Future Access Points: Orte, die die Zukunft weisen

Berlin, Cancun, Zossen, Zypern und Co. – in diesen Ecken der Welt entstehen Zukünfte, die zum Nachdenken anregen.

Nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York wurden die Trümmer der Türme zum Symbol einer neuen Wirklichkeit – und Ground Zero zu einem Mahnmal, das uns zu einer Auseinandersetzung mit einer alternativen Zukunft zwingt. Ebenso können wir Orte aber auch dazu verwenden, uns auf gewollte mögliche Zukünfte aufmerksam zu machen – als Zugangspunkte für das Gelingen von Zukunft.

Viele Menschen weltweit erzeugen solche Orte und Artefakte, die uns daran erinnern, dass die Zukunft mehr ist, als wir uns bisher vorstellen können. Diese Orte revidieren unsere inneren Landkarten und erweitern unser Spektrum des Möglichen. Sie eröffnen einen Zugang zur Zukunft, den wir ohne sie nicht hätten. Daher nennen wir diese Orte Future Access Points.

  • Fukushima, Japan

Fukushima wird grün

Nach einer alten Zukunftsregel bringen Katastrophen zugleich auch den schnellsten Fortschritt mit sich. So entwickelt sich nun auch die Region Fukushima, wo 2012 drei Kernkraftwerksblöcke explodierten, zur japanischen Pionierregion: 2040 sollen hier 100 Prozent des Energiebedarfs mit erneuerbaren Energien gedeckt werden – Fukushima wird damit zur „grünsten“ Region Nippons.

  • Kigali, Ruanda

Smartphone made in Africa

20 Jahre nach dem schrecklichen Genozid ist Ruanda, das kleine Land in der Mitte Afrikas, zu einem Hub der Hoffnung geworden, in dem Afrikas neue Player aus dem Boden sprießen. Das Unternehmen Mara Phones baut nun das erste Smartphone made in Africa: 10.000 Stück pro Tag, zum Kaufpreis von 200 Dollar pro Gerät. Auf den stylischen Geräten prangt ein stolzes Symbol: der Löwe.

  • Brasilien

Der Urwald der Zukunft

Als der weltberühmte Fotograf Sebastião Salgado im Jahr 2000 die Großfarm seines Vaters übernahm, war sie völlig baumlos und erodiert. Doch Salgado pflanzte einen neuen Dschungel, der heute blüht, gedeiht und die Welt besser macht – nachzuschauen in Wim Wenders’ Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“.

Bild: Wikimedia Commons/Muzzleflash
  • Helsinki, Finnland, und Tianjin, China

Die Bibliotheken des 21. Jahrhunderts

Finnen und Finninen liebten schon immer das Lesen – lange Winter und widriges Wetter scheinen das analoge Medium Buch zu bevorteilen. Jetzt hat sich Finnland in der Hauptstadt Helsinki eine hypermoderne Super-Bibliothek geleistet: Die Oodi (finnisch für „Ode“) beinhaltet neben Büchern auch viele elektronische Medien. Ähnliches gilt für Chinas Renommee-Projekt in Sachen Buchkultur, die Tianjin Binhai Library nahe Peking, die mit ihrer riesigen weißen Kugel im Inneren und den organischen Strukturen vom niederländischen Architekturbüro MVRDV gestaltet wurde. Beide „Raumschiffe“ signalisieren die Wiederkehr – und die Ewigkeit – des Buchlesens.

  • Zossen, Brandenburg

Deutschlands Ökotopia

Utopische Dörfer und Siedlungen sind nicht unbedingt neu – und schon oft gescheitert. Was aber 2020 in Zossen, 40 Kilometer südlich von Berlin, auf einem alten Militärstandort entstehen soll, hat etwas andere Dimensionen. Die Eco City im Stadtteil Wünsdorf ist ein konkreter Lösungsansatz für die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts: eine Synthese aus Campus, Ökologie-Stadt, Kultur-Center und internationalem Refugee-Ort, an dem Migranten und Migrantinnen handwerkliche Fähigkeiten erlernen und ausüben können, mit mehreren Tausend Einwohnern in der Endausbaustufe.

  • Portland, Oregon, USA

Individuell, individueller, Portland

Portland in Oregon ist die individualisierteste Stadt der USA, wenn nicht der ganzen Welt. So sehen die Future Cities aus, in denen das Ökologische bereits die Alltagskultur definiert und die Kreativen sukzessive die Macht übernommen haben: postindustriell, entspannt, anders. Portland hat eine hohe Zuzugsrate junger Akademiker und Akademikerinnen, verfügt über die meisten Marihuana-Boutiquen, Mikrobrauereien und Treehugger – und wahrscheinlich auch die höchste LGBTQ-Quote. Hier reicht Trumps fieser Atem nicht her.

