Forever Youngsters: Die jungen Alten

Zunehmend sind es die „Forever Youngsters“, die den Traum von Sex, Drugs & Rock’n Roll leben. Für viele Menschen über 40 wird die Midlife Crisis zur zweiten Pubertät.

Quelle: Trend Update

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„Jugendlichkeit“ ist in unserer Kultur ein Ideal, das längst Menschen allen Alters anstreben. Sorglosigkeit, Frische, Sportlichkeit und Optimismus auszustrahlen gilt als ästhetisch, Medien und Werbung zementieren diesen obersten kulturellen Imperativ der Moderne mit der monotonen Gleichgültigkeit einer Maschine, ohne die Anzeichen von Veränderung in der Gesellschaft wahrzunehmen. Dabei zehren sie auch von dem Image, das die Bewegung einer Jugend aufgebaut hat, die inzwischen schon kurz vor dem Ruhestand steht: Die rebellische „Sex, Drugs & Rock’n Roll“-Geste derer, die in den 1960er Jahren jung waren.

Doch wer heute in Deutschland jung ist, hat mit Rebellion nicht viel am Hut. Geraucht, getrunken und Drogen genommen wird unter Jugendlichen immer weniger, von politischem Protest ganz zu schweigen. Und auch mit Sorglosigkeit und Optimismus ist es, mit Blick auf die Ergebnisse einer Unicef-Studie, bei jungen Menschen nicht weit her. Nicht einmal besonders sportlich sind diese Leistungsträger der Zukunft: Jugendliche in Deutschland werden immer dicker.

Die jungen Leute in Deutschland entsprechen dem Ideal der Jugendlichkeit nicht mehr, wie die Soziologin Imbke Behnken im Interview mit dem Dummy-Magazin beschreibt: „Es geht da um den Unterschied zwischen Jugendlichkeit als Wert und dem Jugendlichsein. Wer heute in Deutschland jung ist, hat mit Rebellion nicht viel am Hut Da es aber so viele Erwachsene gibt, werden den Jugendlichen deren Werte aufgedrückt: Sauberkeit, Ruhe und Ordnung.“ Schon im Trend-Report 2012 beschrieb das Zukunftsinstitut diesen Trend zum „Early Adulting“: Junge Menschen in Tweed-Sakkos feilen beim Golfspiel an ihrer Karriere, während ihre tätowierten Eltern Snowboard fahren gehen. 7 Prozent der rund 3,5 Millionen Snowboarder in Deutschland sind bereits 50 Jahre oder älter. „Jugendlichkeit“ löst sich von der Jugend.

Die zweite Pubertät

Dass erwachsene Menschen in ihrer Lebensführung dem, was als „jugendlich“ gilt, immer ähnlicher werden, beschränkt sich aber nicht nur auf den Bereich der Freizeitsportarten: Ihre ganze Lebensführung gleicht sich der jugendlicher Singles an. Immer weniger Menschen über 40 sind Vorstand eines Haushalts im klassischen Sinne. Der Anteil der 40- bis 54-Jährigen, die allein in einem Singlehaushalt leben, hat sich laut Alterssurvey des Deutschen Zentrums für Altersfragen von 7 Prozent im Jahr 1996 auf 13 Prozent im Jahr 2008 erhöht. Lebten damals noch 10 Prozent in Scheidung oder getrennt, waren es 2008 schon 15 Prozent. Der Anteil kinderloser Personen stieg in diesem Zeitraum von 13 auf 19 Prozent. Und das nicht immer unfreiwillig: Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung hat ergeben, dass knapp ein Viertel der Frauen der Geburtsjahrgänge 1964 bis 1968 bewusst keine Babys geboren hat.

Und dass sie allein sind, muss nicht heißen, dass sie einsam sind: Nacheheliche Partnerschaften im Alter von 50 Jahren, also neue Beziehungen nach einer Ehe, führte nur 1 Prozent derer, die in den 1920er Jahren geboren sind (also in den 1970er Jahren 50 Jahre alt waren). Von denen, die heute 50 sind, sind es immerhin 8 Prozent. Eine wachsende Generationenungerechtigkeit in Sachen Einkommen – zugunsten der Älteren Eine neue Ehe gehen inzwischen 9 Prozent ein – ein Fünftel der heute 50-Jährigen ist also wieder „unter der Haube“. Das klingt unromantischer, als es ist: Gerade in dieser Lebensphase, die wir als „Zweiter Aufbruch“ bezeichnen, werden neue Partnerschaften wirklich aus Liebe geschlossen – und nicht wegen eigener oder fremder übersteigerter Erwartungen. Diejenigen, die allein bleiben, bleiben es oft bewusst und aus freiem Willen und genießen das Singledasein in vollen Zügen.

Auch beruflich scheint den Erwachsenen ab 40 ihre Freiheit sehr wichtig zu sein: 2010 waren laut Kelly Global Workforce Index 21 Prozent der Selbstständigen in Europa zwischen 48 und 65 Jahre alt. Die 18- bis 29-Jährigen machten hingegen nur 16 Prozent der Freelancer aus. Das Bild des prekär beschäftigten Scheinselbstständigen scheint auf Menschen über 40 allgemein nicht zuzutreffen: Sie werden im Vergleich zu Jüngeren immer wohlhabender. Noch im Jahr 1990 verdienten über 50-Jährige im Schnitt monatlich nur gut 100 Euro mehr als unter 50-Jährige, 2008 waren es fast 500 Euro. Diese Zahlen des Statistischen Bundesamts und der Hans-Böckler-Stiftung deuten auf eine wachsende Generationenungerechtigkeit in Sachen Einkommen hin – zugunsten der Älteren.

