Der Trend zur Körperoptimierung macht auch vor den intimsten Körperregionen keinen Halt – und beeinflusst unser Verständnis von Geschlechtlichkeit.
Von Nora Geisler (07/2015)
Der Trend zur Körperoptimierung macht auch vor den intimsten Körperregionen keinen Halt – und beeinflusst unser Verständnis von Geschlechtlichkeit.
Von Nora Geisler (07/2015)
Die operativen Möglichkeiten, den Körper zu verändern und den eigenen Wünschen anzupassen, nehmen beständig zu. Das Individuum gewinnt Gestaltungsspielraum, das eigene Aussehen und sogar das eigene Geschlecht frei zu wählen. Doch zugleich führt die neue Vielfalt der Einflussmöglichkeiten nicht zwangsläufig zu einer Zunahme an individueller Diversität. Vielmehr zeigt sich am Beispiel der boomenden Intimchirurgie der normierende Charakter, den die Möglichkeiten zur Modifikation mit sich bringt. Denn die Änderungswünsche der PatientInnen orientieren sich alle am gleichen Schönheitsideal.
Die Biologie folgt der Sozialität – in immer stärkerem Maße. Musste man sich früher mit dem angeborenen Körper mehr oder weniger abfinden, lässt sich heute, sofern die finanziellen Mittel vorhanden sind, fast alles anpassen, von der Haarfarbe bis zur Beinlänge. Im Bereich der Intimchirurgie lässt sich beobachten, wie dieser Trend zu einer Standardisierung der Ästhetik von Geschlechtlichkeit führt.
Operationen im männlichen, aber hauptsächlich weiblichen Intimbereich wie die „Labioplastik“ (Reduktion der inneren Schamlippen) oder „vaginale Verjüngung“ erfreuen sich in den letzten Jahren einer rasant steigenden Beliebtheit. In Deutschland werden mittlerweile pro Jahr mehr als 7000 Eingriffe an den Schamlippen durchgeführt, Tendenz steigend – meistens bei Frauen zwischen 16 und 35 Jahren.
Der Trend zur Intimrasur und die Verbreitung von pornographischen Bildern mit oft retuschierten „idealtypischen“ Genitalien lässt neue Sphären von Vergleichbarkeit und Sichtbarkeit entstehen. Da “reale” Vergleichsmöglichkeiten der Intimregion im Alltag fehlen, bleiben hauptsächlich genormte Bilder zum Vergleich – die individuelle Unsicherheitsgefühle tendenziell fördern.
Auch das dürfte dazu beitragen, dass sich die Intimchirurgie zu einem immer profitableren Markt entwickelt. Eine Labioplastik kostet in Deutschland zwischen 1000 und 6000 Euro, und immer mehr plastische Chirurgen, Gynäkologen oder Dermatologen bieten diese Eingriffe an, inklusive spezieller Finanzierungsangebote.
Am Beispiel Intimchirurgie zeigt sich, wie Medizin, Marketing und digitale Medien unser Gender-Verständnis beeinflussen. Die neuen Möglichkeiten der Körperoptimierung lassen die Grenzen zwischen Medizin und Business verschmelzen und schaffen ein Sowohl-als-auch: mehr individuelle Gestaltungsfreiheiten, aber zugleich auch stärker standardisierte Vorstellungen von Geschlechtlichkeit.