„Was wachsen soll, ist die Idee!“

Uwe Lübbermann, Gründer des Premium-Kollektivs, über sozialveträgliche Unternehmen, die Schmerzen des unkontrollierten Wachstum und die Verantwortung, die er als Inhaber trägt. Ein Auszug aus der Trendstudie „Next Growth“.

Ohne Wirtschaftswachstum ist alles nichts, hat vor vielen Jahren Bundeskanzlerin Merkel einmal gesagt. Wie kommt Ihnen diese Aussage heute in Ihrer Alltagsrealität vor?

Ich halte diese Aussage ehrlich gesagt für Quatsch. Es ist mittlerweile wissenschaftlich belegt, dass die Nutzung der Weltressourcen weitaus größer ist als sie eigentlich sein dürfte. Wir nutzen von den Ressourcen her rund 1,6 Planeten, haben aber nur einen. Deshalb macht es keinerlei Sinn, nur auf Wachstum zu setzen. Im Gegenteil: Ohne Schrumpfung werden wir den Planeten so weit ausnutzen, dass er sich gegen uns erhebt, dass wir Naturkatastrophen erleben und als Menschheit vielleicht nicht überleben. Wir sind ja von Systemen abhängig, kaum jemand in den westlichen Ländern kann sich noch selbst sein Essen anbauen, jagen etc. Dafür sind wir auch viel zu viele Menschen, das gibt die Fläche nicht her. Wenn dieses System zusammenkracht, werden wir hässliche Verteilungskämpfe um Ressourcen erleben. 

Ist Wirtschaftswachstum dann generell der falsche Weg? 

Schlicht darauf zu setzen, halte ich für totalen Unsinn. Es gibt Daten und Zahlen, etwa vom Wuppertal Institut, die belegen, dass dieses alte Märchen vom Fortschritt, der mit weniger Ressourcennutzung mehr Erträge ermöglichen soll, nicht aufgeht. Fortschritt kann in diesem Sinne gar nicht fortschrittlich sein, da tricksen wir uns selber aus. Gerade in den westlichen Ländern und auf der nördlichen Halbkugel müssen wir noch einmal ganz anders herangehen. Der „Earth Overshoot Day“, an dem wir den Ressourcenverbrauch eigentlich stoppen müssten, war bei uns schon im ersten Drittel des Jahres.

Welche Konsequenzen hat das für Unternehmen?

Da bin ich einer Meinung mit Niko Paech: Wir müssen zurückkommen „Ohne Schrumpfung werden wir den Planeten so weit ausnutzen, dass er sich gegen uns erhebt.“ zu Organisationsgrößen, die sich noch sozialverträglich benehmen können. Wenn sie das nicht können, weil sie zu groß sind, dann müssen sich diese Organisationen verkleinern. Es gibt keinen Grund, warum Organisationen so groß sein sollten, dass sie sich nicht mehr vernünftig benehmen können. Da bedarf es einer Schrumpfung. Ich habe zwar keine Patentlösung, wie das bei großen Konzernen möglich sein könnte, aber fest steht: So, wie es im Moment läuft, dass Unternehmen im Prinzip so groß sein dürfen, wie sie wollen, das müsste man reduzieren.

Wie setzen Sie diese Gedanken konkret in Ihrem Unternehmen um?

Im Premium-Kollektiv haben wir gelernt, dass uns mehr als zehn Prozent Wachstum im Jahr massive Wachstumsschmerzen bereitet. Wir bräuchten dann externe Geldgeber, müssten neue Leute schneller einarbeiten und unter Stress setzen, und wir müssen die Strukturen so ausbauen, dass wir keine Zeit mehr hätten, beteiligte Partner richtig kennenzulernen. Aber unsere Kernaufgabe ist ja nicht der Getränkeverkauf, sondern das Kümmern um Menschen: Wenn wir das gut machen, dann kommen dabei sozusagen Getränke heraus. Und das geht nur mit einer begrenzten Zahl an Menschen, die man kennen und betreuen kann. Wenn wir merken, das wird zu viel, es setzen Wachstumsschmerzen ein, dann muss man das stoppen. Deshalb haben wir für uns festgelegt: Nicht mehr als zehn Prozent Flaschenzahlwachstum pro Jahr. 

