Wie Entertainment Klima und Welt retten kann

Das Entertainment der Zukunft hat gesellschaftliche und planetare Relevanz. Die Kräfte der Unterhaltung und des Spiels werden zu zentralen Hebeln für die ökosoziale Transformation, wie Christian Schuldt am Beispiel Klimakrise aufzeigt. – Ein Auszug aus der Studie „Valuetainment – Die transformative Kraft der Unterhaltung“.

Der Trend zur Allround-Entertainisierung, insbesondere mit den Mitteln der Digitalisierung, hat viele problematische Aspekte der gegenwärtigen Gesellschaft verstärkt – von Mediensucht und Eskapismus bis zu Populismus und Polarisierung. Zugleich aber hat sich in den vergangenen Jahren auch eine gänzlich andere Welt der Unterhaltung etabliert, die sich stark an sinnhaften Werten wie Humanität, Solidarität, Diversität und Nachhaltigkeit orientiert. Als Treiber fungieren dabei die jüngsten Generationen. Mit ihnen wächst ein neues, kritisches Publikum heran, das neue Verbindlichkeiten einfordert – auch im Entertainment.

Die Unterhaltung von morgen zielt deshalb nicht mehr primär auf die Maximierung der Nutzungszeit, sondern auf die Maximierung des gesellschaftlichen Impacts. Dieses Valuetainment ist ein mächtiger Treiber für Achtsamkeit und Aktivismus – und damit auch ein wichtiger Hebel für die Lösung der großen sozialen und planetaren Herausforderungen unserer Zeit, wie etwa die Klimakrise.

Greentertainment: Entertainers for Future

Von besonderer Bedeutung ist das Valuetainment im Kontext der größten Herausforderung der Menschheit im 21. Jahrhundert: der Klimakrise. Dabei darf zunächst nicht vergessen werden, dass die Unterhaltungsindustrie selbst ein großer Ressourcenverbraucher und CO2-Emitteur ist. Das verdeutlicht schon der Streaming-Boom, der erweiterte Server-Infrastrukturen und damit auch einen stark erhöhten Ressourcenverbrauch und Kohlendioxidausstoß bedeutet. 2021 war das Streaming für 80 Prozent des weltweiten Datenumsatzes im Internet verantwortlich – mit 187 Exabyte lag er viermal so viel wie noch 2016.

Zugleich wächst aber auch im Entertainment-Sektor das Bewusstsein für ökologische Nachhaltigkeit. Wie Hightech dabei helfen kann, zeigt zum Beispiel die StageCraft-Technologie bei Filmproduktionen: Die Echtzeit-Projektion virtueller Hintergründe auf riesige LED-Bildschirme macht Greenscreens, Kulissenbauten und Set-Umzüge großenteils überflüssig. Beim Dreh der jüngsten Staffel von „Mandalorian“ (Disney+) konnte auf diese Weise die Hälfte der Serie an nur einem StageCraft gedreht werden – eine Ersparnis von 30 Tonnen Kohlendioxid.

Besonders deutlich zeigt sich die grünere Ausrichtung des Entertainments im Segment der Live-Events. Viele Veranstaltungen laden ganz praktisch zum gemeinsamen Weiterdenken und -handeln ein. So holte etwa das Sziget-Rockfestival in Budapest nicht nur die berühmte Primatenforscherin und Umweltaktivistin Jane Goodall auf die Hauptbühne, sondern belohnt Nachhaltigkeit auch mittels Gamification: Wer beim Duschen Wasser spart, erhält eine „Climate Heroes“-Auszeichnung. Das Wacken Open Air will Nachhaltigkeit nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip umsetzen, und verschiedene Festivals widmen sich auch inhaltlich der sozial-ökologischen Wende, vom Climate Fiction Festival oder dem Ocean Festival (beide Berlin) bis zum 1,5-Grad-Festival (Brandenburg) oder dem Umundu-Festival (Dresden).

Zukunft des Entertainments: 4 Potenziale

Die Zukunft des Entertainments: 4 Potenziale

Entertainment bedeutet in Zukunft mehr als „nur“ Unterhaltung: Es ist mächtiger Treiber und Hebel für die Lösung sozialer und planetarer Herausforderungen.

Das Anliegen, Live-Konzerte und Tourneen ökologischer zu auszurichten, verfolgt die in Deutschland gegründete Green Music Initiative bereits seit 2009. Und auch einzelne Akteurinnen und Akteure setzen Zeichen. So beauftragte die Band Massive Attack bei der University of Manchester eine Studie für klimafreundlichere Live-Tourneen, basierend auf der Analyse des eigenen ökologischen Fußabdrucks, Coldplay planen eine klimaneutrale Welttournee, und auch das Berlin Show Orchestra verspricht, „100 % klimaneutral“ zu sein.

