Hafer statt Milch – oder: Wie man den Zeitgeist trifft

Tobias Goj von Oatly zeigt, wie neue Werte neue Märkte eröffnen. Das schwedische Unternehmen ist weltweit der größte Hersteller von Milchalternativen auf Haferbasis und versucht Nachhaltigkeit und Healthstyle zu einem glaubwürdigen Lebensstil progressiver, urbaner Menschen zu verbinden – und dabei die Welt ein bisschen besser zu machen. – Ein Interview aus der Trendstudie „Neo-Ökologie – Der wichtigste Megatrend unserer Zeit“.

Foto: Pixabay/Markus Spiske

Herr Goj, Oatly ist weltweit der größte Produzent von Haferdrinks. Können Sie uns kurz erklären, warum Haferdrinks besser sind als Kuhmilch?

Der für uns wichtigste Vorteil unserer Haferdrinks gegenüber Kuhmilch ist daher, dass für die Produktion unserer Drinks viel weniger Treibhausgase produziert werden. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, die FAO, schätzt, dass 14,5 Prozent aller Emissionen aus der Fleisch- und Milchindustrie stammen. Die drei größten Einflussfaktoren auf den ökologischen Fußabdruck von Kuhmilch sind Futter, Dung und Methangas. Diese drei Dinge existieren bei der Produktion von Haferdrinks nicht, weil man Hafer direkt essen oder in unserem Fall trinken kann.

Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, Hafer zu einer milchähnlichen Flüssigkeit zu verarbeiten und warum darf man dazu nicht „Milch“ sagen?

Die Idee hinter Oatly war es, ein pflanzliches Getränk zu kreieren, welches im Einklang mit unseren Bedürfnissen und denen unseres Planeten steht. Ein Getränk, das jeder ohne Sorgen über Allergien oder Ressourcenverschwendung genießen kann. In den 1990ern fanden wir durch Forschung an der Lund Universität in Schweden heraus, dass natürliche Enzyme faserreichen Hafer in ein nahrhaftes, flüssiges Lebensmittel verwandeln können und dass dieses Produkt gut für den menschlichen Konsum geeignet ist.
Aufgrund von EU-Regularien ist es uns nicht erlaubt, „Hafermilch“ zu sagen. Deswegen benutzen wir den Begriff Haferdrink. Ob diese Regularien sinnvoll oder nicht sind, muss jeder selbst für sich entscheiden.

Im Internet findet sich ein virales Video von Ihrem CEO Toni Petersson. Es zeigt ihn in einem Haferfeld: Er spielt Keyboard und singt Ihren Markenclaim „Wow No Cow“. Wie wichtig ist Authentizität in einem Produktsegment wie Ihrem?

Es mag sein, dass andere Unternehmen einen „Die Nahrungsmittelindustrie hat sich zu lange auf Gewinnmaximierung fokussiert” professionellen Sänger gebucht hätten, anstatt ihren CEO – mit einer, sagen wir mal, mittelmäßigen Stimme – singen zu lassen. Aber wir gehen die Dinge gern ein bisschen anders an. Unser Ziel ist es, die Menschen auf unsere Produkte aufmerksam zu machen und sie dabei vielleicht sogar ein bisschen zu unterhalten. Nichtsdestotrotz steckt hinter diesem nicht ganz ernst gemeinten Auftritt eine ziemlich ernste Botschaft: Wir wollen das Bewusstsein für Gesundheit und Nachhaltigkeit schärfen.

Der urbane Hipster trinkt heute selbstverständlich den Oatly-Haferdrink in seinem Kaffee – wie haben Sie das geschafft?

Das Thema „Haferdrink im Kaffee“ ist extrem eng mit unserer Haferdrink Barista Edition verbunden. Wir wussten, dass es hier einen hohen Bedarf bei den Konsumenten gibt nach einer Milchalternative, die in Kaffee mindestens genauso gut funktioniert wie Kuhmilch. Deshalb haben wir unsere Barista Edition gemeinsam mit schwedischen Top-Baristas entwickelt, um genau die gewünschten Eigenschaften herausarbeiten zu können. Dadurch haben wir auch eine enge Verbindung in die weltweite Barista-Community aufgebaut. Uns war schnell klar, dass das Produkt vor allem in die neuen und aufstrebenden Specialty Cafés gehört. Mittlerweile sind wir weltweit in mehreren Tausend hochqualitativen Spezialitäten-Cafés verfügbar und sind in unseren Kernländern wie Schweden, UK, USA oder auch Deutschland die präferierte Milchalternative für viele Café-Besitzer und Baristas.