Sehen Sie auch positive Wachstumsfaktoren? 

Ja, auch wir bewegen uns ja in verschiedenen Wachstumsfeldern und überlegen uns, welche Arten des Wachstums wir eigentlich haben wollen. Würden wir zum Beispiel die gleiche Flaschenzahl mit mehr Leuten bewegen, könnten wir zwar weniger Gehalt zahlen, aber die Mitarbeiter hätten weniger Stress, das wäre also ein Wachstum an Lebensqualität – solange der Lohn zum vernünftigen Leben ausreicht. Man könnte auch die gleichen Flaschenzahlen mit den gleichen Leuten bewegen, aber dafür mehr Händler beschäftigen, dann hätte man mehr Arbeit, aber mehr Stabilität in der Struktur, mehr Krisensicherheit. Das wäre ebenfalls ein Wachstum auf der Qualitätsebene. Oder man investiert mehr Zeit in die Verbreitung der Idee, in Gespräche und Vorträge, das ist ein Wachstum auf der Kommunikationsebene.

Was ist die größte Gefahr eines Wachstumsdenkens, das auf finanzielle Gewinnmaximierung setzt?

Dieses Denken ist nicht nur nicht ausreichend, sondern sogar kontraproduktiv. Würde unser Unternehmen immer weiter wachsen, immer mehr Flaschen verkaufen, immer mehr Geld erlösen wollen, würde der Verkaufs- und Wachstumsdruck steigen. Dann werden sozusagen zum Wohle weniger viele Menschen schlichtweg ausgenutzt. Denken Sie an Paketdienste: Da bekommen die Inhaber, sozusagen die Shareholder, ihre Gewinne, und der einzelne Fahrer muss für 8,50 Euro Mindestlohn arbeiten. Diese ungleiche Verteilung von Ressourcen in der Gesellschaft führt zu massiven Spannungen, gesellschaftlich wie individuell. Und letztlich auch zu einer geringeren Lebenserwartung: Im indischen Kerala sind zwar alle arm, aber eben gleich arm, und weil es weniger wirtschaftliche Spannungen gibt, ist die Lebenserwartung ist vergleichsweise hoch. In Ländern wie Brasilien oder Russland, wo die Ressourcen viel ungleicher verteilt sind, ist die Lebenserwartung bis zu zehn Jahre geringer. 

Gibt es ein Land, das hier als Vorbild dienen könnte?

Ich bin ein Freund von Bhutan, ein Land, das einen nationalen Glücksindex erhebt. Hilfreich kann auch ein Zwischenschritt sein wie die Gemeinwohlökonomie: Unternehmen werden dann danach bewertet, wie sie sich in den verschiedensten Kriterien in Bezug zum Gemeinwohl verhalten. Wer sich gut verhält, wird steuerlich entlastet, also auch wirtschaftlich belohnt. Jedenfalls müssen wir andere Faktoren in den Blickwinkel nehmen – und auch persönlich vorleben, dass wir ein ausreichendes Einkommen für alle Beteiligten erreichen wollen. Wenn wir ein gesundes Prüfungsfenster hätten, dass wir uns um alle Menschen vernünftig kümmern, allen ausreichendes Auskommen, Freiheiten, Arbeitsplatzwahl, Arbeitszeitwahl usw. gewährleisten können, dann wäre das schon genug. Auch als Inhaber habe ich nicht das Recht, für mich mehr herauszuholen und Gewinne zu erzielen. Im Gegenteil: Ich habe die Verantwortung, für ein ausreichendes Verhältnis zu sorgen. Deshalb müssen wir uns eher reduzieren, auch mit Blick auf die Welt, die wir sonst kaputt machen. Unsere Kinder und Kindeskinder werden mit den Folgen leben müssen, die wir heute anrichten.

Wo sehen Sie den größten Nachholbedarf – bei Ihnen selbst und Ihrem Wissensstand, aber auch in der Gesellschaft generell – für ein Wirtschaften jenseits des Wachstumszwangs?