  • Hongkong

High-Tech-Rebellion

Die Rebellion in Hongkong setzt Zeichen neuer technologischer Protestformen. Da die Polizei lückenlos und mit Gesichtserkennung Demonstranten und Demonstrantinnen identifiziert, schlagen die Aufständischen mit gesichtsverändernden Bildschirmbrillen zurück, täuschen Kameras mit Laserpointern und organisieren Pop-up-Proteste über verschlüsselte Plattformen. Die Aufstände der Zukunft sind trickreich und digital.

  • Berlin

3-in-1-Religionshaus

In Berlin entsteht 2020 mit dem House of One das erste Haus für drei Religionen – Muslime und Muslimas, Christen und Christinnen, Juden und Jüdinnen. Eine überkonfessionelle Stiftung erhielt die Baugenehmigung für den Entwurf des Berliner Architekturbüros Kuehn Malvezzi auf den Fundamenten der alten Petrikirche. Je eine separate Synagoge, Kirche und Moschee werden verbunden durch einen zentralen Raum der Begegnung, den Kuppelsaal.

Bild: Stefano Boeri Architetti/The Big Picture
  • Cancun, Mexiko

Die Smart Forest City

Lautet die Alternative immer „Wald oder Menschen“? Vielleicht geht auch beides. Der italienische Architekt Stefano Boeri, der schon mehrere grüne Projekte verwirklichte, baut in Mexiko nahe Cancun eine Stadt im Dschungel mit dem Dschungel. Fast alle Gebäude sind bewachsen, die Energie- und Nahrungsbilanz soll ausgeglichen werden. Ähnliche Vorhaben sind auch in China und Malaysia angedacht und werden in diesem Jahrzehnt eine neue Architekturtradition begründen: die Green Cities.

  • Sierra Diablo, Texas, USA

Die Uhr der langen Zukunft

In einem tiefen Stollen in Texas entsteht derzeit eines der spektakulärsten Zukunftsprojekte, das in den 2020er-Jahren fertiggestellt werden soll: die Clock of the Long Now – eine Uhr, die 10.000 oder womöglich sogar 100.000 Jahre präzise laufen soll. Entworfen wurde die haushohe analoge Uhr, deren erster, kleinerer Prototyp im Londoner Science Museum steht, von dem Computeringenieur Danny Hillis. Federführend bei dem Projekt ist der Zukunftsforscher Stewart Brand, der mit seiner Long Now Foundation die langfristigen Perspektiven der Menschheit studiert. Beteiligt sind außerdem Amazon-Chef Jeff Bezos, der das Projekt mit 42 Millionen Dollar finanziert, und der Musiker Brian Eno, der den Namen erfand.

  • Ayers Rock, Australien

Let’s give it back!

Der Ayers Rock oder Uluru (in der Sprache der Aborigines) war seit Jahrtausenden ein magischer Ort für indigene Kulturen – bis er zum Massen-Ausflugsort und „Landmark“ für Touristen und Touristinnen wurde. Im Zuge der Overtourism-Debatte sowie einer Neuorientierung in Bezug auf die „Human Natives“, die ursprünglichen Kulturen der Erde, wurde der Berg in der Mitte Australiens Ende 2019 für Wanderungen und Bergbesteigungen geschlossen und den lokalen Aborigines übereignet. Dies könnte die Magie des Ortes noch erhöhen – und ein anderes Verhältnis zu den „Native Cultures“ fördern.

  • Zypern

Solares Trinkwasser

In der Zukunft werden immer mehr Menschen in Wüstengebieten leben, in technischen Hochzivilisationen. Der enorme Wasserbedarf, der so entsteht, kann klimafreundlich mit solaren Meerwasserentsalzungsanlagen gedeckt werden. In Israel gehen jetzt die ersten größeren Anlagen ans Wassernetz, und 2020 errichtet IBC Solar zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) auf Zypern eine Anlage, die als Pionierprojekt für den Mittelmeerraum gilt.


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Matthias Horx

Matthias Horx ist der einflussreichste Trend- und Zukunftsforscher im D-A-CH-Raum und Experte für langfristige Entwicklungen in Gesellschaft und Wirtschaft.