Globaler Trend vom Nearshoring zum Friendshoring

In Zeiten geopolitischer Konflikte und Kooperationen orientieren sich Staaten und Unternehmen bei der Wahl ihrer Handelspartner um. Die Zukunft liegt im Friendshoring, dem Fokus auf ressourcenreiche Länder, zu denen ein Vertrauensverhältnis besteht. – Ein Auszug aus der Megatrendstudie Globalisierung.

War in den vergangenen Jahren vor allem die Entwicklung vom Off- zum Nearshoring zu beobachten, so ist aus den Forschungsergebnissen unserer Megatrendstudie Globalisierung ersichtlich, dass in einer sich intensivierenden Globalisierung vor allem das Friendshoring zählt.

Ein wesentlicher Faktor dafür: Geopolitik spielt für das Wirtschaften von Unternehmen jeglicher Größe eine immer entscheidendere Rolle. Das zeigte sich nicht nur drastisch durch die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine, sondern wird auch mit Blick in den fernen Osten deutlich, wo der China-Taiwan-Konflikt schwelt. Wenn Rohstoffe von Getreide über Energie bis Halbleiter fehlen, sind plötzlich mehr Unternehmen davon betroffen, als dies vielleicht vorab offenkundig war.

Die Erfahrungen der letzten Jahre veranlassen daher zu strategischem Umdenken, denn wählt man seine Handelspartner nicht nur nach ihrem Ressourcenreichtum aus, sondern auch danach, wie verlässlich und vertrauenswürdig sie agieren, lassen sich Risiken verkleinern. Der Begriff, der diesen Trend beschreibt, lautet: Friendshoring.

Was bedeutet Friendshoring?

Beim Begriff Friendshoring handelt sich um ein Kofferwort aus Friendship und Offshoring. Benutzt wurde es zuletzt vor allem von US-Finanzministerin Janet Yellen. Sie forderte 2022 mehrmals, Lieferketten gen USA in eine „große Anzahl vertrauenswürdiger Länder“ zu verlagern. Die freundschaftliche Allianz „Minerals Security Partnership“ macht dafür den Anfang.

Friendshoring bezeichnet einen neuen Weg in den Beziehungen zwischen Staaten: Gesucht werden strategische, im Idealfall langfristige Partnerschaften, die auf Zusammenarbeit und gegenseitigem Nutzen basieren. Um diese Partnerschaften erfolgreich zu gestalten, ist es unerlässlich, Vertrauen zwischen den beteiligten Ländern aufzubauen. Es gilt, über reine Wirtschaftsbeziehungen hinaus gemeinsam eine Zusammenarbeit zu gestalten. Dazu zählt auch der Austausch von Technologien, Know-how und Innovationen. Die Grundlage für ein erfolgreiches Friendshoring ist eine gemeinsame Wertebasis der beteiligten Staaten.

Friendshoring-Bedarf in Europa

Der Status quo sieht vielerorts noch anders aus, wie das Beispiel Deutschland zeigt. Im Jahr 2022 befanden sich unter den 50 wichtigsten Importpartnern Deutschlands 7 Länder, die nicht als freiheitliche Demokratien aufgefasst werden können, allen voran China, gefolgt von Russland, der Türkei und Vietnam. Der Anteil dieser Länder macht in Summe knapp 20 Prozent des Importvolumens aus. Ein Fünftel der Importe kommt also aus Ländern, zu denen das Vertrauensverhältnis mindestens fragwürdig ist.

Sich nun aber von Russland – und angesichts des Taiwan-Konflikts zunehmend auch von China – abzuwenden, bedeutet für den globalen Norden, dass Ressourcenknappheit droht. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln werden in Deutschland 45 Prozent der seltenen Erden aus China importiert. Weil vor allem natürliche Rohstoffe ohnehin rarer werden, rücken andere rohstoffreiche Länder ins Zentrum des Interesses – und zwar solche, zu denen sich im Idealfall sowohl politische Nähe als auch eine Nähe der Wertesysteme aufbauen lässt.

