Aktive Väter programmieren die Gesellschaft der kommenden Jahre um: Die Familie ergänzt die Arbeit als sinnstiftendes Element des männlichen Lebens.
Von Thomas Huber (07/2015)
Aktive Väter programmieren die Gesellschaft der kommenden Jahre um: Die Familie ergänzt die Arbeit als sinnstiftendes Element des männlichen Lebens.
Von Thomas Huber (07/2015)
Väter haben Konjunktur. Es gibt Väternetzwerke, Väterinitiativen, Vätertage. Es gibt ein Väterradio, Vätergesundheitstage und Väterratgeber. Die Vaterschaft ernst nehmen und sich um die eigenen Kinder auch wirklich zu kümmern liegt zweifelsohne im Trend. Auch auf politischer Ebene wird gern mit dem aktiven Vater argumentiert: Mittlerweile nehmen über 27 Prozent der deutschen Väter die Elternzeit in Anspruch (Statistisches Bundesamt 2013). Betrachtet man allerdings dabei die Tatsache, dass 77 Prozent davon nach zwei Monaten wieder voll in den Beruf zurückkehren, so muss man hinter die politische Erfolgsgeschichte doch zumindest ein kleines Fragezeichen setzen.
Der Diskurs über die aktive Vaterschaft läuft auch in den USA auf Hochtouren: Auf Veranstaltungen wie dem „Dad 2.0 Summit“ können sich Interessierte mit Tipps und Zahlen über die US-Väter versorgen. Unterstützt durch das US-Gesundheitsministerium, finden sich dort vielsagende Daten: Von den 70,1 Millionen Vätern in den USA sind 1,96 Millionen alleinerziehend (2,8 Prozent), und es gibt geschätzte 189.000 Hausmänner. Vergleichbare Zahlen für Deutschland gibt es nicht. Der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes, der sich 2008 zuletzt damit beschäftigte, geht von 220.000 alleinerziehenden Vätern aus, bei 7,3 Millionen Vätern insgesamt.
Superdaddys jedoch sind anders. Die gängigen Statistiken erfassen sie nicht. Sie stehen für eine andere Sichtweise auf die Vaterschaft. Nach unseren Analysen sind es derzeit 1,7 Millionen Männern im Alter zwischen 30 und 55 in Deutschland, die ein revidiertes Selbstverständnis des Mannes als Vater und Teil der Familie verkörpern.
Superdaddys sind anspruchsvoll: Gegen sich und gegen andere – Revoluzzer sind sie nicht. Für alle Befragten (98 Prozent) ist Erfolg im Beruf wichtig, deutlich mehr als in der Gesamtheit der gleichaltrigen Männer sind sie auch unternehmerisch tätig (17 vs. 12 Prozent). Leistung spielt eine große Rolle, aber auch das Bewusstsein, dass wir nur eine Welt haben, die wir unseren Kindern vererben können. Egal, ob es um Individualität geht, um kulturelles Leben oder soziales Engagement – Superdaddys sind anspruchsvoller als ihre Altersgenossen. Und obwohl sie die Familie in den Mittelpunkt ihres Lebens stellen, verfolgen sie weiterhin ehrgeizige Pläne und wollen entsprechend weiterkommen.
Das bedingt, dass man Verantwortung übernimmt. Nichts, wovor sich Superdaddys scheuen. Immerhin fast jeder Zweite von ihnen möchte auch aktiv an der Veränderung der Gesellschaft mitwirken. Sie tun dies, auch wenn es den Anhängern dieses Lebensstils vielleicht gegenwärtig gar nicht so erscheint, indem sie jenseits von Quoten oder Gender-Debatten die Veränderung eines Rollenbildes selbst vorantreiben.
In der Person des Vaters bündeln sich seit jeher ikonische Bilder von Gesellschaften. Diese Bilder sind immer auch Ergebnisse von Entwicklung. Waren Väter lange unwidersprochene Autorität, so änderte sich das mit den massiven Umbrüchen der 68er-Bewegung, die gegen das „Patriarchat“ aufbegehrte und die Rolle des gestrengen bis brutalen Vaters nicht mehr gelten ließ.