Flirten statt Midlife Crisis

Auch in Sachen Liebe und Sex geht es oft erst mit 40 richtig los. Manchmal schreiben erotische Neugier und Vergnügungssucht der Menschen dieser Altersgruppe gar Mediengeschichte: Der Sadomaso-Softporno und Mega- Bestseller „50 Shades of Grey“ sei Experimenten im heimischen Ehebett entsprungen, sagt die Autorin E.L. James im Interview mit dem US-Sender ABC. Diese S/M-Phase sei das Ergebnis einer „Midlife Crisis“ gewesen. 27 Prozent derer, die in Deutschland auf Online-Dating-Portalen unterwegs sind, sind in den Vierzigern. 50- bis 59-Jährige machen gar 31 Prozent der digital Flirtenden aus.

Diese „zweite Pubertät“ der Forever Youngsters hat aber nicht nur Experimentierfreude, sondern auch eine gewisse Nostalgie zur Folge. Sowohl materiell als auch geistig sind sie jetzt in der Lage, endlich die Dinge zu tun, die sie in ihrer Jugend nicht tun konnten – und wünschen sich, sie hätten es damals schon gekonnt. Wären sie mit dem Wissen, das sie jetzt haben, jung gewesen, wäre ihr Leben anders und vielleicht besser verlaufen.

In den USA erobert gerade ein neues Film-Genre die Kinos: Der Highschool-Reunion-Film. Streifen, die das späte Klassentreffen ehemaliger Klassenkameraden thematisieren, sei es Starke Zielgruppe: einkommensstark, konsumfreudig, hochmotiviert, neugierig und genusssüchtig als Drama oder Komödie, stehen hoch im Kurs. „Young Adult“ zeigt eine geschiedene 37-Jährige, verkörpert von Charlize Theron, die das Ruder ihres Lebens ohne Rücksicht auf Verluste herumzureißen versucht. „Grown-Ups“ lässt eine Gruppe von Männern nach dem Tod ihres Highschool- Basketballtrainers wieder aufeinandertreffen. 2013 soll ein Sequel des 2010 erschienenen Films in die Kinos kommen.

Sportlichkeit, dieses Ideal der Jugend, trifft in Wirklichkeit auch immer mehr auf Erwachsene und immer weniger auf die molligen Jugendlichen zu. Bei Ausdauersportarten nimmt tatsächlich auch die physische Leistungsfähigkeit mit dem Alter eher zu als ab. Das spiegelt sich auch in den Teilnehmerzahlen beispielsweise des Berlin-Marathons, bei dem im Jahr 2012 die 40- bis 49-Jährigen 38 Prozent der Teilnehmer ausmachten.

Forever Youngsters sind zudem politisch aktiv, was sich in klassischen Straßenprotesten äußern kann (Stichwort „Wutbürger“), aber auch in ehrenamtlichem Engagement. Den Idealismus und die Einsatzbereitschaft der Forever Youngsters hat zum Beispiel die deutsche Bundesregierung mit einbezogen, als sie anstelle der Wehrpflicht den Bundesfreiwilligendienst (BufDi) einführte und die Altersbegrenzung aufhob. Die entsprechende Werbekampagne ist bewusst auch an Ältere gerichtet. Rund 7.000 Männer und Frauen zwischen 51 und 65 Jahren waren im März 2013 deutschlandweit beim Bundesfreiwilligendienst engagiert. www.bundesfreiwilligendienst.de

Forever Youngsters sind, objektiv betrachtet, die Zielgruppe schlechthin: einkommensstark, konsumfreudig, hochmotiviert, neugierig und genusssüchtig. Gebildete, alleinstehende Menschen ab 40 gezielt anzusprechen, ohne dabei kommunikativ in die Hausfrauen- oder Seniorenecke abzurutschen, gelingt bisher jedoch kaum einem Produkt auf dem deutschen Markt. Einen neuen Versuch startet derzeit das Magazin MyWay, das wie schon andere deutsche Frauenmagazine zuvor (z.B.  Brigitte Woman) auf die Marktlücke der Leserinnen über 40 abzielt.


Menschen um die 50 verdienen gut und haben wenige Verpflichtungen. Zudem sind sie viel selbstbewusster als Jüngere, kennen die eigenen Wünsche und Ziele, aber auch Grenzen – und das steigert die Zufriedenheit, wie die Glücksforschung belegt. Sie wissen, wer sie sind und was sie wollen, verfügen also über eine gewisse „Altersweisheit“ – und sind zugleich ungebunden und experimentierfreudig, ja regelrecht genusssüchtig in einem Maß, wie man es eher einer hedonistischen Jugend zutrauen würde. Sie sind „Forever young“ und erleben in der Zeit, die oft als „Midlife Crisis“ beschrieben wird, in Wirklichkeit eine zweite Pubertät.

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Megatrend Silver Society

Megatrend Silver Society

Weltweit werden Menschen älter und bleiben dabei länger fit. Der Megatrend Silver Society beschreibt die vielfältigen Auswirkungen dieses demografischen Wandels, der die Gesellschaft vor enorme Herausforderungen stellt – aber auch große Chancen für eine neue soziokulturelle Vitalität eröffnet. Um die demografische Transformation erfolgreich zu meistern, braucht es neue soziale und ökonomische Rahmenbedingungen und auch mental einen neuen Zugang zum Altern.

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