„Junge Menschen wollen jetzt einen Impact sehen“

Rebecca Freitag, UN-Jugenddelegierte für Nachhaltige Entwicklung, spricht im Interview über die Rolle von jungen Menschen in Politik und Gesellschaft, wieso diese ganz und gar nicht politikverdrossen sind und wie sie selbst sich die Welt in 20 Jahren vorstellt. – Ein Auszug aus der Trendstudie „Neo-Ökologie – Der wichtigste Megatrend unserer Zeit“.

Foto: Unsplash/Mika Baumeister

Wie kamst du dazu, dich für das Amt der UN-Jugenddelegierten zu bewerben?

Bei einem interkulturellen Austausch der BUNDjugend 2012 mit jungen Ägyptern und Ägypterinnen kam ich zum ersten Mal tiefer mit Nachhaltigkeitsthemen in Berührung. Ich war schon immer viel auf Reisen, ich spreche viele Sprachen – aber der Austausch war für mich der Schlüsselmoment, wo ich gemerkt habe: Nachhaltigkeit ist ein total dringliches Thema für die Zukunft. Denn die Probleme, vor denen wir stehen, sind global. Ich wollte daraufhin etwas verändern, was in meiner unmittelbaren Umgebung falsch lief. Und das war Fahrradfahren in Berlin. Wir haben bei der BUNDjugend den Mobilitäts-Arbeitskreis gegründet, die Fahrradbande, und zusammen den Volksentscheid mit anderen Aktivisten getragen. Das war sehr erfolgreich und motivierend. Aber wenn man versucht, wirklich nachhaltig zu leben, kommt man bald an seine Grenzen. Mir ist klar geworden, dass wir uns auf einer globalen Ebene den Problemen stellen müssen, weil wir eine globale Antwort brauchen. Darum habe ich mich für das Amt als UN-Jugenddelegierte beworben.

Was ist deiner Meinung nach die Rolle von jungen Menschen in der Politik und der Gesellschaft?

Ich glaube, unsere Rolle als junge Menschen ist, auch in Zukunft die Watch Dogs zu spielen und den Politikern auf die Finger zu schauen und zu sagen „Wir hören nicht auf“. Notfalls sollten wir auch juristische Maßnahmen nutzen. Man muss der Politik zeigen, dass man es ernst meint. Deswegen bin ich mittlerweile auch nicht mehr nur in der UN, sondern vor der UN auf der Straße, denn wir brauchen Druck von jeder Seite. Wir brauchen alle Gesellschaftsschichten und -gruppen und darüber hinaus auch die Wirtschaft und die Unternehmen, die es eigentlich schon längst begriffen haben und in meinen Augen teilweise auch schon weiter sind als viele Politiker und Politikerinnen. Der Druck muss noch viel größer werden, viel breiter gefächert.

Zahlen zeigen, dass viele junge Menschen nicht wählen gehen und sich nicht in Parteien engagieren, weil sie sich von ihnen nicht verstanden fühlen. Was muss sich in der Parteipolitik in Deutschland ändern?

Das ist immer dieser zu schnelle Schluss, den man daraus zieht: Die Jugend sei politikverdrossen. Dem kann man spätestens seit Fridays for Future widersprechen. Wir jungen Menschen sind nicht apolitisch. Aber wir bedienen eben nicht die klassischen Kanäle, wir drücken unser politisches Sein anders aus. Wir benutzen Hashtags, posten in sozialen Medien. Wie wir konsumieren oder wie wir eben nicht konsumieren, wie wir essen, wie wir reden – das ist alles sehr politisch. Parteien sind nicht ansprechend für junge Menschen, dadurch „Bisher machen Parteien nur Politik für die Alten. Und das ist weder zukunftsorientiert noch nachhaltig.“ sind keine jungen Menschen in den Parteien zu sehen, weshalb sich andere junge Menschen erst recht nicht angesprochen fühlen. Wir sehen nicht, dass unsere Realität in der Politik widergespiegelt wird. Der Durchschnitt unseres Kabinetts ist fünf Jahre älter als der Bundesdurchschnitt. Und der Bundesdurchschnitt liegt schon bei 46 Jahren. Wie sollen wir uns da repräsentiert fühlen? Außerdem sind für junge Menschen die Themen Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit sehr wichtig, die wir aber nicht angemessen angegangen sehen von der Politik, die sich stattdessen mit anderen Themen ablenkt. Also vertrauen junge Menschen der Politik nicht mehr und wenden sich ab. Gleichzeitig fangen sie aber an, selbst anzupacken. So gibt es unheimlich viele neue lokale Projekte, die sagen „Ich mach’s jetzt selber einfach besser“. Während Parteien immer noch alte, starre Hierarchien haben, sehr undurchlässig und intransparent sind und man zehn Jahre dabei sein muss, bevor man etwas erreichen kann, sind junge Menschen anders gepolt: Wir wollen jetzt einen Impact und Ergebnisse sehen. Uns reicht es auch, uns ein, zwei Jahre zu engagieren und dann wieder etwas anderes zu tun. Diese Möglichkeiten bieten Parteien einfach noch nicht.

Wie sieht dann die Zukunft der Parteienlandschaft aus, was wäre eine Lösung?

Das Parteiensystem hat durchaus Vorteile. Aber in Deutschland haben wir ein Demografie-Problem. Selbst wenn es eine neue Partei geben würde, die von allen jungen Menschen gewählt werden würde, würde es diese Partei nicht einmal über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Wenn wir das Wahlalter auf 16 oder 14 Jahre senken würden, würde sich einiges ändern. Dann müssten die Parteien ihre Wählerschaft neu justieren und sich mehr an den jungen Menschen orientieren. Bisher machen sie nur Politik für die Alten. Und das ist weder zukunftsorientiert noch nachhaltig.