Das Klimaparadoxon: Fakten sind nicht genug

Große Wirkkraft auf die Nachhaltigkeitsbewegung übt auch das neue Genre der kritischen Dokumentarfilme aus, die neben zivilgesellschaftlichem Engagement auch ökologisch nachhaltiges Verhalten fördern können. Neben Klassikern wie Al Gores „Eine unbequeme Wahrheit“ (2004) oder Leonardo DiCaprios „Before the Flood“ (2016) widmen sich zahlreiche Klima-Dokus ökologischen Spezialproblematiken:

  • „Darwins Nightmare“ (2004) thematisiert die Zerstörung lokaler Fischkulturen.
  • „We Feed the World“ (2005) beleuchtet die Machenschaften globaler Lebensmittelkonzerne.
  • „Food Inc“ (2008) zeigt die Auswirkungen der Landwirtschaftsindustrie auf das Klima.
  • „Plastic Planet“ (2009) und „A Plastic Ocean“ (2016) decken die fatalen Folgen des Plastikwahns auf.
  • „More Than Honey“ (2012) macht auf das Bienensterben aufmerksam.
  • „Cowspiracy“ (2014) und „Seapiracy“ (2021) offenbaren die klimaschädlichen Effekte der industriellen Vieh- und Fischzucht.
  • „Hope for All“ (2016) erklärt, warum der Konsum tierischer Lebensmittel ein Klimakiller ist.
  • „The True Cost“ (2015) analysiert die ökologischen Abgründe der Modeindustrie.
  • „The Green Lie“ (2018) entlarvt die Greenwashing-Kultur.

Spielfilme wie „Tomorrow“ (2015) oder „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ (2017) eröffnen zugleich positive Perspektiven und mögliche Lösungswege. Und auch das optimistische Science-Fiction-Subgenre des Solarpunk zeigt Utopien einer gelingenden ökologischen Zivilisation auf.

Allerdings stehen selbst dezidiert konstruktiv angelegte Greentertainment-Formate vor der Hürde des „psychologischen Klimaparadoxons“: Je mehr klimawissenschaftliche Fakten Menschen zu hören bekommen, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie selbst etwas unternehmen. Dies ist auch eine Botschaft des Netflix-Welterfolges „Don’t Look Up“ (2021), einer Dark Comedy über die Unfähigkeit der Menschheit, angesichts einer existenziellen Bedrohung auf die Wissenschaft zu hören.

Damit stößt selbst die gezielte Dekonstruktion tradierter Denkmuster durch „narrative Elemente“ an Grenzen. Immer mehr wächst die Erkenntnis, dass selbst die entertainisierte Vermittlung von Fakten nicht ausreicht, um ein klimafreundlicheres Verhalten in großem Maßstab zu bewirken. Ins Zentrum des Greentertainments rückt deshalb der handelnde Mensch.

Vom Problematisieren zum Handeln

Menschen entwickeln Handlungsfähigkeit, indem sie ihr eigenes Verhalten am Verhalten anderer orientieren. Je mehr solche sozialen Normen allerdings von außen aufgenötigt werden, umso weniger können diese Handlungspotenziale aktiviert werden. Um wirklich ins Handeln zu kommen, braucht es eine intrinsische Motivation, einen Prozess der Selbstüberzeugung. Dies gelingt am besten durch freiwillige und spielerische Angebote zum Mitdenken und Mitmachen. Anders gesagt: Das Engagement für den Klimaschutz kommt erst dann richtig ins Rollen, wenn es (auch) Spaß macht.

Damit rücken erneut die Potenziale der Gamification ins Visier – als „vielversprechender Weg, um den Klimawandel zu verhindern“. Während die bloße Konfrontation mit der Schwere des Weltuntergangs meist nur Ohnmachtsgefühle erzeugt, helfen spielerische Strategien, psychische Verdrängungsmechanismen zu überwinden und individuelle Handlungen in soziale Räume zu überführen. Spiele fördern nicht nur das ökologische Denken, sondern motivieren auch zum Handeln. Die Erkenntnis, dass ökologische Spiele wirksame Instrumente zur Förderung von umweltfreundlichem Verhalten sind, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer mehr gefestigt. Einige Beispiele:

