Das Berliner Unternehmen einhorn ist bekannt als Pionier für eine starke Wertehaltung. Linda Preil, Head of Rubber Projects bei einhorn, im Interview über die Verbindung von Marke und Menschen durch Sinnhaftigkeit – und die politischen Potenziale von Marken. – Ein Auszug aus der Trendstudie Transforming Brands.
Eine Marke der Zukunft: Wie einhorn bestehende Systeme herausfordert
Frau Preil, was war bei einhorn zuerst da: die ethischen Überlegungen oder die Business-Idee?
Linda Preil: Das kam tatsächlich beides zusammen durch unsere beiden Gründer. Der eine wollte ein nachhaltiges Business machen, der andere fragte sich: Wie uncool sehen eigentlich Kondomverpackungen aus, warum sind die so 08/15 verpackt, kann man das nicht besser machen? Damit war die Grundidee geboren: nachhaltige Kondome.
Welche Werte prägen die Marke einhorn und wie werden sie im Unternehmen gelebt?
Seit der Gründung von einhorn 2015 haben wir drei Hauptwerte: Fairstainability, Unicornique und FUG – Fight & Hug. Diese drei Grundwerte sind bei allen Veränderungen stabil geblieben. Fairstainability ist der Anspruch, all unser Handeln fair und nachhaltig zu gestalten, von Lieferketten und Partnerschaften bis zum Miteinander im Team. Wir versuchen, unseren negativen Fußabdruck so gering wie möglich zu halten und dort, wo es nicht anders geht, zu kompensieren, zum Beispiel unseren CO2-Ausstoß durch Aufforstungsprojekte in der größten menschengemachten Wüste Europas – im Norden von Spanien. Wir lassen den von uns verursachten Plastikmüll pro Jahr in gleicher Menge am Strand von Malaysia wieder einsammeln. Wir forschten auch mehr als ein Jahr lang an einer nachhaltigeren Verpackung, die jetzt gänzlich aus Papier ist. Sie ist zwar etwas teurer, verursacht aber 92 Prozent weniger Plastik und spart pro Jahr fünf Tonnen CO2 ein.
Gleichzeitig wollen wir einen positiven Impact generieren: Werden die Menschen, die wir beschäftigen, von der Rohstoffgewinnung bis zur Herstellung, fair entlohnt? Unter welchen Umweltbedingungen wird angebaut und gearbeitet? So arbeiten wir direkt mit Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Thailand zusammen, entwickeln gemeinsam einen fairen Modus für das Zusammenspiel von Mensch und Biodiversität und beschäftigen speziell für diese Aufgabe zwei Menschen in der Region. Außerdem unterstützen wir Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Und wir sind inzwischen auch Teil der „Purpose Stiftung“. Dadurch ist gesichert, dass bei einhorn auch künftig immer der Sinn im Zentrum stehen wird – und nicht das Bestreben, Profit abzugreifen.
Und wofür stehen die Prinzipien Unicornique und Fight & Hug?
Unicornique bedeutet, Dinge nicht einfach so zu machen, weil sie schon immer so gemacht wurden, oder einfach Lösungen zu kopieren, sondern immer zu hinterfragen, ob es noch unkonventionellere Wege gibt, die im Business-Kontext bislang noch nicht gegangen wurden. Als uns anfangs ein Konkurrent wegen des damaligen Claims auf unseren Verpackungen („Bis zu 21 Orgasmen pro Tüte“) verklagte, haben wir eine Demo für den weiblichen Orgasmus ins Leben gerufen – und es so geschafft, dass unsere Verkäufe sogar stiegen. Wir versuchen auch, unsere Verpackungen so zu gestalten, dass sie nicht „klassisch öko“ aussehen, sondern auch Leute ansprechen, die sich mit Nachhaltigkeit noch gar nicht auseinandergesetzt haben. Fight & Hug betrifft die Art und Weise, wie wir als Team miteinander umgehen: Wir versuchen, unsere eigenen Egos zurückzustellen und uns mit der Sache auseinanderzusetzen. Auch wenn wir diskutieren und streiten, geht es immer um die gemeinsame Sache, um unsere Vision.
