Der Schlaf, die Stadt und die App

Schlaf wird wichtig, gerade in digitalisierten Zeiten. Die Zukunft des gesunden Schlafs ist dabei auch eine Aufgabe für Stadtplaner

Quelle: Trend Update 10/2014

Sommernacht in Frankfurt, Max Diesel / fotolia.com

Lange Zeit war wenig Schlaf ein Zeichen von Leistung und Coolness, Schlafstörungen irgendwie selbstverschuldet und Mittagsschlaf (trotz zahlreicher Propaganda seitens der Medien samt Postulation schicker Begriffe wie Powernapping) ein Tabuthema und prinzipiell eher etwas für Kleinkinder. Das Thema beginnt sich jedoch mehr und mehr zu drehen: Schlaf wird wichtig. Forscher erkennen seinen Wert für die Gesundheit, und das stellt unsere Gesellschaft mit Nachtprogramm, Straßenlaternen, Schichtarbeit, Frühbetreuung, Überinformation und nicht zuletzt verschiedensten Biorhythmen vor große Herausforderungen.

Ob Madonna oder die CEO von Yahoo, Marissa Mayer, Churchill oder Thatcher, Edison oder Leonardo da Vinci – heute wie einst, die Listen von erfolgreichen Personen, die mit weniger als einer handvoll Stunden Schlaf auskommen, werden in unserer Schlafstörung durch Lichtverschmutzung, Lärmbelastung - und das Internet Leistungsgesellschaft gerne angeführt, wenn es um das Thema Nachtruhe geht. Doch für all jene, die sich schon immer fragten, wie man mit so wenig Schlaf zu Höchstform auflaufen kann, gibt es gute Nachrichten: Neuesten Erkenntnissen zu Folge sind maximal drei Prozent der Bevölkerung durch eine genetische Mutation in der Lage, auf Dauer und unbeschadet mit rund vier Stunden Schlaf auszukommen. Der Rest benötigt mehr. “Je länger, desto besser“ als einziges Kriterium ist jedoch auch zu simpel, denn selbst wenn wir länger schlafen, sagt das nichts über die Qualität des Schlafes aus. Und auf die kommt es an. Schlafstörungen nehmen laut Schlafforschern wie Arne Lowden in den letzten Jahren insbesondere bei jungen Menschen zu. Lichtverschmutzung und Lärmbelastungen sind zwei  Gründe, aber insbesondere auch die Medien, speziell das Internet, kennen keine Öffnungszeiten. Ob Spiel oder Clip, Kommunikation oder Arbeit – der Tag hat immer 24 Stunden, die Nacht dafür umso weniger.

Das Smartphone als Schlafgefährder

Die Technik hat längst Einzug gehalten in die Schlafzimmer. 2012 antworteten bereits 68 Prozent der von Qualcomm und Time in acht Ländern Befragten, dass sie ihr Mobiltelefon in oder neben ihrem Bett legen, während sie schlafen, und weitere 16 Prozent bewahren es im selben Raum auf. Laut einer Umfrage durch den südkoreanischen Hersteller LG nutzen 77 Prozent der US-Amerikaner ihr Smartphone sogar im Bett, wenn sie dort nicht alleine sind. Vor den Folgen der Nutzung von Smartphone Das Licht der Smartphones interpretiert der Körper als Tageslicht und Tablet im Bett warnen die Gesundheitsexperten beständig: Die Strahlung ist schlecht für den Schlaf, genauso wie die ständige innere Wachsamkeit, möglicherweise einen Anruf oder Nachricht zu erhalten (von Forschern Hypervigilanz genannt). Das blaue Licht, das von den Geräten ausgeht, bohrt sich sogar durch die geschlossenen Augen in die Netzhaut. Der Körper interpretiert es als Tageslicht und der Biorhythmus wird dadurch gestört. Allerdings können gerade jene Geräte dabei helfen, die Schlafqualität zu verbessern: Der Bock wird zum Gärtner gemacht.

