Pinky Gloves verpasst den Gender Shift

In der TV-Show „Die Höhle der Löwen” räumten zuletzt Pinky Gloves bei den Investoren ab – Rosa Plastik-Handschuhe, mit denen man Tampons diskret verschwinden lassen kann. Die Gründer bekamen 30.000 Euro – und einen Shitstorm, der sich gewaschen hat. Warum Pinky Gloves für so viel Unmut sorgt und was das mit dem Megatrend Gender Shift zu tun hat.

Von Lena Papasabbas und Nina Pfuderer

Foto: Verena Brandt, einhorn

Immer mehr Menschen kämpfen für eine Enttabuisierung der Menstruation. Nicht nur in fernen Ländern werden Mädchen und Frauen diskriminiert und ihre normale, gesunde Körperfunktionen wird zum Ursprung von Scham, Angst und Stigma, wie zuletzt Rayka Zehtabchis Oscar-prämierter Menstruations-Film „Period: End of Sentence“ eindrücklich zeigte. Auch westliche Wohlstandsgesellschaften sind mitnichten besonders progressiv wenn es um „Frauenthemen“ geht.

Verklemmtheit als Businessmodell

Zwei männliche Jungunternehmer aus Deutschland nehmen nun den verklemmten Umgang mit der Periode als Grundlage für eine Produktinnovation, die aus dem letzten Jahrhundert stammen könnte: Pinke Plastikhandschuhe, die verhindern sollen, dass Menstruationsblut angefasst oder auch nur im Müll sichtbar werden muss. Auf Instagram, Twitter und Co. machte sich Empörung breit: Unnützlich, umweltschädlich, stigmatisierend – so das Urteil vieler Menschen. Besonders junge Frauen zeigen sich empört.

Die Gründer wurden von dem Shitstorm regelrecht überrumpelt. Was ihnen nicht bewusst war: Das Produkt zahlt auf das Stigma ein, dass Menstruation bis heute umgibt – die Periode als etwas Ekliges, etwas, das man verstecken muss, das nicht zum Smalltalk taugt und das auf keinen Fall öffentlich werden darf. Ziel vieler Aktivistinnen und Feministinnen ist, genau das Gegenteil zu erreichen: Tabus rund um die Periode aufzubrechen, die gesellschaftliche Scham aufzulösen und stattdessen einen unverkrampften und aufgeklärten Umgang mit den weiblichen Zyklus als nächste Evolutionsstufe der Gleichberechtigung zu erlangen.

Unbewusste Stigmatisierung

Dabei war Pinky Gloves sicher gut gemeint. Man kann den Gründern ihr Unwissen kaum verübeln. Schließlich wird selbst in der Werbung Menstruationsblut schamhaft mit steriler blauer Flüssigkeit dargestellt und die Frage nach einem Tampon ist in den meisten Büros immer noch ein Tabu. Sich wegen Menstruationsbeschwerden krank zu melden, erfordert immer noch Mut. Diskretion scheint oberstes Gebot, wenn es um „die Tage“ geht. Gleichzeitig ist das Wissen um Themen wie Menstruation, PMS, Endometriose oder auch nur der Klitoris in der Gesellschaft erschreckend lückenhaft und mehr von Mythen als von Fakten gestützt – eine Folge von Tabuisierung und Stigmatisierung.

Das Ende des Period-Shaming

Gerade junge Frauen (und Männer) wollen nicht mehr mitmachen beim Period-Shaming. Immer mehr Menschen, Kunstprojekte, Organisationen und Start-ups versuchen aktiv, das Thema von Scham und Schande zu befreien – und aufzuklären. Unternehmen wie ooia, The Female Company und einhorn, NGOs wie Menstrual Health Hub, Social Period und WASH United, oder Aktivistinnen wie Nanna-Josephine Roloff und Yasemin Kotra, die die Petition für die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Perioden-Produkte initiierten, sorgen für Aufklärung und die Enttabuisierung der Periode. Ooia beispielsweise verkauft Periodenunterwäsche, und kämpft dabei für die Enttabuisierung der Periode. Die Gründerinnen hatten ihr Produkt vor einigen Jahren selbst bei der Fernsehshow „Die Höhle der Löwen“ vorgestellt – bekam jedoch keinen Deal.

