Ausgewachsen: Postgrowth Startups

Startups, die sich von klassischen Wachstumsmodellen emanzipieren und auf Nachhaltigkeit und Suffizienz setzen, sind Pioniere des Wandels.

Von Prof. Dr. André Reichel und Maximilian Fröhlich (01/2017)

Pexels / freestocks.org / CC0

Seit dem Aufkommen des Diskurses über eine Postwachstumswirtschaft – einer Wirtschaft, die nicht mehr vom Wachstum abhängt und es auch nicht mehr als Zweck an sich betrachtet – wird über die neue Rolle von Unternehmen gerätselt. Können sich gerade große, etablierte Unternehmen überhaupt auf so eine andere Art zu wirtschaften einstellen? Sie können ziemlich sicher eine Geschäftspolitik verfolgen, die in einer Postwachstumswelt durchaus vorteilhaft ist – man denke nur an die vielfältigen Spielarten der Sharing Economy, bei der Produktbesitz (und damit Absatz von Produkten) durch Nutzungsberechtigung ersetzt wird. Doch ob hier wirklich ein bewusster Abschied vom Wachstum am Anfang der Bemühungen steht, kann bis auf Weiteres nicht beantwortet werden. Zu groß erscheinen auch die Trägheiten und Pfadabhängigkeiten was Kapitaleinsatz, getätigte Investitionen, Schutz von Arbeitsplätzen angeht.

Für ein Auswechseln des Wachstums-Narrativs werden wohl eher Pioniere, Querdenker und Außenseiter benötigt, die als Nischen-Akteure und über Nischen-Innovationen die festgefahrenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Routinen verändern. Solche Pioniere des Wandels können einen Unterschied machen und die Unmöglichkeit des Postwachstums in eine unternehmerische Möglichkeit verwandeln. Junge Unternehmen, die nicht auf etablierte Produkte, Marktsegmente und Kunden bauen können, die nicht schwer an den Mühlsteinen vergangener Investitionsentscheidungen hängen. Dabei spielen kulturelle Werte, Normen und Standards in Markt, Politik und Technologie eine entscheidende Rolle, sind sie doch die stabilisierenden Einflussfaktoren der Massenträgheit unserer Gesellschaft. Kulturelle Werte verweisen darauf, dass der Erfolg solcher Wandelpioniere stark davon abhängt, Lücken im System zu finden, diese auszunutzen, verbreitern und vergrößern.

Hier sind insbesondere all jene Unternehmen interessant, die allgemein als Social Business bezeichnet werden. Gemeint sind damit all jene unternehmerisch Aktiven, bei denen wirtschaftliche Ziele bestenfalls ein Mittel zum Zweck darstellen. Im Vordergrund stehen gesellschaftliche, ökologische oder institutionelle Ziele – die Verbesserung des Lebens von Mensch, Natur und Gesellschaft durch unternehmerisches Risiko und marktwirtschaftliche Anreizmechanismen. Social Businesses können dabei auf eine Nische zielen oder auf den Massenmarkt und letztlich eine Veränderung der Gesellschaft in ihren Konsum- und Lebensstilen insgesamt. Diese letzte Form wird auch als Sustainability Entrepreneurship bezeichnet, die Unternehmen als Sustainability-oriented Social Business (SSB).

SSB können Veränderungen auf verschiedenen Ebenen vorantreiben:

  • Sie können Nischen schaffen, indem sie verschiedene Technologien, Verhaltensweisen und Ideen kombinieren und so Alternativen erzeugen.
  • Sie können Nischen übersetzen für ein Upscaling aus der Nische in einen größeren, wenn auch nicht unbedingt Massenmarkt.
  • Sie können auf diese Weise Märkte reformieren und disruptieren: Neue Technologien und Verhaltensweisen können zum neuen Standard werden, sei es durch behutsame Reform dieses Marktes oder eine radikale Neuschaffung durch Disruption.

