Andrej Kupetz, Hauptgeschäftsführer des Rats für Formgebung, über den Prestigeverlust des Autos in westlichen Gesellschaften und einen neuen Pragmatismus im Umgang mit individueller Mobilität.
Das Automobildesign der Zukunft

Markendesign und Connectivity
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich Automobildesign gerade in Deutschland verändert – weg von seiner archetypischen Ausrichtung, die jedes Produkt als Einzelerscheinung betrachtet, hin zum Flottendesign. Automobildesign wird von den Unternehmen als Markendesign interpretiert. Jedes Fahrzeug ist ein Botschafter der jeweiligen Marke. Der Anspruch, das Spezifische der Marke für den Kunden immer neu erlebbar zu gestalten, stellt die größte Herausforderung dar.
Dennoch: Der Verbrennungsmotor – so effizient er mittlerweile ist – wird nicht die Antwort auf die individuelle Mobilität der Zukunft sein. Die Alternativen müssen ernsthaft weiterentwickelt Der Verbrennungsmotor wird nicht die Antwort auf die individuelle Mobilität der Zukunft sein werden. Wenn vor zwanzig Jahren das Design der Mercedes-Benz A-Klasse oder des Smart auf die Batteriegrößen und ihre denkbaren Positionierungen abzielte, so stellt sich heute die Frage, ob der alternative Antrieb überhaupt ein anderes Fahrzeugdesign erfordert als der konventionelle. Denkt man an die Akzeptanzprobleme, die der Smart bis heute hat, ist es vielleicht keine gute Idee, eine definitiv teurere Technologie mit einem besonders ungewohnten Design auf den Markt zu bringen.
So wie die Benutzeroberfläche unseres Smartphones nichts mit den eigentlichen Vorgängen im Inneren des Gerätes zu tun hat, sondern nur einen intuitiv erlebbaren Zugang zu seinem vielfältigen Produktnutzen darstellt, wird auch das Interieur des Fahrzeugs als interaktive und dreidimensionale Benutzeroberfläche verstanden werden. Der oft gebrauchte Begriff Connectivity steht genau für diese Entwicklung: die einfache, nahtlose Vernetzung des Fahrers mit seiner Außenwelt.
Die Entemotionalisierung der Automobilität
Doch noch stärker als Antriebs- oder Medientechnologie könnten die Veränderungen im Nutzungsverhalten der Kunden das Automobildesign der Zukunft beeinflussen. 2011 hat eine Studie der FH Bergisch-Gladbach einen Trend zur Entemotionalisierung der Automobilität ausgemacht. Das Auto werde in den westlichen Gesellschaften in den jüngeren Zielgruppen an Prestigewert verlieren. Ein neuer Pragmatismus im Umgang mit individueller Mobilität mache sich in den Metropolen der Welt breit. Das Auto werde nur noch ein Glied in der Das veränderte Nutzungsverhalten der Kunden wird das Automobildesign der Zukunft beeinflussen Mobilitätskette darstellen, das man nicht mehr zu besitzen braucht. Man nutzt es, wenn es nicht anders geht. Diese Entwicklung ist bereits in der Automobilindustrie angekommen. Daimler, BMW oder VW haben längst eigene Carsharing-Programme. Allerdings sind diese Angebote in die Markenkommunikation strategisch kaum integriert. Geschweige denn, dass Designlösungen für ein markenspezifisches Carsharing-Konzept existieren.
Sollte sich der Trend zum Fahrzeug auf Zeit verstärken, werden die Bindungen der Kunden zu ihrer Marke schwächer. Denn das Konzept „Nutzen statt Besitzen” beruht auf dem Prinzip der Multioptionalität. Das heißt für die Automobiler: Der jeweilige Markenvorteil muss noch deutlicher kommuniziert werden als bisher. Wenn wir die derzeitige Bedeutung des Designs für den Erfolg der Branche zu Grunde legen, dann ist der Trend „Nutzen statt Besitzen” vor allem eine Designaufgabe. Es bleibt also abzuwarten, wer im Bereich der multioptionalen Mobilität die ersten wirklich markenspezifischen Angebote bereithält.
Die Automobilindustrie in Deutschland steht vor einer einmaligen Herausforderung. In den vergangenen zwei Jahrzehnten war sie erfolgreich, weil sie nach einer Phase der kostengetriebenen Unternehmenspolitik in den 1980er-Jahren erstmals Design-to-Market betrieb. Eine Strategie, die darauf abzielte, Automobile von den Bedürfnissen der Kunden her zu entwickeln. Das umsatz- und margenstarke Das Erfolgsmodell der deutschen Industrie wird zwangsläufig unter Druck geraten SUV-Segment mag zwar archaisch und anachronistisch erscheinen, ist aber genau dem Wunsch des Kunden nach Sicherheit, Übersicht und Stärke im Straßenverkehr entsprungen. Das erfolgreiche Businessmodell maßgeschneiderter Autos ist aber in seiner Existenz bedroht. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der europäischen Länder die Besteuerung von Dienstfahrzeugen künftig am CO2-Ausstoß ausrichtet. Das Erfolgsmodell der deutschen Industrie, im Premiumsegment eine breite Palette leistungsstarker Fahrzeuge zu führen, wird zwangsläufig unter Druck geraten. Denn eine attraktive Alternative im Flottengeschäft fehlt bisher.
Design von Segelfliegern und Windkrafträdern
Da wundert es sehr, dass die Marken des Segments in Bezug auf Elektromobilität noch sehr zurückhaltend agieren. Nur BMW hatte 2011 mit BMW i eine eigene Marke kreiert, um seine Kunden auf die Zukunft der Elektromobilität vorzubereiten. Was wir damals anhand der Concept Cars i3 und i8 sehen konnten, war vor allem gestalterisches Spekulieren über die Transformation der BMW-Markenwerte in eine unklare Zukunft. Diese erinnert in ihrer formalen Gestalt und durch den Einsatz großer Glasflächen stark an das Design von Segelfliegern oder Windkrafträdern. Und BMW ist mit dieser luftigen Anmutung nicht allein. Auch die Roller-Studien Urban Concept von Audi oder Nils von VW zeigen Anleihen im Design windbetriebener Objekte. Heute muss man den bisherigen Designausflug in die Elektromobilität wohl eher als Fingerübungen für die Designer verstehen. Und doch wird an diesem Beispiel deutlich, vor welcher großen Richtungsentscheidung die Marken stehen.