Wohn- und Bautrends 2020

Im Thema Wohnen vereinen sich zwei Extreme: Immobilien als gebaute Objekte sind träge, in ihnen manifestieren sich Entwicklungen erst sehr spät. Wohnraum als Lebensraum hingegen unterliegt einem stetigen Wandel, der sich an den Lebensstilen der Menschen orientiert. Welche Themen werden uns also rund um Wohnen und Bauen beschäftigen?

von Oona Horx-Strathern

The Farmhouse, precht.at

Vertical Village

Was den Städtern fehlt, ist ein kleines bisschen Dorf, könnte man salopp sagen. Das betrifft nicht nur das Ländliche und Natürliche, sondern vor allem auch die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Nähe. Vertical Villages setzen durch Struktur und Architektur bewusst auf Begegnung und verkörpern das Konzept der Rurbanität perfekt. In Zeiten, in denen die mobile Gesellschaft nach „Heimat“ sucht, werden solche neuen urbanen Dorfgemeinschaften nicht nur in den Städten dieser Welt entstehen, sondern in Zukunft auch immer mehr die progressive Provinz erobern.

Tidyism

Das Leben im Überfluss bringt Unordnung und den Verlust der Übersicht mit sich. Aufräumen und das Befreien von Ballast sind angesagt – was für unser Zuhause gilt, hat auch befreiende Auswirkungen auf die Psyche. Der Druck auf den Raum in den Städten wird sowohl real als auch psychologisch zunehmen. Immer kreativere Storage-Lösungen für unsere Habseligkeiten in unserem Zuhause werden gebraucht. Zudem erleben Berater und Coaches einen regen Zulauf, die uns dabei helfen, unsere virtuellen und physischen Besitztümer zu ordnen und zu managen. Externe Storage-Lösungen stecken in Bezug auf Design und Service noch in den Kinderschuhen. Aus diesem Grund werden wir neue Ideen auf dem Markt sehen, die auf geschmackvollere, bequemere Konzepte setzen und vielleicht sogar einen sozialeren Ansatz widerspiegeln als die Selfstorage-Units, wie wir sie bisher kennen.

McLiving

Immer mehr Menschen drängen in die Städte und sorgen für eine Verdichtung sowie einen Mangel an Wohnraum. Resultat sind viele Micro Houses und modulare Wohnformen – billige Mini-Homes. Doch Architekten warnen bereits, dass es auf Lange sicht ungesund sei, Häuser wie Fast Food zu behandeln – die Menschen mit massenproduzierten, schnell gebauten, snackgroßen billigen Wohnungen zu versorgen. Der Trend zu Tiny Houses und Micro Living wird aufgrund des Drucks in unseren Städten zunehmen. Doch er wird auch einen Tipping Point erreichen, an dem die tatsächlichen Vor- und Nachteile kritisch diskutiert werden. Es müssen gesetzliche Regelungen und neue Standards für diese neue Wohnform in Snackgröße geschaffen werden. Immobilienentwickler werden immer stärker in die Pflicht genommen, „gesündere“ Optionen anzubieten.

Healthcare Architecture

Healthcare Design galt lange Zeit als Nische in der Baubranche. Inzwischen ist klar, wie sehr Design und Architektur die psychische und physische Gesundheit von Menschen beeinflussen. Adäquate Orte für Gesundheit, Genesung und Wohlbefinden zu gestalten wird zu einer wichtigen Zukunftsaufgabe – vor allem angesichts des Megatrends Silver Society und der damit verbundenen alternden Bevölkerung weltweit, doch auch im Hinblick auf zunehmende psychische Erkrankungen und Stressbelastungen. Ein ganzheitlicher Ansatz im Healthcare schottet nicht mehr ab, sondern bindet in die Umgebung ein: Krankenhäuser und andere Gesundheitsbauten dienen nicht mehr der Isolation, sondern sie sind offen für Austausch und bieten Raum für Alltagserfahrungen. Von den Ideen und Grundsätzen der Heilenden Architektur kann die Baubranche als Ganzes profitieren – weit über Gesundheitsbauten hinaus. Mit diesem Ansatz lässt sich die Lebensqualität jeglicher gebauter Umwelt verbessern – von Wohnraum, Arbeitsplätzen oder Städten.