Was bedeutet es nun, wenn wir von einem Postgrowth-Startup sprechen? Grundsätzlich gilt: Ein Postwachstumsunternehmen muss sich in seinen strategischen Ebenen gezielt auf seine neue wirtschaftliche Realität nach dem Wachstum einstellen. Das heißt: die Leitplanken, die eine Postwachstumsgesellschaft normativ ausmachen, strategisch in sein Geschäftsmodell integrieren und an das neue Wirtschaftsparadigma anpassen oder sogar gezielt von Anfang an daran ausrichten. Unternehmen können bei der Ausgestaltung Ihrer Angebote also grundsätzlich auf diese Prinzipien zurückgreifen und damit auch nachhaltig in einer Postwachstumsökonomie operieren. Entscheidend ist dabei die Frage: Wie kann ein Wechsel des Narrativs von Wachstum auf Postwachstum ausgelöst, begleitet und gefestigt werden?

Ein Postwachstums-Startup braucht ein neues Innovationsverständnis. Denn ein Hinzuaddieren von Konsumoptionen – die maßgebliche Kraft hinter den Status-quo-Problemes des präsenten Überkonsums – wäre einer suffizienten Lebensweise hinderlich. Der Innovationsbegriff muss von Postgrowth-Entrepreneuren also dahingehend erweitert werden, unnachhaltige Konsumoptionen durch Innovationstätigkeit aus dem Wirtschaftskreislauf zu entfernen, alte Ressourcen zu erneuern oder mit nachhaltigeren Produkten zu imitieren. Sustainable Startups müssen mit ihrer Geschäftstätigkeit zwangsläufig substitutiv wirken. Immer mit dem Ziel, mit jeder Innovation die Welt ein Stückchen nachhaltiger zu hinterlassen. So kann es ihnen mit disruptiven Geschäftsmodellen und Technologien gelingen, ressourcenintensive Industrien obsolet zu machen. Dies ist besonders mit Blick auf die Informationstechnologie und die Dynamik des Internets ein sich zunehmend beschleunigender Trend. Dabei profitieren solche Unternehmen auch von freiem Datenzugang. Er ermöglicht Vernetzung und günstige Bedingungen für Gründungen.

Kultureller Wandel hinsichtlich eines neuen Wirtschaftsverständnisses bedeutet auch Machtstrukturen aufzubrechen, Ungleichheit abzubauen und die Gesellschaft wieder näher zusammenzubringen. Das Vorantreiben der Demokratisierung von Marktanteilen und die Förderung des Zugangs zu materiellen, immateriellen und finanziellen Gütern kann somit ein wichtiges Ziel für Postwachstums-Pioniere sein. Dabei spielen vor allem Geschäftsmodelle eine Rolle, die die Wandlung vom Konsumenten zum Prosumenten zum Ziel haben. Weiterhin kann durch die Schaffung subsistenter und dezentraler Strukturen die Emanzipation von Fremdversorgungsstrukturen vorangetrieben werden. Damit wird auch ein Beitrag zu kurzen Versorgungswegen geleistet.

Ein Postwachstums-Startup kann auch wirksame Tools für den notwendigen kulturellen Wandel bereitstellen, um suffiziente Lebensstile zu ermöglichen. Aber auch durch das Bereitstellen und Nutzen von sogenannten konvivalen Technologien und Versorgungsmodellen können Startups in die bestehenden Konsummuster und Versorgungsgewohnheiten eingreifen. Über gemeinschaftlich betriebene Produktionsanlagen können sie den isolierten Akt des Konsums aufweichen und den sozialen Austausch in der Gesellschaft fördern. Auch die Schaffung zweckmäßiger Peer-to-Peer-Kommunikationsplattformen, die einen Austausch über solche Themen ermöglichen, spielt hier eine Rolle. Das gleiche gilt für Sharing-Plattformen: Initiativen wie Food-Sharing setzen hier an, indem sie als Abfall titulierte Lebensmittel wieder zu den Konsumenten bringen und ihre Mitglieder vernetzten.

