Die Idee des Weltuntergangs ist nicht totzukriegen. Sie lebt von der Faszination für die Apokalypse und der Furcht des Menschen.
von Matthias Horx
Die Idee des Weltuntergangs ist nicht totzukriegen. Sie lebt von der Faszination für die Apokalypse und der Furcht des Menschen.
von Matthias Horx
Mehr als eine Million Kommentare, Thesen und Voraussagen finden sich auf einer der zentralen Websites für den Weltuntergang, der am 22.12.2012 stattfinden soll – das berühmte Maya-Datum. Und die Abstimmung des Zukunftsinstituts über die X-EVENTS brachte innerhalb eines einzigen Tages 1000 Teilnehmer! Woher stammt diese geradezu irre Faszination am Weltuntergang? Obwohl Untergänge sind ein gutes Geschäft wir rational wissen, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass uns „der Himmel auf den Kopf fällt“ (der alte Optimist Obelix), schauen wir immer dort hin, wo eine Katastrophe ausgemalt wird. Je drastischer, je lieber. Und zwar möglichst eine endgültige. Das Fieber hat längst die Medienproduktion ergriffen: Etwa 30 Prozent der Hollywoodproduktionen im Jahr 2012 sind Weltuntergangsdramen. Das Spektrum reicht von der Verlangsamung der Erdrotation über den finalen Stromausfall (ein typisches X-Event) bis zum üblichen Alien-oder-Kometen-vernichten-die-Menschheit-Drama.
Untergänge aller Art sind zunächst einmal ein gutes Geschäft – Aufmerksamkeit ist garantiert, wenn es um die letzten Dinge geht. Dass Blut vom Himmel fällt und ein ewiger Regen „das Menschengeschlecht“ verdirbt, wird schon in den diversen heiligen Schriften prophezeit. Der Kontext für den Weltuntergang ist hier klar gesetzt: Es geht um Strafe, Schuld und Disziplinierung. Das ist das eigentliche Kernthema: Untergang als Konsequenz von Sünden aller Art. „Die Sorge um die Zukunft hilft der Herrschaft der Gegenwart; gegebenenfalls baut man dazu ein paar Tempel“, formulierte der Feuilletonist Georg Seeßlen. Heute sind es vor allem die ökologischen Sünden, die die mentale Matrix der Untergangerwartung bilden. Erderwärmung, „Überbevölkerung“, „Rohstoffkrise“ – es ist eine uralte Schuld-Angst-Brille, durch die wir die Welt sehen.
Der Ursprung dieser Disposition hat evolutionäre Gründe. Unsere Vorfahren überlebten besser, wenn sie die „Zeichen am Horizont“ gut lesen konnten. Wir sind, als empfindliche Lebewesen, auf Bedrohungsszenarios abonniert. Wobei für die meisten Zeiten gilt: lieber ein wenig mehr Panik als zu viel Entspannung.
Paradoxerweise geht es aber immer auch um Heilung. „Heilung durch Katastrophe“ lautete das Motto der Dokumenta 2012. Im bislang größten Untergangsspektakel der Filmgeschichte, „2012“ von Roland Emmerich, wird der ganze Planet in biblischer Weise überflutet, sogar der Mount Everest wird überschwemmt. Mitten drin – das ist die eigentliche Handlung – sammelt der einfache Familienvater Jackson Curtis seine Patchworkfamilie zusammen und beendet seine Karriere als erfolgloser Teilzeitschriftsteller. Er kümmert sich. Emmerich hat wie kein anderer die inneren Chiffren des Katastrophenmotivs begriffen: innere Rettung durch äußere Katharsis, Familienzusammenführung, Einswerdung. „Re-Union“ – zu einem endgültigen Heroismus, der entweder in nationalistischer oder auch familiärer Form daherkommen kann.
Moderne Zivilisation ist komplex. Globale, städtische, mediale Kultur bringt Ambiguität, erzeugt Distanz zwischen Menschen, kappt genealogische Bindungen, verstärkt Individualisierung. Damit entsteht soziales Defizit, schlechtes Gewissen. Der Weltuntergang macht Schluss mit diesen Unsicherheiten. Wenn die Hochhäuser fallen, wird alles wieder geradegerückt: Alle kehren zurück zu den Wurzeln, die Kinder stehen plötzlich am Gartenzaun der alten Eltern, Mann sinkt Frau in die Arme, Liebende, die sich nicht lieben durften, finden sich endlich (ohne das Risiko der Beziehungsabnutzung). Und der Vater kehrt – diesmal für immer – aus dem Büro zurück.
In „Revolution“, einer neuen US-Serie, die den X-Event „Totalversagen der Energienetzwerke“ zum Ausgangspunkt hat, finden die Menschen wieder zurück zu einem tribalen, kriegerischen Sippenleben mit hohem Zusammenhalt und einer klaren Trennung zwischen Gut und Böse. Im Untergangsfilm „The Road“ findet der Vater seinen Sohn wieder; beide ziehen zusammen durch ein zerstörtes, post-apokalyptisches England und lernen, was Menschsein ist. In „Bombay Beach“, einem Film, der in einer sterbenden Ausflugsstadt am Saltonsee in Kalifornien spielt, wird eine niedergehende amerikanische Zivilisation gezeigt, in der jedoch die Beziehungen durch den Zusammenbruch wieder authentisch und intensiv werden. In „The Postman“ und „Waterworld“ und „Terminator“ und „Matrix“ und hundert anderen heroischen Untergangsfilmen dient die Untergangskulisse einer ähnlichen Operation: Männer werden heroische Retter, selbst wenn es nichts mehr zu retten gibt. Mutter kümmert sich endgültig um die Familie, ohne dauernd Verabredungen mit ihren Freundinnen zu haben. Ein Rückkehr zur alten, „natürlichen“ Ordnung findet statt.
