Nicht der Diversity-Diskurs über Unterschiede und das andersartige Nebeneinander bringt uns künftig weiter, sondern das Erkennen der Ähnlichkeiten, die uns verbinden.
Von Harry Gatterer (07/2015)
Nicht der Diversity-Diskurs über Unterschiede und das andersartige Nebeneinander bringt uns künftig weiter, sondern das Erkennen der Ähnlichkeiten, die uns verbinden.
Von Harry Gatterer (07/2015)
Erstmals seit den 60er-Jahren bestanden die deutschen Albumcharts im Juni 2015 wieder ausschließlich aus deutschen Alben. Nur deutsche Titel? Wie kann es sein, dass sich Deutschlands Musik-Käufer so national verhalten? Musik, das wissen wir, ist keine rationale Entscheidung. Musik ist Emotion. Sarah Connor, einst gefeierte deutsche Künstlerin mit englischen Titeln, besetzt die Charts sogar mit dem Album „Muttersprache“. Direkt daneben finden wir schon andere Töne: ein „Best of“ von Christina Stürmer. Zwar singt sie auf Deutsch, ist aber durch und durch Österreicherin. Da beginnen die kleinen Unterschiede.
Gehen wir noch eins weiter, finden wir „Bonchance“, von Celo & Abdi. Das Rap-Duo aus Frankfurt tönt weit weg von Muttersprache. Es ist ein Kauderwelsch aus unterschiedlichen Sprachen und Hintergründen: Deutsch, Französisch, Englisch… Es ist: die Sprache der Migration, die Celo, der aus Bosnien stammt, und Abdi, dessen Wurzeln nach Marokko reichen, uns hier kredenzen. Es ist die Idee der Differenz, die dieses Album durchdringt und zu Emotion übersetzt.
Die beiden, und noch einige andere Chart-Stürmer, führen uns deutlich vor Augen: Diversity ist jenseits von Englisch schon längst in den deutschen Herzen gelandet. Schon längst taktet mitten in der emotionalen Realität Deutschlands das Herz des Miteinanders, die Idee des gemeinsamen Andersseins. Deutschland entfaltet sich, über die Grenzen hinweg, ob wir es verstehen – oder nicht.
Wir erleben also ein Anderssein innerhalb des Deutschseins, das sich auf viele kleine Details und Gesten konzentriert. Was alle verbindet, ist das Deutsch; was sie trennt, ist dessen Interpretation. Es sind Mikro-Differenzen, die uns durch eine offenere und globalere Welt beschert werden. Selbst im Alltagsleben der Menschen zeigt sich das: Wenn beispielsweise Ola Rosling, Mitbegründer von Gapminder, mittels Daten erläutert, wie ähnlich sich eine Welt wird, in der sich Mittelschichten bilden, glaubt man es ihm – trotz Zahlen und Daten – kaum. Wenn er dann die Fotos zeigt, ist man berührt: Mittelstandshaushalte in Deutschland gleichen jenen in Uganda, Indien oder China mehr, als man vermuten würde. Es gibt die Waschmaschinen, die Besteckladen, die überfüllten Schuhschränke – sogar der Wunsch nach zwei Kindern ist über die Kulturen hinweg manifestiert.
Die faktische Beweisführung würde sich weiter ausdehnen lassen, und uns zeigen, dass es viel „Gleichheit“ auf dieser Welt gibt. Was sich unterscheidet, ist oft marginal und winzig – und ja, auch wichtig. Aber im Vergleich zu dem, was uns verbindet, eben wenig. Doch in unseren mentalen Bildern pflegen und hegen wir diese Unterscheidungen, egal wie klein sie sind. Warum? Weil Unterscheidungen Territorien erzeugen, richtig und falsch definieren, Mein und Dein markieren. Weil wir uns im Anderssein identifizieren, und es uns darin eingerichtet haben. Wir wollen das Anderssein, und stärken es durch den Dialog über Diversity. Wir können nicht nicht denken. Wenn wir über Diversity verhandeln, weisen wir uns selbst schon einer Seite zu. Wir differenzieren, obwohl wir das Verbinden meinen. Je mehr darüber gesprochen wir, je mehr Programme es gibt, desto mehr werden wir den Unterschied pflegen. Da, wo wir dies nicht tun, sind wir längst diverser als wir das glauben. Die Hitparaden und Mittelschichten zeigen uns das.
„Eine Gesellschaft ist umso fortgeschrittener, je ‘konturloser’ ihre territorialen Grenzen sind“, sagt Manfred Schoer. Je weniger wir uns um die Grenzen kümmern, desto unwichtiger werden sie. Und desto bunter und vielfältiger können wir sein. Je mehr nur in Frauenkreisen die Rolle der Frau in Führungsetagen besprochen wird, desto weniger werden wir Diversity erreichen, und stattdessen die Grenzen einzementieren. Heike Mensi-Klarbach forscht an der Wirtschaftsuniversität Wien genau an der Frage, und erklärt das so: „Wenn Frauen wirklich erfolgreich sind, haben sie keine Zeit mehr für Frauen-Netzwerke. Diese bringen sie nicht weiter.“ Dabei geht es nicht darum, die Probleme, die wir noch immer mit Diversity in der Arbeitswelt haben, zu verschweigen. Aber das reine Reden darüber bringt nichts.
Was es vielmehr brauchen wird in Zukunft, ist die Erkenntnis, dass es eben nicht um richtig oder falsch, gut oder böse, geht. Es geht um eine Kultur des Sowohl-als-auch. Es geht um die Suche nach den Verbindungen und Brücken, und nicht um das Unterstreichen der Unterschiede. Unsere Alltagskultur hat dies an vielen Stellen schon erzeugt: Einkaufen nur bei Aldi oder nur beim Feinkosthändler gibt es nicht mehr – es ist schon längst ein Sowohl-als-auch-Konsum, den wir erfahren. Die Differenz ist nicht mehr entscheidend. Es ist das gekonnte Verbinden der Welten, das ein Leben und Arbeiten in der Zukunft ausmacht. Deshalb sollten die Debatte sich lösen vom Anderssein (Diversity), und sich um das Verbinden kümmern. Connectivity ist dabei das Wort, das wir anwenden können. Oder „Bonchance“, wie Celo & Abdi es nennen würden.
Dieser Artikel entstand in Kooperation mit Xing-Spielraum