Indoor Air Care

Luftverschmutzung ist ein großes Thema, aber meist nur draußen. Wie steht es eigentlich um die Qualität der Raumluft? Das Sick-Building-Syndrom ist ein wissenschaftlich anerkanntes Phänomen, das auf krank machende Innenräume zurückzuführen ist. Inzwischen sind Menschen vor allem in Innenräumen Gesundheitsrisiken durch Luftverschmutzung ausgesetzt. Dieses Problem gilt es zu erkennen und anzugehen. Der Markt für Luftreinigungsgeräte boomt. Sich einen Überblick über die Funktionen und Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Air Purifier zu verschaffen, ist nicht einfach. Der erste Schritt ist auf jeden Fall, eine Analyse der Raumluft vornehmen zu lassen, um zu wissen, welche Stoffe in der Luft enthalten sind – und anhand dieser das optimale Gerät auszuwählen. Doch es muss nicht immer ein Hightech-Device sein – häufig reicht es auch aus, die Grundsätze des Biophilic Design zur Anwendung zu bringen: eine naturnahe Umgebung in Innenräumen zu bieten. Mit luftreinigenden Pflanzen, natürlichen Baumaterialien wie Holz und Lehm, Frischluftzufuhr und natürlichem Licht. Künftig gilt es nicht mehr nur schadstoffarm zu bauen, sondern eine wohngesunde Umgebung zu schaffen.

Senses and the City

Eine Stadt ist mehr als ihr visuelles Erscheinungsbild. Eine Stadt bietet unzählige unsichtbare Informationen, die Menschen mehr oder weniger bewusst wahrnehmen. Entscheidend ist jedoch, dass diese multisensorischen Informationen einen großen Einfluss auf die menschlichen Emotionen und damit die Lebensqualität in einem urbanen Raum haben. Gerüche und Geräusche prägen eine Stadt und tragen zur emotionalen Stimmung der Menschen bei, die Teil von ihr sind. Was man hört, riecht und schmeckt, ist entscheidend dafür, ob man sich wohl und zuhause fühlt, ob man entspannt, gestresst oder gar aggressiv ist. Selbst ein Signature Taste, zum Beispiel über regionaltypische Spezialitäten, lässt sich für eine Stadt ausmachen. Diese Erkenntnisse können dazu genutzt werden, menschliches Verhalten an bestimmten Orten oder in bestimmten Räumen positiv zu beeinflussen. Aktuell handelt es sich hierbei allerdings vor allem noch um Pilotprojekte oder Experimente, die punktuell über olfaktorische, auditive oder taktile Erfahrungen das Verhalten von Menschen verändern oder untersuchen wollen. Eine multisensorische Stadtplanung, die den urbanen Raum ganzheitlich-sinnlich versteht, steckt noch in den Kinderschuhen. Wer allerdings neue Formen von Lebensqualität in sich immer stärker verdichtenden Großstädten schaffen möchte, berücksichtigen schon beim Bau, wie sich Gebäude anfühlen, wie öffentliche Plätze riechen oder wie sich Straßen anhören.

Disconnection in der Connected Society

Viele Menschen sind trotz der zahlreichen Möglichkeiten, die das Internet zur Vernetzung bietet, einsam. Ein Gemeinschaftsgefühl in Städten zu schaffen wird zu einer großen Herausforderung und zum entscheidenden Faktor für die Lebensqualität einer Stadt. Aus diesem Grund müssen sich Kommunen stärker engagieren, um mit lokalen Angeboten oder Nachbarschaftsprojekten Menschen vor Ort zusammenzubringen. Das kann in Kooperation mit Wohltätigkeitsorganisationen oder NGOs, aber auch mit privaten Initiativen geschehen. Auch die Gestaltung des öffentlichen Raums kann dazu beitragen, dass sich Menschen wohl, sicher und damit eingebundener fühlen. Das Umfeld sollte so gestaltet sein, dass es dazu einlädt, nach draußen zu gehen. Denn wer sich im grünen Park oder auf einem freundlichen, sonnigen Platz aufhält, kommt auch leichter ins Gespräch mit anderen. Der Markt für soziale Vernetzung boomt: Wer keine Zeit hat, einen großen Freundeskreis zu pflegen, wer neu in einer Stadt ist oder wer im Alter nicht mehr so mobil ist, kann sich entsprechende Dienstleistungen einkaufen. Vor allem im Bereich Silver Living erfreuen sich luxuriöse Gemeinschaftswohnprojekte wachsender Beliebtheit. Die Qualität und Authentizität dieser Konzepte wird über ihren langfristigen Erfolg entscheiden.


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