Ein Kabinett der Silverzombies

Mit Trump und seinem Gefolge haben „Silverzombies“ Hochkonjunktur. Umso mehr ist es wert, die Welt mit neuen Augen zu sehen – die „Free-Ager“ können uns dabei helfen.
Von Harry Gatterer

2016 haben wir in unserer Publikation „Pro-Aging“ den Typus des „Silverzombies“ eingeführt und damit jene Menschen beschrieben, denen es im Verlaufe ihrer Biografie nicht gelingt, die Erfahrungen, Krisen, Rückschläge und Erfolge des Lebens in eine Art vitale Weisheit zu transferieren. Die USA leisten sich heute ein ganzes Kabinett der Silverzombies – mittlerweile auch liebevoll „Trumpies“ genannt. Und dennoch ist es an der Zeit, sich nebst dem Grant der alten Herrn einem neuen Denken über die Welt zu widmen. Um zu erahnen, wie es weitergehen kann.

Beginnen Silverzombies werden zwar älter, aber nicht reifer wir aber nochmal bei den Silverzombies, um den Ausgangspunkt der Gegenwart zu ergründen. Denn in dieser Gruppe zeigt sich ein mentales Dilemma: Es ist ihnen nicht gelungen, durchlaufene Lebensphasen und -krisen für sich akzeptabel abzuschließen. Silverzombies hängen also mental irgendwo in ihrem Leben fest, oft in eher frühen, pubertären, Phasen. Anders gesagt: Silverzombies werden zwar älter, aber nicht reifer.

Wenn uns solche Menschen begegnen, müssen wir uns einer Armada an Argumenten aussetzen, warum diese Welt den Bach runter geht oder eh schon alles verloren ist. Wir müssen uns anhören, warum ihm oder ihr immer klar war, dass diese Welt, in der wir leben, keine Zukunft hat. Neulich in der Umkleidekabine des Fitness-Studio bin ich so einem Zombie begegnet. Mir fröstelt noch heute bei der Vorstellung, wie er mich mit Worten zu fesseln versuchte. Nachdem ich ignorant blieb, packte er mich sogar am Arm, um mir einzuhämmern, wie schlimm doch alles sei, „nicht wahr?“.

Diese Silverzombies sind ärgerlich. Wir sollten sie meiden und ihnen mit Respekt den Abstand zugestehen, den wir brauchen. Das Blöde ist nur: Diese Zombies sind laut und auffällig. Man entkommt ihnen kaum. Dabei sind sie gar nicht die Mehrheit der älteren Menschen. Wie uns viele psychologische und soziologische Langzeitstudien zeigen, gelingt es deutlich mehr Menschen, die Lebensphasen produktiv abzuschließen. Der häufigere Fall ist es also, dass aus den Erfahrungen des Lebens eine Lebenskompetenz entwickelt werden kann, die sich als Weisheit kondensiert: eine Gelassenheit in Verbindung mit Anteilnahme. 

Deutlich zeigt uns die Psychologie, dass Menschen, denen diese Transformationen des Lebens gelingen, häufig bessere „Decision-Maker“ sind. In der meist unbewussten Lebenskompetenz speichert sich Lebenserfahrung, die in kluge Einschätzungen mündet. Diese Art von Menschen nennen wir „Free-Ager“. Sie sind häufiger, aber ruhiger. Weshalb sie uns weniger auffallen als die anderen. Hinzu kommt: Silverzombies haben gerade Hochkonjunktur. Die USA haben neben ihrem Präsidenten gleich ein ganzes Kabinett der Silverzombies installiert: grantige, alte Männer, die ihre eigene Lebensunzufriedenheit auf die Welt projizieren, und damit ihren impliziten „Grant“ zur Realität erklären, gern auch mit „alternativen Fakten“.

Warum kommt diese Grantler-Generation so gut an? Es scheint an der Komplexität unserer Zeit zu liegen. Je vielschichtiger und verwobener die Welt ist – nicht nur im Digitalen –, desto mehr bedroht diese Komplexität die Alltags-Ruhe der Menschen. Dann sprechen wir von Unsicherheit und von einer Zukunft, die wir wieder unter Kontrolle bringen müssen. Und da kommen die Silverzombies auf Hochtouren: Wo früher alles Ein neues Denken ist: Wir können Komplexität lieben und Regeln dafür etablieren besser war, kann man mit simpler Nostalgie auch wieder alles zum Besseren wenden. Und wenn man selbst ein Leben als „Immobilien-Mensch“ verbracht hat, was liegt dann näher, als Mauern zu bauen, Türen zu schließen und sich mit seinesgleichen – der Zombie-Gesellschaft – im Turm zu verstecken?

