Unsicherheit als Zukunftschance

Digitale Sicherheitslücken zwingen Unternehmen, ihre IT-Security auszubauen. Künftig geht es jedoch weniger um Risikominimierung als um den richtigen Umgang mit Unsicherheit.

Von Florian Kondert und Stefan Sutterlüty (11/2015)

Als Apple 2007 sein iPhone auf den Markt brachte, ahnte noch niemand, wie dieses kleine Gerät das gesamte Kommunikationsverhalten unserer Gesellschaft verändern würde. Ebenso ist es durchaus möglich, dass der 2014 von Apple eingeführte Service “Apple Pay” das physische Bankwesen obsolet machen wird. Die digitale Revolution hat unsere Gesellschaft in allen Bereichen grundlegend verändert – indem sie digitale Produkte und Dienstleistungen schaffen, die Antworten auf gesellschaftliche Bedürfnissituationen liefern. Apple hat also kein Produkt geschaffen, um damit das Kommunikationsverhalten unserer Gesellschaft zu verändern – vielmehr war es eine Reaktion auf das Bedürfnis unserer Gesellschaft nach einem neuen und den modernen Rahmenbedingungen entsprechenden Kommunikationsmittel.

Was bedeutet dies für die Branche der IT-Security? Sicherheit stellt ein grundlegendes Bedürfnis unserer heutigen virtuellen Gesellschaft dar. Die virtuelle Welt hat sich derart schnell und ungehemmt entwickelt, dass die Cybersecurity dem rasant wachsenden Internet nur hinterhinken konnte. Aufgrund der zunehmenden Sensibilisierung der Bevölkerung für Themen des Datenschutzes und dem Bedürfnis der Unternehmen, ihre Daten zu sichern, wurde der Bereich der IT-Security zur Wachstumsbranche. Cybersecurity erfüllt heute mehr oder weniger erfolgreich das existenzielle gesellschaftliche Bedürfnis nach Sicherheit.

Unternehmen investieren daher heute Unsummen in IT-Security, um ihre Daten zu schützen. Datenbanken sind ein wertvolles Eigentum, das aufgrund der zunehmenden Bedrohungen der virtuellen Welt mehr Schutz bedarf denn je. Allerdings kann das grundlegende Risiko des Datenverlusts nie vollständig ausgeschaltet werden. In Zukunft wird deshalb nicht die Frage nach Sicherheit von zentraler Bedeutung sein, sondern vielmehr der intelligente Umgang mit der Unsicherheit als eine Chance für die Zukunft.

Der richtige Umgang mit der Unsicherheit macht es möglich, aus fehlinterpretierten, verzerrten Zukunftsprognosen (Future Bias) auszubrechen. Unsicherheit und Krise bieten die Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln und Stabilität zu schaffen. Indem Unternehmen aber Mauern bauen, um ihre Daten zu schützen und von anderen abzuschotten, verhindern sie zugleich, dass die Daten fluktuieren und weiterwachsen. Um Innovationen oder generell einen Fortschritt erzeugen zu können, ist es notwendig, diese Mauern einzureißen. An diesem Punkt stoßen viele Unternehmen an ihre Grenzen. Wenn Daten Eigentum und Kapital der Organisation darstellen, fällt die Öffnung besonders schwer. Unternehmen der Zukunft müssen sich bewusst werden, dass die Öffnung der Daten zu einer Win-win-Situation führen kann.

Tesla Motors, eines der führenden Unternehmen im Bereich der Elektromobilität, wagte 2014 den Schritt in Richtung Open Access, indem es all seine technologischen Patente frei zugänglich machte. Aus Sicht des Unternehmens ist das Bedürfnis nach nachhaltiger Mobilität ein gesamtgesellschaftliches Bedürfnis, das von Tesla alleine nicht befriedigt werden kann. “Falls wir einerseits erfolgreiche Elektrofahrzeuge entwickeln, aber anderseits rechtliche Minen legen, um andere vom Markt abzuhalten, würden wir gegen dieses Ziel verstoßen”, heißt es in der Erklärung von Tesla.

Der große Vorteil der freien Verfügbarkeit von Daten liegt darin, dass komplexe Probleme, deren Lösung alleine nicht zu bewerkstelligen ist, durch Synergien von Vielen gelöst werden können. Die hohe Komplexität moderner gesellschaftlicher Probleme erfordert große Mengen an Daten, die von einzelnen Unternehmen kaum generiert oder gesammelt werden können. So stellte etwa das Unternehmen Golden Corp bereits vor 15 Jahren der Öffentlichkeit 400 MB Geodaten zur Verfügung, da es ein Land mit Goldvorkommen besaß, aber nicht die Ressourcen, um diese zu fördern. Golden Corp gab seine proprietären Daten frei, schrieb ein Preisgeld von 575.000 Dollar aus – und machte in Folge 6 Mrd. Dollar Umsatz.

Beispiele wie Tesla und Golden Corp sind Indizien dafür, dass sich der Bereich der Cybersecurity in Zukunft von Grund auf ändern wird. Es wird weniger darum gehen, die Unsicherheit der virtuellen Datenwelt durch den Ausbau der virtuellen Mauern zu reduzieren. Entscheidend wird es sein, mit dieser Unsicherheit lernend umzugehen und davon zu profitieren. Der Weg nach vorn liegt nicht in der Unsicherheitsreduktion, sondern in der Unsicherheitskompetenz.

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