Damit stößt selbst die gezielte Dekonstruktion tradierter Denkmuster durch „narrative Elemente“ an Grenzen. Immer mehr wächst die Erkenntnis, dass selbst die entertainisierte Vermittlung von Fakten nicht ausreicht, um ein klimafreundlicheres Verhalten in großem Maßstab zu bewirken. Ins Zentrum des Greentertainments rückt deshalb der handelnde Mensch.
Vom Problematisieren zum Handeln
Menschen entwickeln Handlungsfähigkeit, indem sie ihr eigenes Verhalten am Verhalten anderer orientieren. Je mehr solche sozialen Normen allerdings von außen aufgenötigt werden, umso weniger können diese Handlungspotenziale aktiviert werden. Um wirklich ins Handeln zu kommen, braucht es eine intrinsische Motivation, einen Prozess der Selbstüberzeugung. Dies gelingt am besten durch freiwillige und spielerische Angebote zum Mitdenken und Mitmachen. Anders gesagt: Das Engagement für den Klimaschutz kommt erst dann richtig ins Rollen, wenn es (auch) Spaß macht.
Damit rücken erneut die Potenziale der Gamification ins Visier – als „vielversprechender Weg, um den Klimawandel zu verhindern“. Während die bloße Konfrontation mit der Schwere des Weltuntergangs meist nur Ohnmachtsgefühle erzeugt, helfen spielerische Strategien, psychische Verdrängungsmechanismen zu überwinden und individuelle Handlungen in soziale Räume zu überführen. Spiele fördern nicht nur das ökologische Denken, sondern motivieren auch zum Handeln. Die Erkenntnis, dass ökologische Spiele wirksame Instrumente zur Förderung von umweltfreundlichem Verhalten sind, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer mehr gefestigt. Einige Beispiele:
- Collapsus – Energy Risk Conspiracy (2010) versetzt Spielende in die Rolle verschiedener Charaktere mit je individuellen Überzeugungen und Verhaltensweisen, die mit den Auswirkungen der Energiewende konfrontiert werden.
- Reality Drop (2012) motiviert als Teil von Al Gores „Climate Reality Project“ zum konkreten Engagement gegen die Leugnung des Klimawandels.
- Imagine Earth (2014) macht als Aufbau-Strategiespiel die Themen Klimaschutz und Klimakrise anhand der Besiedelung neuer Planeten realistisch erlebbar.
- Koda Quest (2015) ermuntert Kinder zu umweltfreundlichem Verhalten: Ein virtuelles Eisbärbaby gelangt nur dann auf höhere Spiellevel, wenn die Eltern bestätigen, dass die Kids auch im realen Leben Müll recyceln und Energie sparen.
- Eco (2018) ermöglicht die Erschaffung von Zivilisationen auf Basis begrenzter ökosystemischer Ressourcen.
- Plasticity (2019) macht als virtuelles Recycling-Management die konkreten Effekte des Recyclings auf die Umwelt sichtbar.
- Mission 1,5 (2020) ist ein Videospiel des United Nations Development Programme, das Lösungen für Klimaprobleme bewertet und die im Spiel gesammelten Informationen an Regierungen zur Verbesserung der nationalen Klimabemühungen weitergibt.
- The Climate Game (2022) ist ein frei zugängliches Online-Spiel der Financial Times, bei dem Spielende als globale(r) Minister(in) für zukünftige Generationen die Welt bis 2050 klimaneutral machen sollen.
Auch Unternehmen setzen zunehmend auf die Kraft des Spielerischen. So fördert die Recyclebank als zertifizierte B Corporation Recycling und Umweltbewusstsein durch Belohnungsprogramme. Das US-Unternehmen Opower, inzwischen Teil von Oracle, nutzte gezielt das Element des sozialen Wettbewerbs: Der Vergleich des eigenen Energieverbrauchs mit dem der Nachbarschaft sparte bereits 2016 zwei Terawattstunden Strom ein.
Das Spektrum der grünen Gamifizierung reicht von simplen Tools wie dem Mülleimer TetraBIN, der Einwürfe mit einer Tetris-Lightshow belohnt, bis zu komplexen Planspielen wie plenergy, entwickelt von der Klimaschutzagentur Hannover: Schülerinnen und Schüler ab der neunten Klasse spielen drei Tage lang kommunale Entscheidungsprozesse nach und entwickeln dabei selbst Ideen für die lokale Energiewende, die sie mit Lokalpolitikerinnen und -politikern verhandeln und mit örtlichen Initiativen umsetzen können. So werden nicht nur frische Ideen für die Energiewende vor Ort generiert, sondern auch neue Netzwerke gegründet.
Die Entdeckung der Leichtigkeit
Auch Apps sind ein mächtiges Tool, um umweltbewusstes Handeln spielerisch erfahrbar zu machen. So bietet die App CitiCA Einwohnerinnen und Einwohnern der finnischen Stadt Lahti ein CO2-Trading-System: Wer umweltfreundliche Verkehrsmittel nutzt, wird mit Credits belohnt, die gegen Rabatte eingetauscht werden können. Die App Changers CO2 fit setzt dagegen auf die konstruktive Kraft des Wettbewerbs: Wer Luft- und Lärmbelastung vermeidet, erhält virtuelle „Klima-Taler“, die für Baumpflanzungen oder soziale Projekte eingesetzt werden können. Auch Unternehmen wie die Deutsche Bahn oder Danone nutzen die App bereits.
Alle Greentertainment-Projekte und -Initiativen machen deutlich: Die Mechanismen des Entertainments helfen, ein breites Publikum für den Kampf gegen den Klimawandel zu motivieren. Auch hier erweist sich die Kraft der Unterhaltung, insbesondere in gamifizierter Form, als ein echter Hidden Champion: indem sie „schwere“ Themen auf „leichte“ Weise zugänglich und anschlussfähig macht. Das ist die große Lektion des Valuetainments: Soziales und ökologisches Engagement funktioniert dann am besten, wenn es nicht nur von schlechtem Gewissen angetrieben wird, sondern auch von Spaß.