Über die Verschiebung der Wertschöpfung von produktbasierten Lösungen hin in die Nutzungsphase des Produkts selbst, lassen sich Ressourceneinsparungen realisieren. Die klassischen Sharing-Modelle einiger schon existierender Startups sind dafür ein gutes Vorbild und haben ein großes Potenzial bei der Verwirklichung von ressourcen- und wachstumsextensiver Wertschöpfung. So wie die erneute Emanzipation der Konsumenten von Fremdversorgungsstrukturen einen kritischen Punkt für eine neue Ökonomie darstellt, kann auch ein Bewusstsein über die Auswirkung des Konsums einen bewussteren Umgang mit Produkten und Dienstleistungen bewirken. Ein hoher Grad an Transparenz ist demnach eine zentrale Eigenschaft transformativen Unternehmertums, die nicht nur zunehmend vom Konsumenten gefordert wird, sondern auch vom Unternehmen gefördert werden kann. Die Verbindung von Suffizienz, Bildungsarbeit und Transparenz kann damit ein neuer strategischer Dreiklang bei produzierenden Unternehmen werden. Der aktive Austausch mit dem Konsumenten und den zuliefernden Unternehmen ist eine Herausforderung, der Postwachstums-Startups gewachsen sein müssen.

Social Startups sind von ihrer Kapitalstruktur oft unabhängiger organisiert als große Unternehmen oder Stiftungen. Das macht sie resilient und autonom gegen Übernahmen und Wachstumsdruck. Wird Fremdkapital benötigt, wird dies oft über Crowdfunding- oder Crowdinvesting bereitgestellt. Neben der Frage der Kapitalbeschaffung muss sich ein Postwachstumsunternehmen zwangsläufig auch mit der Frage nach der richtigen Unternehmensgröße beschäftigen. Beides ist eng miteinander verwoben und hat starke Auswirkungen auf die internen sozialen und organisatorischen Prozesse des Unternehmens. Nur ein Startup, das sich diese Gedanken über sein individuell gesundes Wachstum macht, kann nachhaltig und autark operieren.

Ob ein Startup tatsächlich postwachstumskonform wirtschaftet, hängt jedoch nicht nur von der Integration postwachstumskonformer Prinzipien ab, sondern vor allem davon, ob es seine Handlungspraktiken, Wirkungen und Nebenwirkungen in der Welt kontinuierlich reflektiert. Ein zielloses „Vor-sich-hin-Wirtschaften“ führt auch bei nachhaltigkeitsorientierten Unternehmen meist nicht zum gewünschten Resultat. Ein ausgeklügeltes Nachhaltigkeitsmanagement oder Monitoring können sich jedoch die wenigsten Startups finanziell oder personell leisten. Für diesen Reflexionsprozess sind sie auf das Feedback Ihrer Stakeholder angewiesen. Das Zurückgreifen auf die durch Kollaborationsaktivitäten und Transparenzbemühungen geschaffenen Netzwerke und Kanäle ist dabei eine wichtige Ressource. Aber auch die internen Kommunikationskanäle sollten darauf ausgerichtet sein. Die Etablierung von demokratischen Entscheidungsmechanismen und eine hohe Informationsdurchlässigkeit innerhalb der Unternehmung sind vielversprechende Ansätze dafür.

Fazit: 6 Schlüsselkonzepte für Postgrowth Startups

  • Substitutive und disruptive Innovationen
  • Demokratisierung, Dezentralisierung und Subsistenz
  • Intersektorale Kollaboration und Bildung von Pioniergemeinschaften des Wandels
  • Transparenz und Suffizienz in der Wertschöpfung
  • Finanzierung und Kapitalbeschaffung gegen Wachstumszwang
  • Reflexive Leadership

Über die Autoren

Prof. Dr. André Reichel ist Professor für Critical Management & Sustainable Development an der Karlshochschule International University (Karlsruhe). Zuvor war er Research Fellow am Europäischen Zentrum für Nachhaltigkeitsforschung der Zeppelin Universität (Friedrichshafen). Reichels Forschungsschwerpunkte liegen in der betriebswirtschaftlichen Perspektive auf die Postwachstumsökonomie, insbesondere auf wachstumsresiliente Geschäftsmodelle und neue Erfolgsindikatoren. Mehr Infos unter andrereichel.de sowie auf Future Day.

Maximilian Fröhlich studierte Internationales Energiemanagement an der Karlshochschule International University. Im Rahmen seiner Abschlussarbeit beschäftigte er sich mit den Managementpraktiken von Sozialunternehmen und ihrem Beitrag bei der Gestaltung einer Postwachstumsgesellschaft.

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