Wie wird diese Vision nach außen getragen? Hat einhorn eine Marketingstrategie?
Nein, wir haben bis heute keine Marketingabteilung und auch kein ausgewiesenes Marketingbudget oder KPIs. Klassische Marketing-Bingo-Buzzwords gibt es bei uns nicht, auch keine bezahlte Werbung, um mehr Umsatz zu generieren. Aber natürlich reden wir über die Dinge, die wir machen, gern in der Öffentlichkeit. Daraus wird dann quasi auf organische Weise eine Story, die wir erzählen können, zum Beispiel über Social Media. Das muss nicht direkt mit den Produkten verbunden sein, solange es spannend ist und unsere Werte widerspiegelt. Wir merken, dass ein paar Leute uns gern zuhören.
Mit all dem dringt einhorn ja auch unweigerlich in die politische Sphäre ein. Passiert das auch ganz bewusst – und in welcher Form?
Wir haben zum Beispiel als ein Gründungsmitglied die „Stiftung Verantwortungseigentum“ mit ins Leben gerufen. Unsere Gründer haben sich bei einem Treffen mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier dafür eingesetzt, dass in Deutschland andere Formen von Unternehmertum als legitime Rechtsform anerkannt werden. Es geht darum, dass nicht mehr nur die Maxime „Shareholder Value only“ gilt, die eine Ausrichtung auf immer weitere Profitmaximierung bewirkt – sondern dass die Kontrolle des Unternehmens bei den Personen bleibt, die dem Unternehmen langfristig verbunden sind. Dadurch ist das Unternehmen kein Spekulationsobjekt. Am Anfang war einhorn noch eher unpolitisch, aber inzwischen bekennen wir Farbe und stehen klar für unsere Werte.
Lässt sich dieses Markenengagement unter dem Label „Purpose“ fassen oder ist es noch mehr, vielleicht sogar etwas ganz anderes?
Wir haben nie nach einem Label gesucht, damit alles noch ein bisschen grüner aussieht. Uns ist einfach klar, dass in unserer Wirtschaft so viel schiefläuft, dass die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer werden. Deshalb war es von Anfang an die Vision von einhorn, 50 Prozent der Gewinne in Fairstainability zu reinvestieren, um Projekte anzustoßen, unabhängig von externen Geldgebern. Das kann die Gründung einer Kautschukkooperative in Thailand sein, deren Kautschuk dann in unseren Kondomen landet, oder ein Aufklärungsprojekt zur Frauengesundheit – Sachen also, die eher indirekt mit unseren Produkten zusammenhängen. Wir wollen Geld nicht verdienen, um es zu vermehren oder Leuten zu geben, die ohnehin schon Geld haben, sondern wir wollen Geld nutzen, um Gutes zu tun und das System zu verändern.
Wie sieht Ihre persönliche Vision für die Markenwelt von morgen aus?
Ein ganz zentraler Punkt ist: Wir müssen solidarischer miteinander umgehen. Die Zukunft kann nicht länger dieser krasse Gegeneinander-Preisdumping-Kampf sein. Marken müssen sich in der Verantwortung sehen, dieses Spiel nicht mehr mitzuspielen, ansonsten wird sich nichts ändern. Systeme entstehen in den Köpfen von Menschen und werden sich erst wandeln, wenn sich auch die Gedanken bewegen. Dafür muss es genug Mutige geben, die sich zusammenschließen und aufzeigen, wie es auch anders gehen kann. Das ist die Verantwortung, die Marken tragen. Die Marken der Zukunft fordern bestehende Systeme heraus anstatt sie einfach zu bedienen.
Interview: Christian Schuldt
Linda Preil

... ist als Head of Rubber Projects bei dem Berliner Unternehmen einhorn, das vegane, nachhaltige und faire Designkondome und Periodenprodukte produziert. Sie ist unter anderem zuständig für nachhaltigen Kautschuk in den Kondomen und arbeitet dabei eng mit den Partnern in der Lieferkette zusammen.