Im Interview erklärt Mobilitätsexperte Dr. Stephan Rammler, wie einfach ein cleveres Mobilitätskonzept für Städte umzusetzen wäre.
Wie Mobilität in einer modernen Stadt aussehen muss
Herr Dr. Rammler, was halten Sie für einen überschätzten Trend im Bereich der Mobilität?
Ich glaube, dass die Frage der Automatisierung total überschätzt wird. Es ist ein Hype, dessen technologische und ökonomische Umsetzbarkeit von den jeweiligen Akteuren ganz unterschiedlich bewertet und kommuniziert wird. Man muss immer genau hinschauen: Wer spricht mit welchem Interesse? Es herrscht eine große Intransparenz in der Debatte. Ein Beispiel: Wenn Sie Start-ups rund ums Thema autonomes Fahren zuhören, dann stellen diese die Entwicklung der Situation immer viel besser dar, als sie faktisch ist. Und wenn Sie einen Blick auf die Aussagen einiger Vertreter von Automobilfirmen werfen, dann scheint es, als wird das automatisierte Fahren selbst in dichten und komplexen Innenstadtsituationen eher gestern als morgen stattfinden. Was ich damit sagen will: Wir müssen erstmal definieren, welche Form von automatisiertem Fahren wir überhaupt meinen.
Hochassistiertes Fahren – auf Autobahnen, bei Geschwindigkeiten von 130 bis 140 km/h – wie es Tesla bereits in den USA anbietet, wird sehr schnell kommen, insbesondere im Premiumsegment. Nach dem Motto: Das Auto selbst besitzen, aber hoch- und später vollautomatisiert fahren. Das Auto wird das rollende Büro auf dem Weg zur Arbeit. Damit sind völlig neue immobilienwirtschaftliche Konzepte der weiteren „Suburbanisierung“ der ländlichen Regionen verbunden. Was die Märkte aber disruptiv verändern würde, ist das urbane automatisierte Fahren. Von der Bedienung ganzer Städte mit automatisierten Fahrzeugen sind wir aber noch weit entfernt. Selbst wenn Sie sagen, Sie wollen das automatisierte Fahren als Ergänzungsverkehr im urbanen Kontext nutzen, dann behaupte ich, das wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht möglich sein. Wir sind weit entfernt von den infrastrukturellen Voraussetzungen, die nötig wären, um in der Kombination von aufgerüsteten Infrastrukturen, Verkehrstelematik, On-Board-Diagnostic und selbstlernenden Algorithmen in den Fahrzeugen in eine Situation zu kommen, in der diese überhaupt einigermaßen in der Lage wären diese, sehr komplexe Verkehrssituationen zu beherrschen.
Was ist ein unterschätzter Trend der Mobilität?
Die Bedeutung der ländlichen Region. Wir müssen unbedingt über suburbane und ländliche Verkehrssituationen reden und über die „Pfadabhängigkeit“ der Menschen in diesen Regionen. Zudem müssen wir aufhören, die Zukunft der Mobilität immer nur am Beispiel der urbanen Mobilität zu beschreiben. Natürlich sind die urbanen Regionen wichtig, aber wir hier in Europa haben andere Trends und andere Formen und Ausprägungen der Urbanisierung als beispielsweise in Asien.
Noch ein total unterschätzter Trend ist der Radverkehr. Er wird zwar partiell diskutiert – gerade von den ambitionierten nachhaltigkeitsorientierten Verkehrspolitikern und engagierten Bürgern – aber faktisch gemessen am potenziellen Problemlösungsbeitrag für die Verkehrswende und an der Dynamik der technologischen Innovationen wird das Rad unterschätzt. Das Fahrrad erlebt gerade eine Renaissance, wenn nicht gar eine Neuerfindung, ob es nun produkttechnologische oder Nutzungsinnnovationen sind. In Kombination mit dem Elektroantrieb, digitalen Vernetzungstechnologien, einer Verkehrspolitik, die hoffentlich bald begreift, dass Radverkehrspolitik der größte Hebel ist, um sehr schnell finanzielle Mittel in maximale Nachhaltigkeit umzusetzen, wäre das empirisch betrachtet ein Instrument, mit dem wir ganz schnell signifikante Veränderungen sehen können. Dazu brauchen wir keine automatisiert fahrenden Blechbüchsen. Das ist die deutsche Neigung immer über Hightech die Probleme lösen zu wollen.
Der Technik-Enthusiasmus ist groß: An Smart Cities werden große Hoffnungen geknüpft – keine Staus mehr durch intelligente Verkehrsführung, freie Parkplätze melden sich automatisch ... das Thema Nachhaltigkeit kommt häufig zu kurz. Wohin führt uns das?
