Beispiel Lithium, das für die Produktion für Batterien – zunehmend auch für Elektrofahrzeuge – benötigt wird. Größere Vorkommen gibt es in China und Teilen Südamerikas, aber auch in Australien. Friendshoring zeigt sich praktisch, indem das Sicherheitsargument als neuer, zusätzlicher Faktor herangezogen wird. Angestrebt wird also, Lieferketten so zu konstruieren, dass sich Sorgfaltspflichten einhalten lassen und man auch die Versorgungssicherheit auf lange Sicht gewährleisten kann – selbst wenn das unter Umständen höhere Kosten verursacht. Diese strategische Neuerung bei der Rohstoffbeschaffung wird immer wichtiger.
Je nach Sektor fällt die Auswahl der Handelspartner sehr unterschiedlich aus. So ist bei mineralischen Rohstoffen etwa Kanada bedeutend. Deutsche Automobilhersteller wollen kritische Batteriemineralien wie Nickel und Kobalt zukünftig stärker von dort beschaffen. Mercedes-Benz und Volkswagen haben 2022 Vereinbarungen mit der kanadischen Regierung getroffen. Auch im Bereich der Agrargüter spielt Friendshoring eine Rolle. Denn die Bestimmungen in puncto Düngemittel, Gentechnik und Schädlingsbekämpfung sind hierzulande streng, also braucht es Lieferanten, die nicht dagegen verstoßen. 2022 importierte Deutschland Nahrungs- und Futtermittel im Wert von rund 62,8 Milliarden Euro. Insgesamt kommen fast 80 Prozent aller deutschen Lebensmittelimporte aus anderen EU-Ländern, allen voran den Niederlanden. Danach kommen Brasilien und die USA. Die Farm-to-Fork-Strategie der EU sieht vor, dass strengere Auflagen, etwa im Pflanzenschutz, künftig auch für Importe gelten sollen, damit die Produktion nicht in andere Länder abwandert.
Indien als Friendshoring-Liebling
Friendshoring bedeutet nicht zuletzt: Diversifizierung der Handelspartner. Um sich gegen Klumpenrisiken abzusichern, sollte man auf eine große Zahl verschiedener Partner setzen. Das ist aktuell verstärkt in Asien zu beobachten. Große Konzerne wie Apple und Sony und ihre Zulieferer ziehen schon jetzt Produktionsstätten aus China etwa in Richtung Thailand, Malaysia und Indien ab. Sony lässt Kameras für den nicht-chinesischen Markt nun in Thailand herstellen. Die Analysten von JP Morgan schätzen, dass Apple bis Ende 2025 ein Viertel der iPhone-Produktion nach Indien verlagern wird.
Die größte Demokratie der Welt wird zu einem immer begehrteren Partner. Hochleistungsrechner, Halbleiter, Abfallmanagement und widerstandsfähige Wertschöpfungsketten: Am 17. Mai 2023 hat die EU-Kommission verkündet, dass die Union ihre strategische Zusammenarbeit mit Indien vertiefen möchte, insbesondere im Bereich Technologie. Der bilaterale Handels- und Technologierat soll den Handel intensivieren, der im vergangenen Jahr 2022 mit einem Volumen von 120 Milliarden Euro einen historischen Höchststand erreicht hatte.
Friendshoring-Strategien bei Unternehmen auf dem Vormarsch
Das Jahr 2022 hat bei Unternehmen ein Umdenken angestoßen, wie eine Ifo-Studie zeigt: Sie haben die Risiken ihrer Lieferketten seither neu bewertet. Während im Mai 2021 nicht einmal die Hälfte der befragten deutschen Unternehmen erwogen hatten, ihre bisherige Strategie und Partnerschaften in der Beschaffung zu ändern, bot sich 2022 ein anderes Bild: 87 Prozent der Industrieunternehmen, 76 Prozent der Großhändler und 63 Prozent der Einzelhändler haben sie seitdem nach eigenen Angaben angepasst. Rund 65 Prozent von ihnen haben neue Lieferanten hinzugewonnen. Darüber hinaus berichteten 38 Prozent der Betriebe von Umschichtungen zwischen bestehenden Lieferverhältnissen.
Der Studie zufolge plant jedes zweite Unternehmen eine weitere Diversifizierung der Lieferanten. 22 Prozent der für die Studie Supply Chain Pulse Check befragten Industrieunternehmen haben eine Friendshoring-Strategie entweder begonnen oder bereits umgesetzt. Ein Drittel gab an, Friendshoring als Maßnahme für resilientere Lieferketten einzuplanen.
Friendshoring wird Basis zukunftsfähiger Geschäftsbeziehungen
Friendshoring stellt einen neuen Weg in den internationalen Beziehungen dar, der auf Zusammenarbeit, Vertrauen und gegenseitigem Nutzen basiert. Das schafft eine Win-Win-Situation, in der beide Seiten von der Zusammenarbeit profitieren können. Dazu gehört auch der Austausch von Technologie, Know-how und Innovation, um gemeinsam den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.
Der Trend hin zum Friendshoring zeigt: Es geht für Länder und Unternehmen darum, Beziehungen zu gestalten, die auf Vertrauen, gemeinsamen Zielen sowie einer langfristigen Zusammenarbeit basieren – unabhängig von der geografischen Lage. „Gemeinsam“ ist hier der Schlüsselbegriff: Die Zeiten eindimensionaler, direktionaler Weisungen sind vorbei. Durch das Friendshoring können Staaten wie Unternehmen von den Stärken und Fachkenntnissen ihrer Partner profitieren und gleichzeitig Risiken minimieren oder Effizienzgewinne erzielen.
Die zentrale Frage lautet also nicht, wo ich meine Partner finde, sondern wie tief das Vertrauen zu diesen Partnern ist. Auf Grundlage des gegenseitigen Vertrauens bilden sich neue Netzwerke und Communities, neue Institutionen und Vertrauenspartnerschaften. Sie finden ihren Ursprung nicht mehr in der Nachkriegszeit des vergangenen Jahrhunderts, sondern sind deutlich aktueller und damit zeitgemäßer. Für Entscheider:innen stellt sich damit die Frage: Wo sind meine Freunde, mit denen ich den globalen Herausforderungen meines Unternehmens begegnen kann? Allein die Frage, was in Taiwan passiert, kann über die Zukunft der Technologie-Fähigkeit des eigenen Unternehmens entscheiden. Zukünftige Geschäftsbeziehungen basieren damit nicht nur auf klassischen Supply-Chains, sondern auf Trust-Networks. Diese sind elementarer Teil einer gelungenen qualitativen Globalisierung, auf die Europa setzen sollte.