Neben diesen sturzkonservativen bis reaktionären Elementen bieten Apokalypsebilder auch Nahrung für anarchistische Phantasien. Es geht um radikale Lebensintensivierung, um die Entgrenzung der Wünsche. In allen Zeitungen und Zeitschriften wird derzeit die Frage gestellt: Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch eine Woche/einen Monat/ein Jahr zu leben hätten? Die Impertinenz dieser Frage lässt sich vor allem durch einen Faktor erklären: Langeweile. Unsere Welt ist womöglich in Wahrheit so sicher geworden, dass wir uns nach dem Thrill existenzieller Bedrohungen regelrecht sehnen.
Das ging auch früheren Generationen schon so – und gerade den Intellektuellen. Der Schöngeist Hugo von Hoffmansthal, Poet und Romantiker, war schwer begeistert angesichts der dräuenden Stahlgewitter des Ersten Weltkriegs: „Glauben Sie mir,“ schrieb er am 28. Juli 1914, „dass wir hier alle in diese Sache (den Krieg) und in alles, was daraus werden möge, mit einer Entschlossenheit und, ja, Freude hineingehen, die ich nie für möglich gehalten hätte.“ Im Totalzusammenbruch der Ordnung bildet sich lustvolle, ja erotische Anarchie – man denke an Stanley Kubricks „Eyes wide shut“ – ein Drama, dessen literarische Vorlage (die „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler) den Untergang des Habsburger-Imperiums als erotische Bühne nutzt.
Untergangsnarrative sorgen auch für egalitäre Elemente: Wie der Kommunismus machen sie uns alle gleich, entkleiden die Gesellschaft von Status- und Geschlechter-Unterschieden. Deshalb müssen linke wie rechte Ideologien immer mit Weltuntergängen à la „Die finale Finanzkrise“ oder „Deutschland schafft sich ab!“ werben. In genau die andere Richtung geht es bei den „Rapture“-Phantasien zu, wie sie im amerikanischen Evangelikalismus, bei Al-Qaida und den Zeugen Jehovas, aber auch bei unzähligen ökologischen Untergangsphantasien üblich sind. Eine kleine Elite von Überlebenden wird entweder in den Himmel oder in die ewig harmonische Bio-Landkommune entrückt, die nach dem Zusammenbruch der bösen Zivilisation entsteht. Auserwählung der Überlebenden, der Guten und Gerechten: Das ist der elitäre Aspekt des Apokalyptischen.
Am Ende ist die Faszination an der Apokalypse aber immer Ausdruck tiefer, paranoischer Angst. Und damit vielleicht ein ganz und gar natürlicher, menschlicher Zustand. Seit es Menschen auf dieser Erde gibt, sind sie von ungeheuren Bedrohungen umgeben: Seuchen, Kriege, Dürren, Gewalt, Völkermorde – die Apokalypse war in der Vergangenheit immer auch eine Realität. In einer Wohlstandsgesellschaft rücken diese Bedrohungen in die Ferne, andererseits sind sie durch die Medien ganz und gar nah. Jeder von uns erlebt im Tod auch seine eigene Apokalypse. Und so ist unsere tiefe Lust an der Totalzerstörung vielleicht auch eine Entlastung: Wie wenn man einen schrecklichen Unfall aus der Distanz beobachtet und dabei diese verbotene Genugtuung fühlt: Ich bin heute noch einmal davongekommen.
Der Philosophieprofessor und Wissenschaftstheoretiker Erhard Oeser hat in seinem Buch „Katastrophen – Triebkraft der Evolution“ nachgewiesen, wie Desaster aller Art immer eine paradoxe Wirkung auf die menschliche Kultur hatten. So wie der totale Zusammenbruch von 1945 Deutschland erst den Weg in die Moderne bahnte, war zum Beispiel die Pest im Mittelalter ein Katalysator für mehr gesellschaftliche Komplexität: nicht nur, dass Kanalisation und Hygiene Einzug hielten. Die Verminderung der arbeitsfähigen Bevölkerung führte zur massiven Erhöhung von Löhnen und dadurch zu neuen Techniken der Produktion. Die Feudalherren mussten sich nun mehr um die Lebensqualität der Menschen bemühen. „Pest, Krieg und Verstädterung – die apokalyptischen Reiter agierten tatsächlich als Reiter des Reichtums“, schreibt Oeser.
Selbst die großen Naturkatastrophen sind erdgeschichtlich – man denke an das Aussterben der Dinosaurier – ähnlich einzuordnen wie Schumpeters Satz über die Dynamik des Kapitalismus: Kreative Zerstörung. Eine solche Vorstellung, nämlich dass es die Katastrophen sind, die Menschen und Menschheit am Ende voranbringen, ist eine wahrhaft apokalyptische Vorstellung. Und vielleicht der wahre Grund, warum wir so gern ins Auge des Monsters starren.