Besser schlafen dank digitaler Lösungen

Eine stetig wachsende Anzahl an Apps und Gadgets beschäftigt sich mit der Verbesserung des Schlafs. Die App SleepCycle ist für 90 Cent im iTunes-Store erhältlich und nutzt den Bewegungssensor des iPhones, um den Schlaf zu analysieren und erst dann zu wecken, wenn eine Leichtschlafphase vorliegt. Eine vergleichbare App gibt es für Android-Nutzer: Sleep As Android. Die App pzizz richtet sich hingegen nicht an das Aufwachen, sondern erleichtert mit über 100 Milliarden verschiedener Soundkombinationen das Einschlafen. Sleep Genius wurde von Neurowissenschaftlern für Astronauten entwickelt: Hier wird 1/f-Rauschen oder auch „Rosa Rauschen“ genutzt, um den Usern beim Schlafen und Power-Nappen zu helfen. Nach fünf Schlafzyklen à 90 Minuten weckt die App den Nutzer. Natürlich wird auch hier gemessen, wie der Schlaf in Quantität, Qualität und Effektivität war. SleepShield dagegen ist ein Programm, welches das blaue Licht aus den Bildschirmen und Touchscreens herausfiltert.

Doch die Apps sind nur eine Möglichkeit, welche die Technik bietet, um die Schlafqualität zu verbessern: Lark nutzt ein Armband, um den Schlaf zu tracken. Auch mit dem ansonsten eher aus dem Sportkontext bekannten Jawbone UP-Armband lassen sich die Schlafzyklen messen und per App auswerten. Preislich kennen die Schlafqualitätstools keine Grenzen: Der Sleep Infuser ist für rund 250 Euro erhältlich, die ursprünglich von der NASA entwickelte LED-Glühbirne Good Night gibt es ab 50 Euro und die per Smartphone und WLAN steuerbare LED-Lampe LIFX kostet etwas über 70 Euro.

Entscheidend ist die Schlafeffizienz

Generell ist das Thema der neuen Schlafgadgets nicht, die Schlafzeit zu verkürzen, um mehr Leistung während der Arbeit zu bringen (so wie es der Powernapping-Ansatz impliziert), sondern die Schlafeffizienz zu verbessern, um gesund zu bleiben und gesünder zu werden. So vermarktet auch Saffron seine Glühbirne Drift Light: „Menschen, die nicht genügend Schlaf bekommen, haben Schwierigkeiten Entscheidungen zu treffen, Probleme zu lösen, produktiv zu sein, ihre Emotionen zu kontrollieren und Veränderungen zu bewältigen. Sie haben ein höheres Risiko für Herzerkrankungen, Diabetes oder Schlaganfälle“.

Forschungen der Medizinerin Eve van Cauter an der Universtiät von Chicago belegen Wer wenig schläft, wird krank das: Ihrer Arbeit zufolge schwächt zu wenig Schlaf das Immunsystem, Blutdruck und Kortisolspiegel steigen an und es zeigte sich eine Insulinresistenz, wodurch Gewicht zugelegt wird – ein prädiabetesches Leiden. Zusammengefasst: Wer wenig schläft, wird krank. Gesundheitsexperte Chris MacDonald fasst in der renommierten dänischen Zeitung Berlingske zusammen: “Es brauchte lange Zeit, bis wir die Gefahr von Zigaretten ernstnahmen. Dasselbe geschieht derzeit mit dem Schlaf.”

Welcher Schlafrhythmus jedoch gesund ist, darüber sind sich die Forscher uneinig. Ergebnisse des amerikanischen Historikers Roger Ekirch haben beispielsweise ergeben, dass unsere Vorfahren bis in das 17. Jahrhundert hinein die Nacht in zwei Schlafphasen teilten, zwischen denen sie ein paar Stunden wach waren. Im Zeitalter von New Work und gerade durch die 24/7-Gesellschaft wird das wieder leichter umsetzbar als im industriellen Zeitalter.

