Unsere Altersbilder sind veraltet! Altwerden wird noch immer als Problem behandelt – dabei verändert sich gerade grundlegend, was Alter und Altern bedeutet. Zeit zum Umdenken.
Von Lena Papasabbas (06/2016)
Unsere Altersbilder sind veraltet! Altwerden wird noch immer als Problem behandelt – dabei verändert sich gerade grundlegend, was Alter und Altern bedeutet. Zeit zum Umdenken.
Von Lena Papasabbas (06/2016)
In einer Gesellschaft, in der der 30. Geburtstag als Tragödie gilt, Jugendlichkeit als Ideal und “Alte” oder “Alter” als Schimpfwort, ist das Verhältnis zum Altern gestört. Begriffe wie “Schrumpfung”, “Überalterung” und “Alterslast” zeigen die fast ausschließlich negativen Konnotationen des Themas. Diese Problemhaltung zur „alternden Gesellschaft“ engt den Denkhorizont ein: Der Fokus von Politik, Medien und Wirtschaft liegt auf dem Kompensieren, Verhindern und Abmildern der individuellen und sozialen Veränderungen. Völlig blind sind wir für die Chancen und Potenziale für die Gestaltung neuer Lebenswelten, die eine ältere Gesellschaft bedeuten kann.
Die Auswirkungen dieser Pathologisierung des Alters auf die ältere Bevölkerung sind unübersehbar: Einerseits wird mit allen Mitteln gegen das Stigma “alt” gekämpft. Andererseits hat die Angst vor dem Alter zu einem enorm wachsenden Gesundheitsbewusstsein geführt. Um zu zeigen, dass man noch fit ist, stehen Werte wie physische und mentale Fitness, Vitalität, Aktivität und ein gesunder Lebensstil bei Rentnern hoch im Kurs. Jugendlichkeit wird paradoxerweise besonders von älteren Menschen aktiv gelebt. Kein Wunder also, dass der Downaging-Trend in Zeiten der Silver Society ungebremst fortwirkt: Gefühltes und chronologisches Alter klaffen immer weiter auseinander.
Denn mit dem, was die Gesellschaft mit der Generation 65+ größtenteils assoziiert, will keiner der heutigen Über-65-Jährigen etwas zu tun haben. Die Folge: Das gefühlte Alter differiert um bis zu 15 Jahre von dem biologischen Alter. Dieses Phänomen tritt zwar in allen Altersklassen auf, doch die Differenz nimmt mit dem Alter immer mehr zu: 16- bis 29-Jährige fühlen sich laut Allensbach durchschnittlich drei Jahre jünger, 60- bis 74-Jährige schon acht, über 75-Jährige durchschnittlich zehn Jahre.
Die gestiegene Lebenserwartung sorgt außerdem dafür, dass Menschen sich nicht nur jünger fühlen, sondern es relativ gesehen auch tatsächlich sind. Mit 65 Jahren hatte man früher vielleicht nur noch durchschnittlich acht Jahre vor sich, inzwischen kann man schon mit 15 weiteren Lebensjahren rechnen. Relativ gesehen ist man also an einem früheren, jüngeren Punkt seines Lebens. So leben wir heute in einer “alternden Gesellschaft” in der die “Alten” sich immer jünger fühlen, einen jüngeren Lebensstil pflegen und auch medizinisch gesehen in einer immer besseren Verfassung sind.
Der Downaging-Effekt zeigt sich auch auf den Arbeitsmärkten. Die Beschäftigungsquote der älteren Erwerbstätigen wächst kontinuierlich – allein zwischen den Jahren 2000 und 2010 stieg die Zahl der 60- bis 64-jährigen in der Arbeitswelt um rund 21 Prozent. Dieser Aufwärtstrend wird sich fortsetzen. Es geht nicht mehr um einen möglichst frühen (Vor-)Ruhestand, sondern um möglichst lange Berufsaktivität. Das Umdenken in den Beschäftigungsstrategien jedoch findet nur langsam statt: Bislang werden die Potenziale älterer Arbeitnehmer nicht annähernd ausgeschöpft.
Die alternde Gesellschaft ist also gleichzeitig eine sich verjüngende – nur unser kulturelles Mindset hinkt dieser Entwicklung noch deutlich hinterher: Die veränderte Altersstruktur und die verschobene Bedeutung der Jahreszahlen sind noch lange nicht als neue Realität verinnerlicht. Unser Begriff des Alters ist deutlich in die Jahre gekommen. Es ist an der Zeit, “alt” und “Alter” völlig neu zu definieren.