Der Vater als Patron: Das ist heute anders. Ein grundsätzlicher Anspruch auf die führende Position im familiären Umfeld existiert nicht mehr. Vater zu sein muss heute alternativ begründet werden und wird von aktiven Vätern zwischen 30 und 55 Jahren auch völlig anders interpretiert. Die neue Rolle reicht über die biologisch-funktionale Vaterschaft der „vaterlosen“ Generationen zuvor weit hinaus. Im Leben geht es darum, offen zu sein für die Chancen, die sich bieten (sagen 91 Prozent der Superdaddys). Und eine solche Chance stellt auch die Kindererziehung dar.
Gemäß einer Umfrage des Happiness-Instituts sagen gut 88 Prozent der Befragten, dass sie großen Wert darauf legen, von Anfang an die Entwicklung ihrer Kinder aktiv zu begleiten; rund 92 Prozent der Befragten geben darüber hinaus an, dass ihnen „Zeit mit der Familie, auch in der Woche“ sehr wichtig sei (Happiness Institut 2012). Aus Sicht von rund zwei Drittel der Superdaddys sind Freizeit und Beruf heute gar nicht mehr so deutlich zu trennen, in der Gesamtgruppe der Männer sieht das nur gut jeder zweite so.
An den Veränderungen des Bildes vom Vater zeigen sich eine Reihe umfassender Trendveränderungen. Jahrzehnte des Individualismus führten zu einer Emanzipation des Einzelnen von der Masse und stärkten die Emanzipation der Frau. Allgemeingültige Verhaltensformen wichen der persönlichen Interpretation: Mein Leben, meine Karriere, meine Kinder. „Mein Bauch gehört mir“ demonstrierte den Anspruch der Selbstbestimmung und brachte in der Folge des „Pillenknicks“ die bestehenden Rollenbilder ins Wanken. Mit dem Ende des Baby-Booms begann allmählich das Ende der alten Vaterfigur, die sich unwidersprochen auf die Ernährerrolle zurückziehen konnte.
Die Verunsicherung der Männer über ihre Position durch die Emanzipation der Frau prägt das Geschlechterverhältnis bis heute. Der Gender Shift krempelt als Megatrend unsere gesamte Gesellschaft weiterhin massiv um: Bessere Bildungschancen? Frauen. Höhere Netzwerkkompetenz? Frauen. Finanzielle Unabhängigkeit, eigene Karrieren, politische Machtpositionen, Vordringen in Männerbiotope: Kein Bereich der Gesellschaft wird davon nicht verändert. Immer drängender stellt sich daher die Frage: Was soll ein moderner Vater also sein? Aktiv und engagiert, mit einem Ansatz bewusster und selbstverständlicher Gleichstellung.
Das verändert einen wesentlichen Teil des alten männlichen Identitätsmodells: Ich arbeite, also bin ich. Absehbar ist, dass die Besserbezahlung des Mannes für gleiche Arbeit, die Überrepräsentierung in Führungspositionen, die Privilegierung im Besetzungsverfahren zu Ende geht. Dafür sorgen gesetzliche Vorgaben und volkswirtschaftliche Notwendigkeiten. Den besser gebildeten Teil der Workforce nur partiell einzusetzen und für längere Zeit aus dem Wirtschaftskreislauf zu verbannen wird sich im demografischen Wandel nicht mehr rechtfertigen lassen. Die Betroffenen sehen das immer deutlicher: Nur noch 53 Prozent der deutschen Väter in einer Partnerschaft betrachten den Mann als Ernährer als das Standardmodell (BMFSFJ 2011). Das ist das Ergebnis einer Fifty-Fifty-Lebensweise, die vor der Geburt der eigenen Kinder mittlerweile völlig normal ist: Jeder kümmert sich um seine Karriere, die Aufgaben werden halbe-halbe verteilt. Mit den Kindern stellen sich die Fragen jedoch nachdrücklich neu.