Ich sehe vor allem, dass auf der individuellen Ebene häufig die Bereitschaft fehlt, das Verhalten tatsächlich zu ändern. Wenn es für einen selbst irgendwie gut „Wir müssen zurückkommen zu Organisationsgrößen, die sich noch sozialverträglich benehmen können.“ aussieht – warum sollte man dann etwas ändern? Hier im Westen, als weiße Mittelschicht, am besten noch männlich, gebildet und aus gutem Elternhaus, da geht es uns sicherlich gut. Aber wenn du in Syrien geboren wirst, sieht es schon anders aus. Dieses Bewusstsein, über den eigenen Tellerrand zu gucken, fehlt häufig. Ich glaube, dass wir als Menschen einfach nicht lange genug leben, um das gut zu können. Würden wir 1.000 oder 10.000 Jahre alt werden, dann würden wir ganz anders über Umweltschutz und Wachstum reden und nachdenken, denn dann hätten wir selbst ein Interesse, dass wir auch noch in 8.000 Jahren unsere Rente erleben. Da sehe ich auf jeden Fall Nachholbedarf. 

Mindestens ebenso wichtig ist eine stärkere Regulierung der Wirtschaft. Heute ist es ja leider so, dass Gesetze und Steuerrecht vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen gelten. Die großen können sich leicht rausziehen: Als großer Autokonzern kommst du trotzdem irgendwie durch, auch wenn du die Gesetze nicht beachtest. Es gab einen schönen Tweet von "Extra 3": Ob große Koalition oder Minderheitsregierung, wer unter der Autoindustrie reagiert, ist doch völlig unerheblich. Hier sehe ich viel Handlungsbedarf – und wenig, was da passiert.

Haben Sie Hoffnung, dass hier in absehbarer Zeit eine Wende gelingt?

Ich bin eher pessimistisch. Ich glaube nicht daran, dass wir etwas von der Politik erwarten können, und ich fürchte, dass wir es als Menschheit nicht mehr rechtzeitig schaffen, den Planeten nicht irreparabel zu beschädigen. Dafür sind die Menschen einfach zu doof. Wir werden da in eine massive Krise laufen, vielleicht in 30 bis 40 Jahren. Ich wünsche mir sehr, dass wir das doch noch hinkriegen, und bemühe mich, meinen Beitrag dafür zu leisten. Im Premium-Kollektiv haben wir immerhin 1.400 gewerbliche Partner, auf die wir wirken, wir haben mehr als 700 Veranstaltungen gemacht, mehr als 40 Unternehmen beraten – auch durchaus große Kunden wie die Deutsche Bahn. Ich persönlich mache diesbezüglich viel und lebe selbst vor, wie es gelingen kann, sich zu begrenzen statt zu wachsen. Aber das ist alles viel zu wenig. Es sind noch viel zu wenige, die so denken und handeln. 

Wenn Sie eine Vision für sich und Ihre Organisation entwickeln, bei der Wachstum keine wesentliche Rolle mehr spielt: Was wären die wichtigsten Elemente?

Wir wollen das Wachstum der eigenen Organisation vom Wachstum und Verbreitung der Ideen abkoppeln. Deshalb haben wir ein Wachstumsgeschwindigkeitsfenster von maximal zehn Prozent – und ein Größenmaximalfenster: Wenn wir dies irgendwann erreichen, stoppen wir. Dann soll die Organisation stagnieren, um nicht zu groß zu werden. Die Idee an sich soll aber weiter verbreitet werden, deshalb machen wir relativ viel Verbreitungsarbeit über unsere Partner und Veranstaltungen.

Zum Beispiel in Workshops mit BWL-Studierenden, denen wir vermitteln, dass es nicht nur die eine BWL des „Höher, schneller, weiter“ gibt, sondern dass man in diesem System eine Wahl hat. Im Bereich der Unternehmensberatung erzielen wir vielleicht nur kleine Veränderungen, dafür aber in sehr großem Rahmen – die Deutsche Bahn beschäftigt mehr als 300.000 Menschen. Innerhalb unseres Kollektivs hat selbst eine große Veränderung nur eine kleine Wirkung. Deshalb wollen wir die Verbreitung der Ansätze und Ideen beschleunigen. Auch durch die Übertragung unseres Konzeptes auf andere Branchen wie die Immobilienbranche, die ja nicht sehr sozial ist. Die Premium Hausverwaltung ist bereits in Gründung.

Dies ist die Langfassung eines Interviews aus der Trendstudie „Next Growth“.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

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Dossier: Wir-Gesellschaft

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