Systemisch und theoretisch betrachtet lässt sich die Entwicklung in Richtung der Silverzombies gut erklären – in der alltäglichen „Realität“ aber hilft das wenig. Und einfach nur „dagegen“ zu sein, ist zu wenig. Denn „dagegen“ sein bedeutet, in derselben Denk-Kategorie zu argumentieren, in der die Ursachen für diese Entwicklungen verborgen sind. Ein „Free-Ager“ vergangener Tage, Albert Einstein, hat uns längst darauf hingewiesen, dass wir Probleme nicht mit demselben Denken lösen können, aus dem heraus sie entstanden sind. Wenn wir dagegen sind, tun wir dies aber.

Orten wir die Komplexität der Welt als ein zentrales Problem, dass zu Verunsicherung und Unbehagen (trotz bester Umstände) führt, dann gilt es also, sich dieser Komplexität zu stellen. Das „alte“ Denken wäre: Wir müssen Komplexität vermeiden und Mauern bauen. Ein neues Denken ist: Wir können Komplexität lieben und Regeln dafür etablieren. Und dies geschieht auch schon auf viel mehr Ebenen, als wir dies in den öffentlichen Medien lesen.

Unternehmen experimentieren mit Formen der Selbstverantwortung und dekonstruieren alte, in Organigrammen gegossene Denkmuster. Die Wissenschaften agieren weltvernetzt und feedbackgesteuert und lernen gerade, wie das überdisziplinäre Zusammenwirken wirklich funktionieren könnte. Selbstorganisation in Form von Gemeinnützigkeit, in neuen, oft digital gestützten, Lernmethoden oder spontan entstehenden Resonanzräumen – wie dem Marsch der Frauen in den USA – zeugen ebenfalls von einer neuen Welt. Dies alles sind Spielformen des Umgangs mit Komplexität. Darin erleben wir, wie gut es ist, dass es die Free-Ager gibt. Die mit ihrer Lebenserfahrung den Rahmen dafür gebaut haben, dass diese Dinge entstehen können. Dort finden sich auch die Öffnungspunkte in die Zukunft.

Die Ausgangslage für die Zukunft ist deshalb alles andere als schlecht. Bedenken wir zum Beispiel, dass in den 1980er-Jahren rund eine Milliarde Menschen in Demokratien lebten – heute sind es vier Mal so viele. Die Armut ist weltweit drastisch gesunken, die Kriege zurückgegangen. Hunger ist kein Mehrheitsphänomen, und selbst in den Flüchtlingslagern versucht man mit Methoden des Design-Thinkings, die Probleme vor Ort zu lindern.

Dass der Erregungs-Raum „Gesellschaft“ sich diesen Fakten widersetzt und aus der jeweils subjektiven Enge heraus das Gerede über „Mauern“ für richtig hält, ist nachvollziehbar. Dass man sich dann auch gern mit „alternativen Fakten“ die Widerstände der Welt erklärt, ist nur menschlich. Was wir im Moment für die Zukunft tun können, ist jedoch vor allem: versuchen, den weiten Blick zu wahren. Unser Denken von den täglichen „News“ aus den USA abzuwenden und eine eigene Wahrnehmung zu entwickeln. Dazu hilft es, sich mit Free-Agern zu unterhalten. Sie können uns helfen, die nötige Gelassenheit in Verbindung mit Anteilnahme zu entwickeln, um uns in der „neuen“ Welt wieder zurecht zu finden.

Die Aufgabe des „Neu Denkens“ – nicht des „Neu Machen“ – steht im Fokus jeder Zukunftsüberlegung. Es braucht keine Dringlichkeits-Anfrage an die Change-Abteilung. Aber es hilft, einen „Mind-Change“ zu etablieren, um die faszinierende, atemberaubende Schönheit unserer Welt mit neuen Augen zu erblicken.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Megatrend Silver Society

Megatrend Silver Society

Weltweit werden Menschen älter und bleiben dabei länger fit. Der Megatrend Silver Society beschreibt die vielfältigen Auswirkungen dieses demografischen Wandels, der die Gesellschaft vor enorme Herausforderungen stellt – aber auch große Chancen für eine neue soziokulturelle Vitalität eröffnet. Um die demografische Transformation erfolgreich zu meistern, braucht es neue soziale und ökonomische Rahmenbedingungen und auch mental einen neuen Zugang zum Altern.

Folgende Menschen haben mit dem Thema dieses Artikels zu tun:

Harry Gatterer

Harry Gatterer ist Geschäftsführer des Zukunftsinstituts und befördert als Keynote Speaker das aktive, mutige, unternehmerische Gestalten von Zukunft.