Unter dem Einfluss der Megatrends Konnektivität und Gesundheit erhält Schlaf eine neue Bedeutung und wird künftig Lebensweisen von Menschen grundlegend verändern.

Chronobiologie in urbanen Räumen

Vor diesem Hintergrund hat sich die gar nicht so verschlafene Kurstadt Bad Kissingen entschieden, zur weltweit ersten ChronoCity zu werden – zu einer Stadt, in der individuell gesunder Schlaf möglich ist. Und zwar nicht nur für die Kurgäste. Ein internationales Team von der Universität Groningen hat in einer Studie analysiert, wie die Stadt chronobiologische Parameter in das öffentliche und wirtschaftliche Leben einbringen kann, um Bad Kissingen tatsächlich zu einem Vorbild in Sachen gesundes Leben werden zu lassen. Aus der wissenschaftlichen Chronobiologie schon fast Die weltweit erste ChronoCity: Bad Kissingen in den Volksmund übergegangen sind die Begriffe „Lerche“ und „Eule“: Zwei Typen von Menschen mit unterschiedlichen Biorhythmen. Während die einen gern früh aufstehen und morgens am leistungsfähigsten sind („Lerchen“), werden die anderen erst spät abends richtig fit („Eulen“). Empfohlen werden also flexible Schul- und Arbeitszeiten (Letztere daran angepasst, ob der Mitarbeiter ein Früh- oder Spätmensch ist), Lebensmittelversorgung für die Schichtarbeiter zur Stressreduktion und Behandlungspläne, die an den jeweiligen Chronotypen des Patienten angepasst werden. Darüber hinaus sollen auch neue Beleuchtungskonzepte entwickelt werden, die von Tageslichtlampen in Schulräumen bis zum Plan eines Dunkelparks reichen. Einzelne Aspekte werden bereits in Bad Kissingen umgesetzt:

  • Je nach Chronotyp gibt es entweder ein Zimmer gen Osten oder Westen sowie verschiedene Frühstückszeiten
  • Fragebögen sollen herausfinden, wer „Lerche“ und wer „Eule“ ist. Im Rathaus, in den Kliniken, den Schulen und zwei Hotels läuft die Erfassung bereits
  • In der Stadtverwaltung werden Lampen mit einem höheren Blauanteil installiert, um dem Tageslicht näher zu kommen
  • Schulstunden dauern nicht mehr 45, sondern 90 Minuten. Zudem werden die Klassenzimmer mit Tageslichtlampen ausgestattet

Großes Potenzial für Chrono-Städte

Chrono-Städte wie Bad Kissingen können wirtschaftlich enorm profitieren, wenn ein chronotyp-spezifisches Gesundheitssystem und darüber hinaus mit dem Chronotyp abgestimmte Arbeitsplätze angeboten werden. Gadgets und Apps können das individuelle Schlafbedürfnis außerdem ermitteln und die Schlafqualität fördern. Primär steht das Ziel Förderung von Gesundheit und Lebensqualität, sekundär ist jedoch klar ein ökonomischer Faktor vorhanden, wenn die Stadt hierdurch zum Gesundheitstourismusziel werden und Fachkräfte halten (und neu dazu gewinnen) kann. Wichtig ist, dass Wirtschaft und Politik mit Forschern und Unternehmern zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Konzept zu erarbeiten, welches dem individuellen Standort gerecht wird.

Quellen:

Two Percent Of People Are Superhumans Who Don’t Need More Than A Few
Hours Of Sleep. In: Business Insider, 5. April 2011.
Time Magazine Qualcomm: Mobility Poll 2012.
LG Electronics USA: Smartphone Secrets 2013.
Chris MacDonald: Den store
løgn om søvn. In: Berlingske, 4.10.2010.

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Megatrend Gesundheit

Megatrend Gesundheit

Gesundheit als Fundamentalwert hat sich in den letzten Jahren tief in unserem Bewusstsein verankert und ist zum Synonym für hohe Lebensqualität geworden. Als zentrales Lebensziel prägt der Megatrend sämtliche Lebensbereiche.