Warum das Maker-Movement mehr als eine Graswurzelbewegung ist – und den heutigen Kapitalismus schon bald „alt“ aussehen lassen wird.
Von Niels Boeing (09/2015)
Warum das Maker-Movement mehr als eine Graswurzelbewegung ist – und den heutigen Kapitalismus schon bald „alt“ aussehen lassen wird.
Von Niels Boeing (09/2015)
Als ich vor knapp fünf Jahren dem Chefredakteur eines Technikmagazins ein Interview mit Neil Gershenfeld anbot - der Galionsfigur der mittlerweile über 400 Fab Labs in aller Welt - winkte der ab. Die ganze Sache mit "Makers", 3D-Druck und Open Hardware sei doch eine Graswurzelbewegung. Unterhalb der Relevanzschwelle. Erst vor einiger Zeit gab er zu, dass er sich geirrt hatte. Denn die Maker-Bewegung gewinnt jeden Monat an Zulauf. Aus gutem Grund: Die Vorstellung, auch anspruchsvolle Dinge bis hin zu Mobiltelefonen selber herstellen zu können, fasziniert immer mehr Menschen.
In den vergangenen zehn Jahren ist ein ganzes Ensemble an Maschinen für eine technisch versierte Allgemeinheit zugänglich geworden, die lange Zeit Fabriken mit reichlich Kapitaleinsatz vorbehalten waren: Rapid Prototyper, kurz: 3D-Drucker, gibt es ebenso wie Laserschneider, CNC-Fräsen, Löt-Öfen, Leiterbahnendrucker oder Tiefziehmaschinen als Low-Cost-Modelle. Oder gleich als Open Hardware, deren Konstruktionsdateien und Steuersoftware frei zugänglich sind. An öffentlichen Orten wie Makerspaces oder Fab Labs installiert, sind sie der Anfang einer neuen Infrastruktur des Herstellens. Eine Art DIY auf dem Stand der Technik des frühen 21. Jahrhunderts, das mehr kann als klassisches Heimwerken und anderes will als klassische Industrieproduktion.
Drei Gründe legen nahe, dass es sich nicht um eine Modeerscheinung handelt:
Je mehr Menschen technische Dinge ausprobieren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die ein oder andere Erfindung entsteht, die zur Innovation reift. Was mit GNU-Linux zunächst nur für Software begann, wiederholt sich nun mit Hardware und physischen Produkten. Allianzen großer IT-Konzerne wie die Open Power Foundation oder das Open Compute Project zeigen, dass dieser Trend auch die herkömmliche Industrie erfassen wird.
Das Lamento aus Industrie und Politik, MINT-Fächer seien unpopulär, hat einen wahren Kern. Sie sind unpopulär, weil ihnen in Schule und Betrieb der Pop-Faktor fehlt, der New Economy und Web 2.0 seit Mitte der 90er scharenweise Nachwuchs zutrieb. Die Maker-Bewegung hat diesen Pop-Faktor zu bieten. Mach dein eigenes Ding, druck deine Idee aus. Wer die Begeisterung von Jugendlichen an den Maschinen der Maker-Bewegung erlebt hat, zweifelt nicht daran, dass sie in den kommenden Jahren noch deutlich größer werden wird.
Ernst Friedrich Schumacher mahnte diese schon in "Small is Beautiful" an. Realisieren lässt sie sich erst jetzt durch die digitale Wende in der Produktionstechnik. Zwar wird die Massenproduktion auf absehbare Zeit nicht verschwinden. Aber die Maker-Bewegung bringt Know-how und Produktion zurück in die Städte, die dabei nur gewinnen können. Kurze Wege, kleine Stückzahlen, maßgeschneiderte Produkte sowie das Zusammenspiel zwischen Produzent und Konsument, die mehr und mehr ineinander aufgehen. Dass etwa im 3D-Drucker derzeit auch gerne Gimmicks entstehen, die schnell einstauben und dann im Müll landen – geschenkt. Der Anspruch sinnvoller und umweltverträglicher Produkte, die auch noch in einem sozialen Umfeld kooperativen Denkens entstehen, ist jeder Ressourcenverschwendung entgegengesetzt.
Wichtig ist, die Maker-Bewegung nicht auf einzelne Maschinen wie den 3D-Drucker zu reduzieren oder in ihr nur das Biotop der nächsten Gründerwelle zu sehen. Sie bereitet heute schon einen gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel vor, der den aktuellen Kapitalismus in zwei, drei Jahrzehnten "alt" aussehen lassen wird.
Niels Boeing ist Diplom-Physiker, Technikjournalist (u.a. “ZEIT Wissen”, “Technology Review”) und Buchautor. Sein jüngstes Buch "Von Wegen. Überlegungen zur freien Stadt der Zukunft" ist am 1. September erschienen. Boeing ist Mitgründer des Fab Lab Fabulous St. Pauli e.V.