Auch der „Chancenkontinent” Afrika muss sich mit Alternativen zum derzeitigen Wachstumsmodell beschäftigen – und hat dabei noch etwas bei den Industrienationen gut.
Von Daniel Anthes (09/2015)
Auch der „Chancenkontinent” Afrika muss sich mit Alternativen zum derzeitigen Wachstumsmodell beschäftigen – und hat dabei noch etwas bei den Industrienationen gut.
Von Daniel Anthes (09/2015)
Während die Eurozone momentan wirtschaftlich vergleichsweise geringe Wachstumsraten zu verbuchen hat, bleibt Afrika auf einem konjunkturellen Höhenflug. So erfuhr der Kontinent in der letzten Dekade die längste und stärkste Wachstumsperiode seit den 1960er Jahren. Sieben der weltweit zehn am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften befinden sich in Afrika. Mit Ländern wie Äthiopien, Mozambique, Ruanda und der Elfenbeinküste werden für insgesamt zehn Staaten südlich der Sahara Wachstumsraten von weit über sieben Prozent für die nächsten Jahre vorhergesagt.
Doch was bedeutet diese herausragende Wachstumsstory für den „Chancenkontinent“ Afrika genau? Klar ist nämlich auch, dass dieser vermeintliche Wirtschaftsboom lange nicht beim Gros der Bevölkerung ankommt. Armut, Hunger, fehlender Zugang zu sauberem Wasser, sanitären Anlagen, Elektrizität und Bildung sind immer noch weit verbreitete Missstände auf dem Kontinent. Zwar konnten hier im Rahmen der Millenniumsentwicklungsziele bedeutende Fortschritte gemacht werden, doch ist man von einer nachhaltigen Entwicklung – geprägt von gesellschaftlichem Wohlstand – noch ein gutes Stück entfernt.
Diese Entwicklung ist letztlich auch Teil des Dilemmas, welches zunehmend die Postwachstums-Debatte anfacht. Was bereits in den 1970er Jahren durch den Club of Rome und dessen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ erstmalig engagiert thematisiert wurde, scheint nun immer deutlicher zu werden. Wachstum ist eben nicht immer der einzige Weg zu Fortschritt und allgemeinem Glück – weder in der industrialisierten Welt, noch in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Vielmehr verschärfen sich im Rahmen eines Wachstumsdogmas mit unbedingtem Zwang zu Kapitalakkumulation gesellschaftliche Spaltungen und irreparable Umweltschäden. Generell stellt sich hier die Frage: Ist es nicht sowieso selbstverständlich, dass in einer begrenzten Welt grenzenloses Wachstum nicht möglich ist?
Gerade das muss sich zunehmend auch Afrika fragen. Ursache hierfür ist die Tatsache, dass der wirtschaftliche Erfolg häufig auf dem Export von Primärrohstoffen beruht. Insbesondere Öl, Gas, Gold und andere Metalle, allesamt extraktive und damit endliche Rohstoffe, konnten so aufgrund des Ressourcenbooms der Vergangenheit oft die volkswirtschaftlichen Bilanzen schönen. Jedoch geraten viele afrikanische Volkswirtschaften angesichts gegenwärtig rückläufiger Rohstoffpreise vermehrt unter Druck. Nicht umsonst plädieren Experten daher seit Jahren für eine Wirtschaftspolitik, welche die Rohstoffabhängigkeit vermindert und einen Strukturwandel in Richtung arbeitsplatzintensiver Verarbeitungsindustrien bewirkt.
Die aktuelle Situation sieht anders aus. Rohstoffe – meist wortwörtlich in ihrer rohen und unveredelten Form – sorgen für mehr als 80 Prozent der Gesamtexporterlöse des Kontinents. So ist Afrika weltweit für ein Zehntel der Ölproduktion, ein Viertel des Goldabbaus, jeweils mehr als die Hälfte der Kobalt- und Platinproduktion sowie auch für zwei Drittel aller abgebauten Diamanten verantwortlich. Nicht selten, wie beispielsweise im Fall von Angola, Nigeria, Äquatorialguinea oder der Demokratischen Republik Kongo, stellen fossile und mineralische Rohstoffe mit über 90 Prozent den absoluten Löwenanteil am Exportmix und damit das Gros der nationalen Regierungseinnahmen dar.
In Zeiten von Peak Everything stehen diese Staaten jedoch mit dem Rücken zur Wand. Mit unter anderem Gold, Kupfer, Wolfram, Tantal und Zinn werden innerhalb der nächsten Jahrzehnte für Afrikas Wirtschaften bislang fundamental wichtige Rohstoffe zu Neige gehen – von konventionellen Erdöl- und Gasvorkommen ganz zu schweigen. Schnell wird klar, dass diese Staatseinnahmen, die nicht nur extrem volatil und damit unvorhersehbar, sondern vor allem auch endlich sind, keine solide und nachhaltige Basis für die zukünftige wirtschaftliche sowie gesellschaftliche Entwicklung des Kontinents darstellen. Afrika braucht einen Entwicklungspfad jenseits der Ressourcenausbeutung. Ziel muss sein, in Zeiten des Postextraktivismus Massenwohlstand zu ermöglichen.