Handel in pragmatischen Freundschaften mit begrenzter Auswahl

Im Privatleben ist Freundschaft von Sympathie und Vertrauen gekennzeichnet. Was dürfen und sollten nun Länder und Unternehmen von ihren Handelspartnern erwarten? Um Zuneigung geht es hier kaum. Friendshoring ist eine Frage des Pragmatismus. Zwar wird bei der Partnerwahl oft in stabile Demokratien auf der einen Seite und Autokratien auf der anderen unterschieden. Aber so einfach ist es nicht, denn gerade bei natürlichen Rohstoffen gibt es mit Blick auf die Landkarte oft nur eine sehr begrenzte Auswahl, wer als Lieferant infrage kommt.


5-Globalisierungs-Trends-PDF anfordern


Beispiel Lithium, das für die Produktion für Batterien – zunehmend auch für Elektrofahrzeuge – benötigt wird. Größere Vorkommen gibt es in China und Teilen Südamerikas, aber auch in Australien. Friendshoring zeigt sich praktisch, indem das Sicherheitsargument als neuer, zusätzlicher Faktor herangezogen wird. Angestrebt wird also, Lieferketten so zu konstruieren, dass sich Sorgfaltspflichten einhalten lassen und man auch die Versorgungssicherheit auf lange Sicht gewährleisten kann – selbst wenn das unter Umständen höhere Kosten verursacht. Diese strategische Neuerung bei der Rohstoffbeschaffung wird immer wichtiger.

Je nach Sektor fällt die Auswahl der Handelspartner sehr unterschiedlich aus. So ist bei mineralischen Rohstoffen etwa Kanada bedeutend. Deutsche Automobilhersteller wollen kritische Batteriemineralien wie Nickel und Kobalt zukünftig stärker von dort beschaffen. Mercedes-Benz und Volkswagen haben 2022 Vereinbarungen mit der kanadischen Regierung getroffen. Auch im Bereich der Agrargüter spielt Friendshoring eine Rolle. Denn die Bestimmungen in puncto Düngemittel, Gentechnik und Schädlingsbekämpfung sind hierzulande streng, also braucht es Lieferanten, die nicht dagegen verstoßen. 2022 importierte Deutschland Nahrungs- und Futtermittel im Wert von rund 62,8 Milliarden Euro. Insgesamt kommen fast 80 Prozent aller deutschen Lebensmittelimporte aus anderen EU-Ländern, allen voran den Niederlanden. Danach kommen Brasilien und die USA. Die Farm-to-Fork-Strategie der EU sieht vor, dass strengere Auflagen, etwa im Pflanzenschutz, künftig auch für Importe gelten sollen, damit die Produktion nicht in andere Länder abwandert.

Indien als Friendshoring-Liebling

Friendshoring bedeutet nicht zuletzt: Diversifizierung der Handelspartner. Um sich gegen Klumpenrisiken abzusichern, sollte man auf eine große Zahl verschiedener Partner setzen. Das ist aktuell verstärkt in Asien zu beobachten. Große Konzerne wie Apple und Sony und ihre Zulieferer ziehen schon jetzt Produktionsstätten aus China etwa in Richtung Thailand, Malaysia und Indien ab. Sony lässt Kameras für den nicht-chinesischen Markt nun in Thailand herstellen. Die Analysten von JP Morgan schätzen, dass Apple bis Ende 2025 ein Viertel der iPhone-Produktion nach Indien verlagern wird.

Die größte Demokratie der Welt wird zu einem immer begehrteren Partner. Hochleistungsrechner, Halbleiter, Abfallmanagement und widerstandsfähige Wertschöpfungsketten: Am 17. Mai 2023 hat die EU-Kommission verkündet, dass die Union ihre strategische Zusammenarbeit mit Indien vertiefen möchte, insbesondere im Bereich Technologie. Der bilaterale Handels- und Technologierat soll den Handel intensivieren, der im vergangenen Jahr 2022 mit einem Volumen von 120 Milliarden Euro einen historischen Höchststand erreicht hatte.