Welche Werte teilen Oatly-Kunden in Deutschland und international?

Wir können nicht viel über die Werte unserer Konsumenten sagen, da wir keine Zielgruppenforschung betreiben. Es scheint aber durchaus der Fall zu sein, dass unsere Werte – Nachhaltigkeit, Gesundheit und Transparenz – genau den Zeitgeist treffen und vor allem junge und bewusst lebende Menschen ansprechen. Die Nahrungsmittelindustrie und auch viele andere Industrien wie etwa die Automobilindustrie haben sich zu lange nur auf Umsatz- und Gewinnmaximierung fokussiert und dabei die Folgen ihres Handelns auf Umwelt und Gesundheit vernachlässigt. Viele Menschen haben das verstanden und sind nicht mehr bereit, auf Kosten von Umwelt und Klima oder Gesundheit einfach so weiter zu konsumieren. Sie suchen vielmehr nach nachhaltigeren und vertrauensvollen Alternativen und Marken.

Ökologie war den Menschen in unserem Land noch nie so wichtig wie heute, Natur belegt Platz eins im aktuellen Werte-Index – stehen wir am Beginn eines neuen ökologischen Zeitalters?

Ja, das Bewusstsein für die Umwelt steigt zum Glück enorm, angetrieben vor allem von den jüngeren Generationen, die mehr und mehr Wert darauf legen, was sie konsumieren und welchen Einfluss das auf unseren Planeten hat. Deswegen haben wir gerade damit begonnen, unseren Klimafußabdruck auf unsere Packungen zu bringen, damit Konsumenten eine bewusstere Entscheidung bezüglich ihres Einflusses auf Klima und Umwelt treffen können. Wir versuchen damit auch andere Lebensmittelhersteller zu ermutigen, diesbezüglich transparent zu sein.

Welche Entwicklung aus der jüngsten Vergangenheit ist Ihnen persönlich am wichtigsten? Und was wünschen Sie sich für die kommende Dekade?

Das Thema, selbst Verantwortung für das eigene Handeln und die Auswirkungen auf unseren Planeten zu übernehmen, ist in den letzten Monaten und Jahren extrem gewachsen. Weltweite Bürgerbewegungen wie zum Beispiel Fridays for Future zeigen die Unzufriedenheit der Menschen und vor allem der jüngeren Generationen bezüglich der passiven Haltung der Politik gegenüber dem Klimawandel. Gleichzeitig scheinen besonders die Marken und Unternehmen besonders erfolgreich zu sein, die klare Positionen einnehmen und sich nicht scheuen, aktuelle Probleme anzusprechen und kontroverse Positionen zu beziehen. Zukünftig wünschen wir uns, dass die Politik klare, transparente und mutige Entscheidungen zugunsten des Klimas und einer pflanzenbasierten Ernährung trifft und ernsthaft auf die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens hinarbeitet – mit allen Konsequenzen.

Über Tobias Goj

Foto: Oatly

Tobias Goj ist seit September 2017 als einer von zwei General Managers bei der Oatly Germany GmbH für Deutschland, Österreich und die Schweiz verantwortlich. Angetrieben von der Überzeugung, dass die Lebensmittelindustrie in Sachen Nachhaltigkeit eine 180-Grad-Wende hinlegen muss, ist er mit seinem General-Manager-Kollegen Helge Weitz angetreten, um mit Oatly ein Vorreiterunternehmen aufzubauen, das sowohl nachhaltig als auch sinnstiftend für die Mitarbeitenden und die Gesellschaft ist.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Megatrend Neo-Ökologie

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Nachhaltigkeit richtet Gesellschaft, Wirtschaft und Unternehmen fundamental neu aus. Der Megatrend Neo-Ökologie beschreibt die neuen Werte in allen Facetten.

Dossier: Marketing

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Wir stehen vor einer Marketing-Zäsur. Selbstbewusste, ermächtigte Kunden werden Marketing in Zukunft anders bewerten. Mehr Marketing wird nicht mehr automatisch für mehr Absatz sorgen. Künftig werden Konsumenten nur dann zu echten Kunden, wenn die Vertrauensbilanz stimmt.

Dossier: Food

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Food-Trends zeigen Lebensgefühle und Sehnsüchte auf, bieten Orientierung und Lösungsversuche für aktuelle Problemstellungen. Getragen werden sie immer von Menschen. Geprägt aber werden sie von den tiefgreifenden, globalen und langfristig wirksamen Veränderungen der Megatrends. Food-Trends können deshalb als „Barometer“ fungieren: An ihnen lassen sich Entwicklungen ablesen, die sich tiefer in die Gesellschaft ausbreiten.