Die Next Economy erfordert neue Innovationsstrategien: Mittels Exnovation, Renovation und Imitation lassen sich die Potenziale der Postwachstumsökonomie erschließen.
Die Innovation der Innovation

Über Innovation wird viel geredet, vor allem in Zeiten des Umbruchs. Verstanden als Vehikel, das technischen Fortschritt in die Märkte und zu den Konsumenten trägt, hat Innovation jedoch einen schweren Stand. Das zeigen die Produktivitätsforschungen von Robert J. Gordon: Nicht nur in den USA lässt das Produktivitätswachstum nach, das Ende einer ökonomischen “Long-Wave” ist in Sicht. Wir bewegen uns in Richtung einer Next Economy, die neue Innovationsstrategien erfordert.
Joseph Schumpeter, der Vater der modernen Innovationstheorie, hat das Verständnis der langen Wirtschaftszyklen von Nikolaj Kondratiew genutzt, um auf die Bedeutung von Basisinnovationen hinzuweisen, die von kreativen und mutigen Unternehmen in die Wirtschaft getragen werden. Die letzte große Basisinnovation war die Halbleitertechnologie und die damit verbundene Computer- und Internetrevolution. Eine solche Innovation ist aktuell nirgends zu finden. Das heißt nicht, dass es keine neuen Produkte gibt, die ihre Absatzmärkte finden. Aber ein neuer Produktivitätsschub, der neue Industrien und Unternehmen ermöglicht, ist bisher ausgeblieben.
Folgt daraus das Ende der Innovation? Der Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech verweist darauf, dass unser heutiges Innovationsverständnis sehr eng definiert ist: Es ist fixiert auf die Schaffung neuer, additiv wirksamer Möglichkeiten – neue Produkte, Verfahren, Technologien. “Neuheit”, verstanden als Erweiterung des Möglichkeitenraums, ist laut Paech jedoch nur einer von vier Innovationstypen. Die drei anderen Innovationstypen sind für Unternehmen in der Next Economy besonders spannend: Exnovation, Renovation und Imitation.
Exnovation: Innovation durch Substitution
Neben dem klassischen Innovationsansatz – der Erweiterung von Produktions- und Konsum-Möglichkeiten durch Neuheiten – gibt es auch eine komplementäre Variante: die Exnovation – als Verringerung der Möglichkeitenzahl. Damit sind neue Handlungsoptionen in Wirtschaft und Gesellschaft gemeint, die stark substitutiv wirken.
Die Energiewende ist ein Paradebeispiel für ein Exnovations-Großprojekt: Das Wachstum der erneuerbaren Energien zerstört den Markt für fossile Energien. Ähnlich wirken Innovationen der Sharing und Commons Economy wie Carsharing, Ridesharing und Bikesharing: Das eigene Auto wird exnoviert durch solche Lösungen. In einem anderen Zusammenhang kann Wikipedia als gigantische Exnovation im Bereich der gedruckten Enzyklopädien betrachtet werden.
Mit Exnovation in der Next Economy kommen gezielt wachstumsabhängige, energie- und CO2-intensive Produkte und Geschäftsmodelle ins Visier.
Renovation: Innovation durch Bestandserhaltung
Eine Sonderform der Innovation ist die Renovation: Im Gegensatz zu neuen Möglichkeiten der Erweiterung oder Verringerung von Handlungsräumen fokussiert sie auf bestehende Möglichkeiten zur Erweiterung des Handlungsraums. Das Re-Design von existierenden Produkten wie dem ICE 2 der Deutschen Bahn oder das bereits bekannte Remanufacturing sind solche mengenneutralen Innovationen, die vor allem auf die Verlängerung des Produktlebenszyklus abzielen.
Die Innovationstätigkeit wird bei der Renovation in die Produktnutzungsphase verlagert, um diese zu strecken und so einen möglichst langfristigen und gleichförmigen Cashflow sicherzustellen. Gleichzeitig kann mittels Renovation der Bezug zur Do-It-Together-Bewegung gelingen. Denn die Ergebnisse der Makerspaces und Repair Cafés sind nichts anderes als renovierende Tätigkeiten.
Imitation: Innovation durch Reaktivierung
Schließlich gibt es noch eine vierte Möglichkeit, die zunächst ein wenig seltsam anmutet. Es können nämlich auch bereits existierende, aber inaktive Handlungsoptionen dazu genutzt werden, den Handlungsraum insgesamt zu verkleinern. Damit ist die Imitation gemeint: eine Innovationsart, die ähnlich substitutiv wirkt wie die Exnovation, aber auf in Vergessenheit geratene oder aus der Mode gekommene Lösungen zurückgreift.
Der Vorteil der Imitation kommt dann zum Tragen, wenn inaktive Lösungen aus einer Zeit vor der großen Expansion der letzten 60 Jahre reaktiviert und somit imitiert werden. Der gesamte Aufschwung des Biolandbaus ist nichts anderes als eine Imitation – vor über 150 Jahren gab es nur Biolandbau. Auch die Tauschringe der Local Exchange Trading Systems (LETS) sind eine Imitation von Tauschsystemen, die es nach dem Krieg und in den Zwischenkriegszeiten gab – wenngleich eine technologisch inzwischen sehr anspruchsvolle Variante, mit weitreichenden wirtschaftlichen Implikationen bis hin zum Aufbau alternativer Wirtschaftskreisläufe.
Exnovation, Renovation und Imitation eröffnen einen neuen Innovationsraum für Unternehmen der Next Economy. Jede dieser Innovationsarten wirkt tendenziell zerstörend auf Produkte und Geschäftsmodelle der Now Economy. Jede funktioniert unter der Maßgabe High Growth, High Energy, High Carbon genauso wie unter Low Growth, Low Energy, Low Carbon. Aber unter den letztgenannten Rahmenbedingungen werden sie zu “Killerinnovationen” für das Bestehende.
Über den Autor

Prof. Dr. André Reichel ist Professor für Critical Management & Sustainable Development an der Karlshochschule International University (Karlsruhe). Zuvor war er Research Fellow am Europäischen Zentrum für Nachhaltigkeitsforschung der Zeppelin Universität (Friedrichshafen). Reichels Forschungsschwerpunkte liegen in der betriebswirtschaftlichen Perspektive auf die Postwachstumsökonomie, insbesondere auf wachstumsresiliente Geschäftsmodelle und neue Erfolgsindikatoren.