Mit Pinky Gloves wird suggeriert, dass ein Problem für Frauen gelöst wird – für die wenigsten Menstruierenden ist allerdings die Entsorgung von Tampons das Problem. Problematisch ist dagegen die Hemmschwelle, sich wegen Menstruationsbeschwerden krank melden zu können; Vorurteile, Missverständnisse und Unwissenheit von Partnern; Scham und fehlende Aufklärung; sowie überteuerte und umweltschädliche Menstruationsprodukte. Der Verdacht drängt sich auf, dass Die Periode wird weiter tabuisiert: Als etwas Unreines, Unhygienisches, das nur mit Gummihandschuhen angefasst werden sollte. bei Pinky Gloves eher aus der Perspektive von Menschen gedacht wurde, die gar nicht selbst menstruieren, sondern sich eher am Anblick blutiger Tampons im Mülleimer stören.

Damit wird die Periode weiter tabuisiert: als etwas Unhygienisches, Unreines, das nur mit Gummihandschuhen angefasst werden sollte. Eigentlich verstehen wir uns als aufgeklärt, doch Produkte wie Pinky Gloves zeigen, dass ein aufgeklärter und normaler Umgang mit Menstruation momentan noch weit weg vom Mainstream ist. Während man sich munter über Erkältungen und Allergien austauscht, wäre es undenkbar, genauso ungezwungen über völlig gesunde körperliche Abläufe zu sprechen – wenn sie nur Frauen betreffen.

Menstruation wird Mainstream

Doch der Zeitgeist hat sich gedreht: Die Menstruation erlebt ihr Momentum. Das zeigt jetzt auch der enorme Shitstorm, den Pinky Gloves erlebt hat. Denn Menstruation ist eng verbunden mit den Debatten über Feminismus und Empowerment. Und natürlich mit Sex, denn Lust und Zyklus hängen eng zusammen. So bricht gerade ein jahrhundertealtes Stigma auf, und ein lange totgeschwiegenes Thema wird zum Objekt von Aktivismus und Popkultur. Die sogenannte Luxussteuer auf Tampons und Binden wurde zum Thema politischer Proteste, bis 2020 der Bundestag eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Monatshygiene-Produkte durchsetzte. Es formieren sich neue Geschäftsmodelle und zahlreiche Start-ups rund um Menstruation, von Menstruations-Apps wie Clue über Menstruationstassen bis zu spezieller Unterwäsche wie Knixwear oder Bodyform, die in ihrer Werbung sogar erstmals Blut zeigen.

Die neuen Marken sind laut, frech und gehen offensiv mit dem Thema um. „Zum ersten Mal finden Frauen Alternativen zu den Marken ihrer Mütter, deren Hauptverkaufsargument Diskretion war“, schreibt Vera Görgen in ihrem Text „Läuft bei dir?“. In Zeiten von #MeToo wollen junge Frauen nicht mehr im Stillen leiden: Unter #periodproud, #iloveperiods oder dem indischen #happytobleed laufen nicht-endende Diskussionen über die Tage und deren (Ent-)Tabuisierung. Die Firma Thinx, die blutabsorbierende Unterwäsche herstellt, hat den TV-Werbespot „MENstruation“ veröffentlicht, in dem Frauen und Männer ihre Tage haben. Die Message: Wenn wir alle unsere Periode hätten, wäre sie kein Tabuthema. Einzelne Fernsehsender verbieten oder zensieren den Spot. Doch der Einzug von „Frauenthemen“ in die Popkultur ist nicht mehr zu stoppen.

Empfehlen Sie diesen Artikel!

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Megatrend Gender Shift

Megatrend Gender Shift

Die tradierten sozialen Rollen, die Männern und Frauen in der Gesellschaft zugeschrieben werden, verlieren an gesellschaftlicher Verbindlichkeit. Das Geschlecht verliert seine schicksalhafte Bedeutung und bestimmt weniger über den Verlauf individueller Biografien. Veränderte Rollenmuster und aufbrechende Geschlechterstereotype sorgen für einen radikalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer neuen Kultur des Pluralismus.