Hast du das Gefühl, du wirst ernst genommen als UN-Jugenddelegierte?

In der Mitte meiner Amtszeit haben die Fridays-for-Future-Demonstrationen begonnen. Davor wurde man eher belächelt, oft waren Treffen mehr Fototermin als inhaltlicher Austausch. Seitdem sind gerade die Themen Jugend und Nachhaltigkeit viel mehr auf der Agenda und ich merke, dass ernsthafter hingehört und sich auch viel mehr danach ausgerichtet wird.

Uns jungen Menschen fehlt aber teilweise die internationale Organisation und Finanzierung, sodass wir uns nicht nicht so etabliert einbringen können wie andere Interessensgruppen. Gleichzeitig wird erwartet, dass wir jungen Menschen mit unserem Idealismus uns sowieso schon für unsere Belange einsetzen. Aber es ist nicht so einfach, gegen Mächte oder gegen Strukturen zu kämpfen, die ganz andere Werkzeuge haben als wir. Manchmal fühlt es sich an wie ein Kampf von David gegen Goliath. Doch es ist nicht per se ein Kampf von Jung gegen Alt, weil es auch viele ältere Menschen gibt, die schon seit Jahrzehnten für genau die gleiche Sache kämpfen.

Die meisten jungen Leute, die bei Fridays for Future demonstrieren, sind im Gymnasium oder haben Abitur. Wie ist das in deinem Umfeld?

Ja, ich merke das auch. Gerade im internationalen Kontext sind es natürlich die Leute, die sich das Reisen zu den Konferenzen oder die Freizeit, sich zu engagieren, „Bildung für nachhaltige Entwicklung bedeutet, nicht nur Wissen, sondern auch Kompetenzen und globales Denken zu vermitteln, um Dinge selbst anzupacken.“ leisten können. Aber wir kämpfen trotzdem im Namen unserer gleichaltrigen Mitstreiter und Mitstreiterinnen, die letztendlich auch das Interesse teilen, unsere Lebensgrundlage nicht zu zerstören und uns eine lebenswerte Zukunft zu erhalten. Von daher sind wir solidarisch im Namen unserer ganzen Generation und den Generationen, die noch kommen werden, unterwegs. Dass es momentan eher die besser Gebildeten sind, die sich aktiv für unsere Zukunft einsetzen, bedeutet, dass wir unsere Bildung noch mehr ausweiten müssen. Bildung für nachhaltige Entwicklung bedeutet, nicht nur Wissen, sondern auch Kompetenzen und globales Denken zu vermitteln, um Dinge selbst anzupacken.

Was ist dein Best-Case- und dein Worst-Case-Szenario für die Welt in zehn bis 20 Jahren?

Das Best-Case-Szenario, meine Vision, die ich auch jedem Menschen nahelege, an die ich glaube und an der ich arbeite: Dass wir in zehn Jahren unsere 2030-Agenda-Ziele erreicht haben. Dass wir früh genug angefangen haben, den Klimawandel einzuschränken. Dass wir es geschafft haben, vor allem auch unsere Gesellschaft neu zu identifizieren, uns auf neue Normen und Werte geeinigt haben. Es gibt grundsätzliche Fragen, die wir jetzt angehen müssen. Und das sind nicht nur Klimawandel- und Nachhaltigkeitsfragen, sondern auch gesellschaftliche Fragen. Die Nachhaltigkeitsziele müssten als Grundlage einer jeden Entscheidung und vor allem einer jeden Finanzierung gelten. Wie gehen wir damit um, wenn bald die grundlegendsten Jobs wegfallen durch Robotisierung und Digitalisierung? Wie gestalten wir unsere Gesellschaft neu? Wie kommunizieren wir? Das sind Fragen, die wir hoffentlich in den nächsten zehn bis 20 Jahren geklärt haben, sodass ein neues Miteinander entsteht.

In meinem Worst-Case-Szenario leugnen wir weiter die wissenschaftlichen Fakten und machen business as usual. Es gibt so viele Folgen des Klimawandels, die wir teilweise noch gar nicht abschätzen können, sodass ich mir diese Welt eigentlich gar nicht vorstellen möchte. Wir werden mit unheimlich vielen Klimaflüchtlingen umgehen müssen. Die Ungleichheiten werden sich durch den Klimawandel weiter verstärken, weil es natürlich die Menschen härter treffen wird, die es schon jetzt trifft und die sich am wenigsten wehren können. Aber am liebsten will ich darüber gar nicht so viele Worte verlieren, weil ich glaube, dass unserer Welt eigentlich die positiven Visionen fehlen. Worst-Case-Szenarien dagegen lassen viele Leute lethargisch werden, nach dem Motto: „Die Welt wird sowieso untergehen, ich kann nichts dagegen tun.“ Das ist aber nicht der Fall, denn jede kleinste Aktion und jede Tat zählt! Also lasst uns lieber das Best-Case-Szenario weiterentwickeln und wieder Freiräume für Utopien erschaffen.

Über Rebecca Freitag

Foto: Kristoffer Schwetje Photography

Rebecca Freitag macht sich als UN-Jugenddelegierte für Nachhaltige Entwicklung für die Interessen ihrer Generation in Bezug auf Nachhaltigkeit bei der UN stark. Neben diesem Ehrenamt studiert sie Integrated Natural Resource Management an der Humboldt-Universität Berlin und arbeitet im politischen Berlin für eine CO2-Steuer.

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Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

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Nachhaltigkeit richtet Gesellschaft, Wirtschaft und Unternehmen fundamental neu aus. Der Megatrend Neo-Ökologie beschreibt die neuen Werte in allen Facetten.