Achtsamkeit: Die Kraft der Gegenwart

In hochvernetzten Zeiten wird es wichtiger, den Blick auf das Hier und Jetzt zu richten und den eigenen Akku aufzuladen. Das gilt auch – und insbesondere – in der Businesswelt.

Von Lilian N. Güntsche (11/2016)

Unsplash / Hannah Morgan / CC0

Ich möchte Ihnen von einer Superkraft erzählen: Die Kraft der Gegenwart, auch bekannt als "Achtsamkeit". Achtsamkeit richtet den Fokus auf das Jetzt – urteilsfrei und bewusst wahrnehmend. Warum ist das gerade heute so wichtig?

In unserer digitalisierten Welt, die durch Datenverkehr und Geschwindigkeit geprägt ist, wächst zugleich das Bedürfnis nach Menschlichkeit und Beständigkeit. In Zeiten der Informationsüberflutung und der beschleunigten Entwicklung neuer Technologien werden vor allem vier Fähigkeiten erfolgsentscheidend:

  • Ruhe bewahren
  • Fokus setzen
  • Kreativität pflegen
  • Emotionale Intelligenz fördern

Ich bin keine Esoterikerin oder ein "Bessere-Welt-Coach", sondern eine Geschäftsfrau, ein "Mindful Workaholic". Seit mehr als zehn Jahren unterstütze ich führende Unternehmen bei der Entwicklung ihrer digitalen Strategien und bei der Realisierung von Projekten im Kontext der digitalen Transformation. Dabei sehe ich, dass es gerade im Bereich der Technologie oft um die neuesten Trends geht. Der Blick ist auf das Morgen gerichtet, auf virtuelle Parallelwelten – während Momente des bewussten Nichtstuns und Wahrnehmens immer seltener werden. Irgend etwas anderes scheint immer wichtiger.

Wir leben in einem Zeitalter der Ablenkung. Die Momente, in denen der eigene Akku aufgeladen wird und nicht nur der des Smartphones, sind selten geworden. Lunch-Breaks werden mit dem Handy am Ohr oder am Computer tippend verbracht. Schnell ein Brötchen zwischen Tür und Angel, um etwas Zeit zu sparen. Aber ist die Zeit nicht besser angelegt, wenn Sie sich stärken und einmal Ihre eigenen Akkus aufladen?

Tun Sie sich einen Gefallen und legen Sie das Smartphone weg beim Mittagessen, konzentrieren Sie sich bewusst auf das Essen und aktivieren Sie dabei Ihre fünf Sinne. Machen Sie einen kleinen Spaziergang mit bewussten Schritten an der frischen Luft und führen Sie echte Gespräche mit Arbeitskollegen. Der Beschluss, achtsam zu sein, bedeutet: den Fokus zu bewahren und eine gesunde Mischung aus real und virtuell, eine Balance zwischen Mensch und Maschine zu finden.

Als Digital-Expertin setzen meine Kollegen und ich uns dafür ein, Achtsamkeit in der vernetzten Gesellschaft und in Unternehmen zu kultivieren, etwa mit Achtsamkeits-Workshops, die praktische Übungen, offene Diskussionen und die Vermittlung von Hintergrundwissen umfassen. Wichtig sind dabei die Themen achtsames Zuhören und empathische Führung. Ein großer Teil der Arbeit besteht aber auch darin, Achtsamkeit von Vorurteilen zu befreien und greifbarer zu machen. Denn leider wird Achtsamkeit immer noch viel zu oft mit Räucherstäbchen anzünden und "Omm"-Summen verbunden. Doch Achtsamkeit ist weit mehr als das. Es ist ein Mindset, das in unsere Zeit gehört.

In der Businesswelt ist Achtsamkeit bereits angekommen, insbesondere in den Führungsetagen. In den USA haben schon viele Unternehmen spezielle "Mindfulness-Programme" installiert. Denn Achtsamkeit steigert die Stressresistenz, Kreativität, Gesundheit und Empathie. Auch die Mitarbeiterzufriedenheit wird positiv beeinflusst, weil emotionale Intelligenz in der Führung zwischenmenschliche Beziehungen verbessert: Menschen fühlen sich verstanden und sind motivierter – eine innere Identifikation, die unbezahlbar ist.

In Gesprächen mit Geschäftskontakten höre ich oft, dass sie gern Achtsamkeit praktizieren möchten, dafür jedoch keine Zeit hätten. Es stünde aber auf ihrer To-do-Liste. Auch dies ist eines der Vorurteile, die es zu revidieren gilt. Denn für Achtsamkeit brauchen Sie nicht mehr Zeit, im Gegenteil: Achtsamkeit schenkt Ihnen Zeit.

Über die Autorin

Lilian N. Güntsche ist Gründerin von The Dignified Self und seit mehr als zehn Jahren in der Marketing- und Kommunikationsbranche aktiv. Mit ihrem Unternehmen Güntsche Concepts unterstützt die Medienökonomin Organisationen in den Bereichen digitale Strategie, Projektsteuerung und Marketing. Im Herbst 2016 erschien ihr Buch "Achtsamkeit in digitalen Zeiten".

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