Energieautark wohnen: Smarter als der Smart Grid

Auf dem Weg in die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Welche Chancen und Geschäftsmodelle bietet eine autarke Energieversorgung? Prof. Timo Leukefeld über Vernetzung und Sharing in den Städten der Zukunft.

Foto: Stefan Mays

Technologische Umwälzungen reduzieren die Grenzkosten vieler Produktionsprozesse auf nahezu Null. Produkte und Dienstleistungen kosten immer weniger in einer Welt, in der 3D-Drucker ganze Häuser samt Einrichtung herstellen und Hotelgäste von Androiden betreut werden. Strom aus erneuerbaren Energien wird hierzulande in absehbarer Zeit nur noch etwa einen Cent pro Kilowattstunde kosten. Unser Wirtschaftssystem ist in einem epochalen Wandel begriffen: Eine Ökonomie des Überflusses löst die auf Knappheit gegründete ab.

Neue energieautarke Gebäude eröffnen dieser so genannten „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ neue Sektoren und zeigen Chancen im Zusammenhang mit Wohnen, Energieversorgung und Mobilität. Ihren Bewohnern bieten sie langfristig stabile und damit kalkulierbare Pauschalmieten mit einer Energie-Flatrate, die neben Wärme und Strom auch E-Mobilität umfasst. Energieversorgungsunternehmen (EVU), Wohnungswirtschaft und Banken finden darin neue lukrative Geschäftsmodelle.

Dreh- und Angelpunkt: Die Sonne

Energieautarke Gebäude versorgen sich selbst mit Wärme und liefern den Strom für Haushalt und Mobilität – und zwar nicht als theoretisches Rechenexempel, sondern faktisch. Sie bauen dafür auf den kostenfreien und krisensicheren Rohstoff Sonne: Photovoltaikmodule und Solarthermiekollektoren „Energieautarke Gebäude versorgen sich selbst mit Wärme und liefern den Strom für Haushalt und Mobilität – und zwar nicht als theoretisches Rechenexempel, sondern faktisch.“ teilen sich Dachflächen und Balkonbrüstungen. Langzeitspeicher halten Wärme und Strom für die Nutzer vor. Garagen und Parkplätze sind mit Elektro-Zapfsäulen ausgestattet. Die Gebäude werden so an die 70 bis 80 Prozent energieautark. Die Energiekosten für ein solches Gebäude liegen zudem etwa 70 Prozent unter denen eines Passivhauses.

Trotz ihrer hohen energetischen Unabhängigkeit binden innovative Lösungen diese Häuser in das öffentliche Versorgungsnetz ein – in erster Linie, um ihre Elektro- und Wärmespeicher regionalen EVU zur Lagerung von Energieüberschüssen zur Verfügung zu stellen. Das entlastet die öffentlichen Netze und eröffnet den Energieversorgern verschiedene, über die Lieferung von Heizmitteln hinausgehende, neue Einkünfte. Und es bietet ihnen nicht zuletzt einen erheblichen Imagegewinn.

Ein Zuviel an Energie: Gewinne statt „doppelte“ Kosten

Treten Energieüberschüsse auf, bleiben Versorgungsunternehmen häufig nur zwei Möglichkeiten. Zum einen: die Anlagen abzuschalten, mit der Folge dennoch die Einspeisevergütung zu zahlen, obwohl sie ihren Kunden keinen Strom anbieten können. Zum anderen: für die Abgabe des Überschussstroms in ein ausländisches Netz zu zahlen (negativer Börsenpreis). Durch die Möglichkeit, die dezentralen Speicher der energieautarken Gebäude zu nutzen, sparen die Netzbetreiber diese „doppelten“ Kosten und können darüber hinaus die eingelagerte Energie gewinnbringend verkaufen. Dasselbe gilt für die von den energieautarken Gebäuden produzierten Überschüsse an Wärme und Strom.

Neuartige Finanzierungs- und Vermietungsmodelle

Als Dienstleister für Planung, Installation und Betrieb liefert das EVU die gesamte Energietechnik für die autarken Gebäude und stellt darüber hinaus die Elektromobilität zur Verfügung. Über 10 Jahre hinweg kann der Energieversorger seine Leistungen als „Rundum-Sorglos-Paket“ zu einem festen Preis anbieten. In diesem Gesamtpaket ist der kalkulatorische Anteil der Energie festgeschrieben, die zugekauft werden muss: Deckt das Haus beispielsweise 70 Prozent seines Bedarfs an Wärme und Strom aus der Sonne selbst, bezieht es die fehlenden 30 Prozent aus dem Strom- oder Gasnetz des Energieversorgers. Durch vorausschauendes Planen, günstige Eigenproduktion und geschickte Nutzung der dezentralen Speicher kann der Energieversorger den kostenträchtigen Anteil minimieren und den eigenen Gewinn erhöhen. Da das Gesamtpaket die Stromversorgung integriert, schützt es die Vertragsbeziehung vor der Konkurrenz durch Onlineanbieter.

Mehrfamilienhäuser in Cottbus mit Energie-Flat: Jede Wohnung wird mit einer für 10 Jahre fixen Pauschalmiete inkl. Wohnen, Wärme, Strom und E-Mobilität angeboten.

Werden die zukünftigen Betriebskosten in die Investitionskosten einbezogen, entstehen völlig neuartige Finanzierungs- und Vermietungsmodelle: Banken können ihren Anlegern über zehn Jahre hinweg feste, attraktive Rendite versprechen, Vermieter feste Pauschalmieten anbieten, die neben dem Entgelt für das Wohnen außerdem Wärme, Strom und E-Mobilität als Flatrate enthalten. Die Attraktivität des Modells kann mit einem oder mehreren Elektromobilen als Gemeinschaftsfahrzeuge noch erhöht werden.

Über das tatsächliche Interesse an der Grundversorgung mit Wärme, Strom und Mobilität hinaus ergeben sich für Mieter viele Vorteile: Das Modell bietet Sicherheit im Zusammenhang mit Betriebs- und den Wohnnebenkosten, permanente Vergleiche der komplizierten Kostengefüge von Stromanbietern entfallen ebenso wie der stete Blick auf die Tankuhr. Längere Verweildauern in den Wohnungen sind die Folge, steter Mieterwechsel und der damit verbundene Verwaltungsaufwand sowie eventuelle Rechtsstreitigkeiten über Abrechnungen entfallen.

Das Modell der energieautarken Gebäude mit ihren dezentralen Energiespeichern ist so innovativ wie simpel und eindeutig „smarter“ als der sogenannte „Smart Grid“, da auf diese Weise größere Mengen Strom rangiert (shunted) werden können. Es eröffnet echte Chancen in einer Null-Grenzkosten-Gesellschaft, in der wir durch Energieverschwenden Geld verdienen können – weil wir sie nutzen statt verbrauchen.

Das Prinzip der vernetzten Energieautarkie

Prof. Timo Leukefeld zeigt neue Wege im Umgang mit Ressourcen und Energie auf. Seit 20 Jahren entwickelt er energieautarke Gebäude und Quartiere, die sich intelligent selbst mit Wärme, Strom und E-Mobilität aus der Sonne versorgen – und dazu passende neue Geschäftsmodelle.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

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