  • Collapsus – Energy Risk Conspiracy (2010) versetzt Spielende in die Rolle verschiedener Charaktere mit je individuellen Überzeugungen und Verhaltensweisen, die mit den Auswirkungen der Energiewende konfrontiert werden.
  • Reality Drop (2012) motiviert als Teil von Al Gores „Climate Reality Project“ zum konkreten Engagement gegen die Leugnung des Klimawandels.
  • Imagine Earth (2014) macht als Aufbau-Strategiespiel die Themen Klimaschutz und Klimakrise anhand der Besiedelung neuer Planeten realistisch erlebbar.
  • Koda Quest (2015) ermuntert Kinder zu umweltfreundlichem Verhalten: Ein virtuelles Eisbärbaby gelangt nur dann auf höhere Spiellevel, wenn die Eltern bestätigen, dass die Kids auch im realen Leben Müll recyceln und Energie sparen.
  • Eco (2018) ermöglicht die Erschaffung von Zivilisationen auf Basis begrenzter ökosystemischer Ressourcen.
  • Plasticity (2019) macht als virtuelles Recycling-Management die konkreten Effekte des Recyclings auf die Umwelt sichtbar.
  • Mission 1,5 (2020) ist ein Videospiel des United Nations Development Programme, das Lösungen für Klimaprobleme bewertet und die im Spiel gesammelten Informationen an Regierungen zur Verbesserung der nationalen Klimabemühungen weitergibt.
  • The Climate Game (2022) ist ein frei zugängliches Online-Spiel der Financial Times, bei dem Spielende als globale(r) Minister(in) für zukünftige Generationen die Welt bis 2050 klimaneutral machen sollen.

Auch Unternehmen setzen zunehmend auf die Kraft des Spielerischen. So fördert die Recyclebank als zertifizierte B Corporation Recycling und Umweltbewusstsein durch Belohnungsprogramme. Das US-Unternehmen Opower, inzwischen Teil von Oracle, nutzte gezielt das Element des sozialen Wettbewerbs: Der Vergleich des eigenen Energieverbrauchs mit dem der Nachbarschaft sparte bereits 2016 zwei Terawattstunden Strom ein.

Das Spektrum der grünen Gamifizierung reicht von simplen Tools wie dem Mülleimer TetraBIN, der Einwürfe mit einer Tetris-Lightshow belohnt, bis zu komplexen Planspielen wie plenergy, entwickelt von der Klimaschutzagentur Hannover: Schülerinnen und Schüler ab der neunten Klasse spielen drei Tage lang kommunale Entscheidungsprozesse nach und entwickeln dabei selbst Ideen für die lokale Energiewende, die sie mit Lokalpolitikerinnen und -politikern verhandeln und mit örtlichen Initiativen umsetzen können. So werden nicht nur frische Ideen für die Energiewende vor Ort generiert, sondern auch neue Netzwerke gegründet.

Die Entdeckung der Leichtigkeit

Auch Apps sind ein mächtiges Tool, um umweltbewusstes Handeln spielerisch erfahrbar zu machen. So bietet die App CitiCA Einwohnerinnen und Einwohnern der finnischen Stadt Lahti ein CO2-Trading-System: Wer umweltfreundliche Verkehrsmittel nutzt, wird mit Credits belohnt, die gegen Rabatte eingetauscht werden können. Die App Changers CO2 fit setzt dagegen auf die konstruktive Kraft des Wettbewerbs: Wer Luft- und Lärmbelastung vermeidet, erhält virtuelle „Klima-Taler“, die für Baumpflanzungen oder soziale Projekte eingesetzt werden können. Auch Unternehmen wie die Deutsche Bahn oder Danone nutzen die App bereits.

Alle Greentertainment-Projekte und -Initiativen machen deutlich: Die Mechanismen des Entertainments helfen, ein breites Publikum für den Kampf gegen den Klimawandel zu motivieren. Auch hier erweist sich die Kraft der Unterhaltung, insbesondere in gamifizierter Form, als ein echter Hidden Champion: indem sie „schwere“ Themen auf „leichte“ Weise zugänglich und anschlussfähig macht. Das ist die große Lektion des Valuetainments: Soziales und ökologisches Engagement funktioniert dann am besten, wenn es nicht nur von schlechtem Gewissen angetrieben wird, sondern auch von Spaß.


Gestalten Sie mit uns die Zukunft!

Consulting

Consulting

Arbeiten Sie mit uns an den wichtigsten Handlungsfeldern, die über den künftigen Erfolg Ihrer Organisation entscheiden. Dafür bieten wir Beratung, Lösungen und umfassende Journeys.

Keynotes

Keynotes

Die Keynote Speaker des Zukunftsinstituts liefern mit ihren Analysen und Vorträgen faszinierende Einblicke in die Wirtschaft und Gesellschaft von morgen.

Auftragsstudien

Auftragsstudien

Lassen Sie sich vom Zukunftsinstitut eine individuelle Studie zu den für Sie wirklich relevanten Trends und Megatrends erstellen und gehen Sie so tief hinein in die Zukunft Ihres Unternehmens.