Was das Wissen über die Herkunft der Milch im eigenen Kühlschrank mit Social Business zu tun hat? Abgeschöpft wird meistens dort, wo keine Wertschätzung besteht.
Von Dr. Markus Schweizer (05/2017)
Was das Wissen über die Herkunft der Milch im eigenen Kühlschrank mit Social Business zu tun hat? Abgeschöpft wird meistens dort, wo keine Wertschätzung besteht.
Von Dr. Markus Schweizer (05/2017)
Als die Wertschöpfungskette für unsere Konsumgüter noch in einer oder einigen wenigen Händen lag, kam wahrscheinlich kaum die Frage auf: „Mama, woher kommt eigentlich unsere Milch?“ Die Arbeitsschritte, die für den Genuss einer Tasse Milch notwendig sind, waren alltäglich erlebbar. Mit der Industrialisierung und Arbeitsteilung sind die einzelnen Wertschöpfungsstufen auf immer mehr Hände aufgeteilt worden und eine schleichende Entfremdung, sowohl zu den Produkten als auch zu ihrer Herstellung, ist entstanden.
Besonders deutlich zu erkennen ist dies am Phänomen der Erlebnisbauernhöfe, auf denen das Melken oder eierlegende Hühner bestaunt werden können. Aber nicht nur den Endkonsumenten ist der Bezug zu den einzelnen Produktionsschritten abhanden gekommen. Auch viele Firmen, welche einen Teilschritt in der Produktionskette verantworten, haben den Durchblick nach „hinten“ und nach „vorne“ verloren.
Die persönliche Entfremdung führt dazu, dass eine Wertschätzung der Wertschöpfung entlang der Produktionskette immer schwerer fällt: Entscheidungen – auf jeder Wertschöpfungsstufe – werden daher oft nicht an den tatsächlichen Wert des Produktes geknüpft, sondern an den eigenen (monetären) Vorteil. Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für den Sektor der „Social Businesses“, für die Lösung von sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Problemen im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit?
Das fehlende Bewusstsein für die Wertschöpfungskette kann Social Businesses auf mehreren Ebenen konterkarieren. Kann zum Beispiel ein Zentraleinkäufer einer Handelskette in der Preisverhandlung für einen Liter Wiesenmilch die Leistung dahinter nicht beurteilen, misst er seinen Erfolg meistens an der Abschöpfung – je niedriger der verhandelte Preis, desto höher die Anerkennung. Hinzu kommt:
Die Gegenbewegung findet in Form einer wachsenden Anzahl an unabhängigen sozialen oder ökologischen Labels statt, dank derer die Wertschätzung einzelner Wertschöpfungen neu belebt wird (z.B. „Fairtrade“, „utz“ oder „Cotton made in Africa“). Doch so sinn- und wertvoll diese Organisationen auch sind: Der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt hauptsächlich in den Entwicklungsländern. Oder kennen Sie ein vergleichbares Label für Social Business in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz? Nur weil ein Produkt regional angebaut wurde, ist dies nicht zwingend äquivalent mit einer naturnahen, sozialverträglichen und wirtschaftlich sinnvollen Produktion. Massentierhaltung, pestizidbelastete Böden und kilometerlange Monokulturen sind auch bei uns keine Seltenheit.
Social Business ist daher kein Drittwelt-Thema. Die Verantwortung jedes Einzelnen beginnt beim Interesse am Wert bzw. am Entstehungsprozess der Produkte. Ein Konsument, der als Kind nie in Kontakt mit Milchkühen gekommen ist, kann den Mehrwert einer Wiesenmilch in den meisten Fällen nicht erkennen. Und warum soll dafür mehr bezahlt werden? Kühe fressen doch per se Gras. Also ein Pleonasmus? Leider nein.
Social Business fängt deshalb in erster Linie beim Individuum an:
All diese Beobachtungen machen deutlich: Social Business hat mit Wertschätzung der Leistung entlang der Wertschöpfungskette zu tun und ist nicht auf Labels für den fairen Handel in Drittweltländern beschränkt. Unsere Einkaufszettel (und unsere Managemententscheidungen) sind gleichzeitig auch ein Stimmzettel. Wir entscheiden uns für eine bestimmte Haltung eines Händlers respektive Herstellers und damit für den entsprechenden Einsatz der Ressourcen entlang der Wertschöpfungskette. Wir entscheiden mit unserer Wertschätzung über Abschöpfung oder Nachhaltigkeit.
Dr. Markus Schweizer leitet den Bereich "Corporate Development" der Genossenschaft Migros Aare in der Schweiz und ist seit rund zehn Jahren in leitenden Positionen im deutschen und schweizerischen Handel tätig. Er ist Autor zahlreicher Fachbücher und Leitartikel sowie regelmäßiger Referent zu den Themen Handelsstrategie, Kundenforschung/-zentrierung und Digitalisierung.