Ich würde sehr zugespitzt sagen, Nachhaltigkeit ist ein Marketing-Gag der Smart-City-Community. Also Smart City beschreibt heruntergebrochen den Versuch, urbane Nachhaltigkeitsprobleme im weitesten Sinne mit dem Mittel von Hochtechnologie zu lösen – speziell mit Digitalisierung. Wenn man tiefer über das Verhältnis von Nachhaltigkeit und Digitalisierung nachdenkt, dann kommt sehr schnell das Thema Nutzungseffizienzsteigerung durch Digitaltechnologien auf: Durch die Steigerung der Effizienz haben wir im ersten Schritt tatsächlich weniger Ressourcenverbrauch und das ist nachhaltig. In der Theorie kann man so argumentieren. In der Praxis funktioniert das nicht, weil jede Form von Effizienzsteigerung zu sogenannten Rebound-Effekten führt. Überall, wo die dadurch erzeugte zeitliche und finanzielle Technologierendite wieder in den Markt investiert werden kann, entsteht Wachstum, mehr Konsum und mehr Verkehr. Letztlich ist die Problematik dann am Ende noch größer. Beim Smart-City-Diskurs geht es jedoch gar nicht erst um die Frage, wie man die frei werdende Technologierendite ökonomisch nutzen könnte, um die Infrastrukturen alternativer Verkehrsträger, Wohnarchitektur oder Energieversorgung zu fördern.
Wie stellen Sie sich ein absolut wünschenswertes und nachhaltiges Mobilitätsszenario für die Stadt vor?
Eigentlich ist das total einfach. Erst müssen wir Kriterien definieren, was nachhaltige Mobilität ist: Postfossilität, Materialextensität, Sicherheit und Resilienz. Mit Postfossilität als Hauptkriterium lösen wir alle Probleme im Zusammenhang mit CO2-Emissionen. Weniger Materialverbrauch meint, dass die ökologischen Rucksäcke von modernen Mobilitätsprodukten und Infrastrukturen, jenseits der Frage der Energieträger oder Treibstoffe, die genutzt werden, auch gigantisch sind. In dem Maße, in dem die Mobilität digitalisiert wird, werden die ökologischen Rucksäcke noch größer werden. Darauf muss mit entsprechenden Strategien reagiert werden wie Leichtbau, recycelbare Materialien und eine mobilitätsbezogene Kreislaufwirtschaft. Dann haben wir das Thema Sicherheit: Wir haben nach wie vor viele Verkehrstote. Zudem haben wir das Thema Resilienz: Die Frage nach der Angreifbarkeit moderner Städte und Lebenswelten. Die Resilienz von digital unterfütterten Smart-City-Strukturen ist im Augenblick fast bei Null. Wenn ich diese vier Punkte als Nachhaltigkeitskriterien definiere, dann kann ich heute schon Städte gestalten mit dem, was ich habe. Ich muss nur den öffentlichen Nahverkehr massiv modernisieren und die Übergänge zwischen den Verkehrsträgern optimieren.
Die Themen Intermodalität und Multimodalität sowie Mobilität aus einer Hand, die „SeamlessMobility“, sind wichtig: Also „Nutzen ohne Nachzudenken“ und „Nutzen statt Besitzen“. Das Auto wäre in diesem Zusammenhang Teil eines intermodalen Gesamtverkehrssystems, das nicht nur in Städten, sondern auch suburban und ländlich greifen kann. Das ist machbar, indem ich den öffentlichen Verkehr ausbaue und das Ganze vernetze, indem ich die erste und letzte Meile mit dem Fahrrad oder mit dem Auto darstelle. Das Auto wird vom dominanten Verkehrsträger zu einem randständigen Phänomen. Es wird ein Portionsauto, das nur noch im Kontext dieser intermodalen Ketten eingesetzt und bezahlt wird. „Pay as you use it“ und nicht „Pay and use it“.
Letztlich wären die Technologien schon heute vorhanden, um ein intermodales Verkehrssystem vom Feinsten auszubauen. Wenn wir dann noch Städte haben, die den Mut besitzen, Radverkehrsinfrastrukturen massiv zu modernisieren, wie Kopenhagen und andere Städte es uns vormachen, dann haben wir die Chance, in bestimmten Verkehrsbereichen auch beim Fahrrad in kurzer Zeit auf Modal-Split-Werte von 60 bis 70 Prozent zu kommen. Dazu müssen natürlich Infrastrukturen ausgebaut, jedoch Städte nicht grundsätzlich umgebaut werden. Man muss nur dem Autoverkehr den Raum nehmen und dem Fahrradverkehr geben. Dann habe ich Infrastrukturen, die sowohl für Personen, als auch den Güterverkehr sehr gut nutzbar sind.
Das ist mein unspektakuläres Modell. Ein zusätzliches Argument: Der öffentliche Verkehr konstituiert unsere öffentlichen Räume mit. Wenn man soziologisch argumentiert, ist der öffentliche Verkehr immer auch ein sozialer Begegnungsraum und damit gesellschaftskonstituierend. Insofern ist es nicht nur aus ökologischen Gründen wichtig, dass wir ihn ertüchtigen, modern machen und mit einer hohen Aufenthaltsqualität ausstatten.
An sich wäre es also gar nicht so schwer.
Nein, es ist – eigentlich – total leicht. Dem gesunden Menschenverstand müsste nur mehr Bedeutung zugesprochen werden. Denn eine gute Botschaft ist: Alles ist machbar.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Trendstudie „Futopolis“.