Dies wird vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung umso wichtiger – und dabei ist dies Herausforderung und Chancengeber zugleich. Laut dem jüngsten UN-Bericht soll sich die Bevölkerung Afrikas von derzeit 1,1 Milliarden bis 2100 auf rund 4,5 Milliarden Menschen vervierfachen, und hierdurch Asien als bevölkerungsreichsten Kontinent ablösen. Mehr als die Hälfte der Afrikaner ist dabei heute jünger als 25 Jahre, wobei 40 Prozent sogar noch nicht einmal 15 Jahre alt sind.
Damit dieser demographische Bonus jedoch auch in Form einer heranwachsenden Generation potenziell gebildeter, technologieaffiner und unternehmerisch denkender Afrikaner zur Dividende wird, muss den Menschen im erwerbsfähigen Alter eine Perspektive geboten werden. Mit Petrodollar zu wedeln, ist hier zweifellos nicht die Lösung. Investitionen in Gesundheits- und Bildungssysteme sind nötig, um beispielsweise Frauen eine bessere, weil freiwillige Familienplanung zu ermöglichen. Dies verringert den Druck auf Nachfolgegenerationen und ist neben Investitionen in Landwirtschaft, erneuerbare Energien und Verkehrsinfrastruktur ein höchst effektives Mittel im Kampf gegen die Armut.
Die Industrienationen haben in diesem Zusammenhang die Pflicht, stärker die Rolle eines solidarischen Partners zu übernehmen, anstatt afrikanische Staaten als Konkurrenten um knapper werdende Rohstoffe zu betrachten. Entwicklungs- und Schwellenländer verweisen nicht zu Unrecht darauf, dass der Wohlstand der industrialisierten Welt und die zugrunde liegenden Produktions- und Konsummuster globale Phänomene wie Klimawandel und Ressourcenverknappung verstärken. Momentan sind es aber vor allem die Ärmsten der Armen in den Entwicklungsländern, die besonders hart von den negativen Folgen dieses Wandels getroffen werden.
Dabei haben diese ihr Umweltkonto noch lange nicht überzogen. Afrikas durchschnittlicher pro Kopf-CO2-Ausstoß ist nur ein Bruchteil von dem eines Europäers oder Nordamerikaners (siehe Infografik). Generell ist der ökologische Fußabdruck vor allem der Staaten Sub-Sahara-Afrikas noch so klein, dass sie ihre Biokapazität bei Weitem nicht ausgeschöpft haben. Im krassen Gegensatz dazu stehen die westlichen Industrienationen, die durch ihre mitunter miserable Ökobilanz das globale Verteilungsproblem veschärfen, etwa in Bezug auf Nahrungsmittel, Wasser und Land.
Deshalb ist es auch nur selbstverständlich, dass sich zunächst der globale Norden ernsthafter mit dem Thema Postwachstum im Sinne einer Neudefinition des Mensch-Natur-Verhältnisses auseinander setzen muss. Der Earth Overshoot Day, der Tag, an dem die Menschheit die jährlich erneuerbaren Naturressourcen aufgebraucht hat, fand in 2015 bereits am 13. August statt – früher denn je. Auch das führt erneut vor Augen: So lange keine entscheidenden Schritte in Richtung der absoluten Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch unternommen werden, steuern wir und spätestens unsere Enkelkinder auf eine Katastrophe zu.
Wachstum ist für Afrika unabdingbar, doch braucht es dabei dringend Wachstum mit Qualität. Als künftiges Zentrum des weltwirtschaftlichen Geschehens muss der Kontinent alle Hebel in Bewegung setzen, um seine Ökonomien ressourcenschonend zu transformieren. Know-how-Transfer aus dem Westen hinsichtlich zeitgemäßer Umwelttechnologien kann das fundamental wichtige „Leapfrogging“ beschleunigen, also das Überspringen überholter Stufen der technologischen Entwicklung. Dabei muss im Hinblick auf globale Herausforderungen wie den Klimawandel die wirtschaftliche Transformation mit der sozioökologischen einhergehen.
Das Wachstumsdogma braucht hierbei eine Neuausrichtung hin zu Massenwohlstand bei gleichzeitiger Gewährleistung der Leistungsfähigkeit unseres Planeten. Letztlich kann dieses Summenspiel aber nur funktionieren, wenn die reichen Länder ihren Überkonsum anpassen und damit das Aufstreben der Länder Afrikas ausgleichen – und das wäre schließlich nur gerecht.
Literatur:
International Monetary Fund (2015): World Economic Outlook Database
United Nations Department of Economic and Social Affairs (2015): World Population Prospects, the 2015 Revision
United Nations Development Programme (2015): Human Development Index (HDI)
World Bank (2015): World Bank Open Data
World Trade Organisation (2015): Merchandise Trade
Daniel Anthes ist passionierter Nachhaltigkeitsexperte und Blogger und betreibt mit Sustainable Natural Resource Management seine eigene Webseite. Seine Schwerpunkte sind Ressourcenmanagement und unternehmerische Verantwortung/CSR, über die er schon mehrfach auf Nachrichtenportalen (UmweltDialog) und Onlinezeitungen (WirtschaftsWoche Green, Huffington Post) publizierte. Derzeit ist er als Projektmanager, Autor und Speaker beim Zukunftsinstitut tätig.