Friendshoring-Strategien bei Unternehmen auf dem Vormarsch

Das Jahr 2022 hat bei Unternehmen ein Umdenken angestoßen, wie eine Ifo-Studie zeigt: Sie haben die Risiken ihrer Lieferketten seither neu bewertet. Während im Mai 2021 nicht einmal die Hälfte der befragten deutschen Unternehmen erwogen hatten, ihre bisherige Strategie und Partnerschaften in der Beschaffung zu ändern, bot sich 2022 ein anderes Bild: 87 Prozent der Industrieunternehmen, 76 Prozent der Großhändler und 63 Prozent der Einzelhändler haben sie seitdem nach eigenen Angaben angepasst. Rund 65 Prozent von ihnen haben neue Lieferanten hinzugewonnen. Darüber hinaus berichteten 38 Prozent der Betriebe von Umschichtungen zwischen bestehenden Lieferverhältnissen.

Der Studie zufolge plant jedes zweite Unternehmen eine weitere Diversifizierung der Lieferanten. 22 Prozent der für die Studie Supply Chain Pulse Check befragten Industrieunternehmen haben eine Friendshoring-Strategie entweder begonnen oder bereits umgesetzt. Ein Drittel gab an, Friendshoring als Maßnahme für resilientere Lieferketten einzuplanen.

Friendshoring wird Basis zukunftsfähiger Geschäftsbeziehungen

Friendshoring stellt einen neuen Weg in den internationalen Beziehungen dar, der auf Zusammenarbeit, Vertrauen und gegenseitigem Nutzen basiert. Das schafft eine Win-Win-Situation, in der beide Seiten von der Zusammenarbeit profitieren können. Dazu gehört auch der Austausch von Technologie, Know-how und Innovation, um gemeinsam den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.

Der Trend hin zum Friendshoring zeigt: Es geht für Länder und Unternehmen darum, Beziehungen zu gestalten, die auf Vertrauen, gemeinsamen Zielen sowie einer langfristigen Zusammenarbeit basieren – unabhängig von der geografischen Lage. „Gemeinsam“ ist hier der Schlüsselbegriff: Die Zeiten eindimensionaler, direktionaler Weisungen sind vorbei. Durch das Friendshoring können Staaten wie Unternehmen von den Stärken und Fachkenntnissen ihrer Partner profitieren und gleichzeitig Risiken minimieren oder Effizienzgewinne erzielen.

Die zentrale Frage lautet also nicht, wo ich meine Partner finde, sondern wie tief das Vertrauen zu diesen Partnern ist. Auf Grundlage des gegenseitigen Vertrauens bilden sich neue Netzwerke und Communities, neue Institutionen und Vertrauenspartnerschaften. Sie finden ihren Ursprung nicht mehr in der Nachkriegszeit des vergangenen Jahrhunderts, sondern sind deutlich aktueller und damit zeitgemäßer. Für Entscheider:innen stellt sich damit die Frage: Wo sind meine Freunde, mit denen ich den globalen Herausforderungen meines Unternehmens begegnen kann? Allein die Frage, was in Taiwan passiert, kann über die Zukunft der Technologie-Fähigkeit des eigenen Unternehmens entscheiden. Zukünftige Geschäftsbeziehungen basieren damit nicht nur auf klassischen Supply-Chains, sondern auf Trust-Networks. Diese sind elementarer Teil einer gelungenen qualitativen Globalisierung, auf die Europa setzen sollte.


Entwickeln Sie Ihre Friendshoring-Strategie!

Profitieren Sie von unserem Megatrend-Bundle Globalisierung und sichern Sie sich die Megatrendstudie Globalisierung und das Megatrendstudio Globalisierung zum günstigen Vorteilspreis.

Fundiertes Wissen und praktische Anwendung:

  • Verstehen Sie den Megatrend Globalisierung und seine aktuellen Subtrends
  • Erkennen Sie die Handlungsfelder im Kontext der Globalisierung
  • Entwickeln Sie Ihren individuellen Zukunftsplan
Mehr zum Megatrend-Bundle Globalisierung

Besuchen Sie unseren Shop oder melden Sie sich direkt bei uns, um gemeinsam Ihre Friendshoring-Strategie zu entwickeln. Unser Team berät Sie gerne und lotet gemeinsam aus, mit welchen Angeboten wir Ihre Organisation wirkungsvoll unterstützen können.