige Dienst an der Gemeinschaft: Er verlangt – ob als Hausfrau, Single-Vater oder Straßenfeger – viel Selbstaufgabe und ist deshalb unattraktiv. Doch das macht ihn nicht weniger befriedigend.
Und wir müssen den politischen Raum wieder attraktiv machen. Denn Werte dieser Art lernen wir schätzen, indem wir das Bedürfnis nach ihnen an uns und anderen erleben. Dazu müssen wir uns als gleichberechtigte gesellschaftliche Mitgestalter begegnen. Dafür brauchen wir mehr Räume für demokratische Teilhabe. Einzelne Unternehmer erlauben sich heute, gesellschaftliche Institutionen vermeintlich zum Wohle aller zu prägen. Doch uns fehlen bereits die Begegnungsräume, um auch nur die Zahl der Blumenkübel in unserer Straße gemeinsam zu bestimmen. Auf diese Art von Individualismus lässt sich keine Gesellschaft bauen.
Bijan Kafi publiziert zu zivilgesellschaftlichem Engagement und gesellschaftlichem Wandel. In seiner beruflichen Vergangenheit war er Pressesprecher des sozialen Unternehmens SEKEM in Deutschland und Projektkoordinator für ein internationales Bildungsprojekt der Right Livelihood Award Foundation („Alternativer Nobelpreis“). 2013-14 hat er als Stipendiat der Delos Stiftung die erkenntnistheoretischen Grundlagen von Rudolf Steiners gesellschaftlichen Reformideen erforscht.