Der Umbruch vom Mann- zum Vater-Sein eröffnet zugleich die Chance auf eine gänzlich neue Realität: Der moderne Vater ist der aktive Vater, der Superdaddy, wie wir ihn schon in unserer Lebensstile-Studie von 2007 angekündigt haben. Eine neue gesellschaftliche Wirklichkeit entsteht, die nicht nur den Vater, sondern im Zusammenhang damit auch die Rolle des Mannes neu definieren wird. Für die neue Generation von Vätern sind zwei wesentliche Dinge anders als für ihre Väter:
Aktive Väter stehen vor einer doppelten Herausforderung. Die meisten von ihnen sind nach wie vor Vollzeitbeschäftigte und sehr leistungsorientiert. Zugleich zeigen alle Studien einen massiv gewachsenen Wunsch, an der Entwicklung der Kinder intensiv teilzuhaben: 97 Prozent wollen gerne mehr Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen (Wort & Bild Verlag/GfK 2012). Eine paradoxe Rollenanforderung aus Härte und Achtsamkeit.
Wer dem genügt, der stellt als Alpha-Softie andere Anforderungen an Konsum und Freizeit. „Jede Story über modernes Männermarketing beginnt mit dem Verständnis der Väter. Ihre Konsumhaltung entsteht aus einer einzigartigen Melange aus Stärke, Sensibilität, Abenteuer, Weisheit und Gefühl“ (Hay 2014), konstatiert das Dad 2.0-Summit und ist überzeugt: Väter sind die Vorreiter für das Marketing von morgen.
Alpha-Softies also, wie die Väter gGmbH im Ergebnis ihrer Befragung der Mitglieder des Väternetzwerks 2013 konstatiert: Männer, die sehr großen Wert darauf legen, gepflegt auszusehen (83 Prozent), denen es wichtig ist, etwas für ihre Gesundheit zu tun (68 Prozent), die bewusst darauf achten, sich gesund zu ernähren, für die aber gutes Essen und Trinken dennoch eine sehr wichtige Rolle in ihrem Leben spielt (82 Prozent). Eine fantastische Konsumgruppe, die mit all diesen Aussagen deutlich über dem liegt, was für die Gesamtheit der Männer gleichen Alters wichtig ist.
Aber: Der Weg geht eben über die Familie – ein Aspekt, der im verhärteten Medienbild der Männer künftig eine viel tragendere Rolle spielen wird. 97 Prozent der größeren Kaufentscheidungen werden bei Superdaddys von der gesamten Familie getroffen! Das erklärt auch, warum man sie kaum auf der Ebene des Impulskaufs erreicht. Signifikant weniger empfänglich sind die Alpha-Softie-Väter dafür als ihre Altersgenossen. Entsprechend sind auch die medialen Vorlieben: Bescheid wissen steht an oberster Stelle, Nachrichten, gern auch regionale, sind Trumpf. Online-sein ist in dieser Altersgruppe mittlerweile völlig normal, die meisten sind es sieben Tage die Woche. Die real-digitale Welt formiert sich zwischen Beruf, Familienorganisation und mobilem Shopping. Thematische Leidenschaften sind, wenig überraschend: Action, Krimi, Fußball. Die Revolution der Superdaddys ist eben eher strukturell als in den Konsumwünschen zu finden.
Superdaddys stehen für ein neues Rollenverständnis des Mannes. Statt Karriere oder Hausmann heißt das Wunschbild künftig: Beides. Das erzeugt hohe Komplexität und verlangt nach neuen Unterstützungsleistungen. Elterngeld und Elternzeit stehen symbolisch für die Bedeutung neuer Strukturen. Immer mehr Arbeitgeber müssen sich künftig auch mit Väterförderung auseinandersetzen. Über die Väter könnte der Weg zu einer neuen Familienorientierung der Gesellschaft und am Ende zu steigenden Geburtenraten führen. Nachlassende Identifikationskraft der Arbeit und Reduzierung der Präsenzkultur werden Raum schaffen für die Entwicklung des neuen Gesellschaftsprojekts vom „großen Wir“.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Studie Lebensstile für morgen