Die konkreten Einsatzgebiete der Pilz-Biotechnologie sind extrem vielfältig. An der Schweizer Forschungseinrichtung Empa nutzt man sie zum Beispiel zur Entwicklung von Holzschutzmitteln und Wasserfiltern sowie zur Marmorierung von Holz, im Geigenbau lassen sich durch den Einsatz von Pilzen die Klangqualitäten einer Stradivari aus dem 17. oder 18. Jahrhundert erreichen. In der Baubranche nutzt das britische Start-up Biohm landwirtschaftliche Reststoffe als Nahrung für das Myzel, um leichte und biologisch abbaubare Dämmstoffe herzustellen – das Material kann auch in Platten gepresst oder im 3-D-Druck eingesetzt werden. In eine ähnliche Richtung forscht das Karlsruher Institut für Technologie: Hier verwendet man vor allem Stroh und Holzspäne für die Arbeit mit dem Pilz-Myzel, die Druckfestigkeit der Pilz-Ziegel liegt mittlerweile nah an klassischen Ziegeln. Zum Einsatz kamen diese Pilz-Bausteine unter anderem bei temporären Bauten auf der Biennale in Seoul und als Isolationsmaterial am Forschungszentrum NEST der Empa in Zürich.
Zu den Pionieren im Bereich pilzbasierter Lebensmittel zählt in Deutschland das Unternehmen Mushlabs, das Restwertstoffe aus der Lebensmittelindustrie wie Sägemehl, Getreideabfälle, Reishülsen oder Kaffee- und Teeabfälle als Nährstoff für das Pilz-Myzel einsetzt. Bei einer industriellen Produktion geschieht dies in Bioreaktoren, wo ein Fermentationsprozess stattfindet: Die Myzelien können nach wenigen Tagen geerntet und beispielsweise zu Steaks oder Bällchen geformt werden. In Großbritannien stehen die Pilz-Produkte von Quorn bereits in den Einkaufsregalen. Derzeit plant das Unternehmen den fünften Fermenter: Der rund zehn Stockwerke hohe Bioreaktor mit einem Fassungsvermögen von 170.000 Litern wird rund 375 Tonnen Myzelien produzieren – pro Woche.
Die Vielfalt der Anwendungsbeispiele macht nicht nur deutlich, dass die Pilz-Ökonomie neue, bislang verborgene Potenziale erschließt. Sie verweist auch auf eine strukturelle Analogie zwischen Wirtschaft und Pilzen: In beiden Fällen basieren die sichtbaren Früchte auf dem unsichtbaren Untergrund der Netzwerke und Verbindungen. Pilze und andere Protagonisten der Bio-Ökonomie, etwa Algen oder Holz, verweisen deshalb auch auf die Notwendigkeit einer neuen Wirtschaftskultur, die diesem Verborgenen und Unsichtbaren einen größeren Wert beimisst.
Johannes Eckert ist Politikwissenschaftler und beschäftigt sich als selbständiger Wissensvermittler mit den Themen Energie, Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie. Im Zentrum steht dabei die Beschleunigung des Transfers vorhandener Klimalösungen aus Forschung und Start-ups in Wirtschaft, Politik und Medien.