Auf lange Sicht gehört die Zukunft den erneuerbaren Energien. Für die Energie-Prosumenten der Zukunft zählen neue Argumente
Auf dem Weg ins postfossile Zeitalter
Das Energiekonzept der alten Industriegesellschaft funktioniert nicht mehr. Steigende Ölpreise, Klimawandel, massives Wachstum vieler Schwellenländer, anhaltend hoher Bedarf westlicher Staaten – um den Energiehunger der Welt zu stillen, müssen neue Lösungen gefunden werden. Dazu werden wir zwar auch in den nächsten Jahrzehnten nicht völlig auf fossile Brennstoffe verzichten können. Die Treiber für Fortschritt sind sie aber längst nicht mehr. Ebenso wenig die Technologien, Unternehmen und Geschäftsmodelle, die sich auf sie gründen.
Das gilt auch für die Kernkraft. E.ON beispielsweise kündigte jüngst an, das bayerische Atomkraftwerk Grafenrheinfeld bereits im Mai 2015 stillzulegen – früher als geplant. „Hintergrund für die Entscheidung ist die mangelnde Wirtschaftlichkeit der Anlage“, hieß es aus dem Unternehmen, das damit selbst die Energiewende beschleunigt. Derweil nimmt der Anteil erneuerbarer Energien am Konzernergebnis von Deutschlands größtem Energieriesen stetig zu. Im ersten Quartal 2014 waren es fast 600 Millionen Euro, 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Auch EnBW schert angesichts sinkender Gewinne aus der konventionellen Stromerzeugung aus und erschließt neue Geschäftsfelder. Die Nummer drei im deutschen Energiemarkt wird künftig verstärkt digitale Dienstleistungen Mit Hochdruck wird der Grundstein für eine innovative Energieversorgung gelegt für Privathaushalte anbieten und Unternehmen beim Energiemanagement unterstützen.
Wohin man auch schaut: Mit Hochdruck wird der Grundstein für eine innovative Energieversorgung gelegt – für die Ära nach dem Atom- und Ölzeitalter. Ein massiver Verdrängungswettbewerb zugunsten alternativer Konzepte hat eingesetzt. Der Anteil von Biomasse, Windenergie, Fotovoltaik, Wasserkraft und Geothermie an der Energieerzeugung steigt ununterbrochen.
Erneuerbare Energien werden zum Mega-Markt
Rund um den Globus fließen inzwischen die Milliarden-Investitionen in Technologien zur Erzeugung sauberen Stroms, in die energetische Sanierung, in grüne Städte und eine völlig neue, gigantische Infrastruktur von Elektro- und Wasserstofftankstellen bis hin zu dezentralen Kraftwerken und Smart Grids mit intelligenten Energiespeichern, in die Elektromobilität und in Gebäude, die mehr Energie erzeugen, als für ihren Betrieb und von den Nutzern benötigt wird. Allein im Bereich der umweltfreundlichen Energien und Energiespeicherung sowie für Energieeffizienz werden sich die weltweiten Umsätze laut Berechnungen der Roland Berger Strategy Consultants bis 2025 auf rund 2,3 Billionen etwa verdoppeln und in vielen Ländern traditionelle Industriezweige überholen (BMU 2012).
Die globalen Neuinvestitionen in erneuerbare Energien betrugen 2013 über 214 Milliarden Dollar, seit 2004 sind sie im Schnitt jährlich um 21 Prozent gewachsen (Frankfurt School-UNEP Centre/BNEF 2014). Der überwiegende Teil davon fließt in die Solar- und Windenergie. Europa und die USA haben die längste Zeit die größten Inzwischen wird die grüne Wende auch in Asien und im Nahen Osten vollzogen finanziellen Anstrengungen auf diesem Gebiet unternommen. Inzwischen wird die grüne Wende auch in Asien und im Nahen Osten vollzogen. China schließt mit großen Schritten an die Weltmarktspitze für Umwelttechnologien auf. 2013 kamen rund 26 Prozent aller Investitionen bei den erneuerbaren Energien aus dem Reich der Mitte. Und auch die Länder des Nahen Ostens und Afrikas legen mit hohen Wachstumsraten bei den Investitionen in regenerative Energien kräftig zu. Weltweit arbeiten heute über 5,7 Millionen Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien, gut 1,7 Millionen davon in Europa.
Neuer Energiemix
Der globale Energiebedarf wird weiter steigen. Die Frage, wie dieser Bedarf unter Berücksichtigung von Umwelt- und Klimaschutz künftig gedeckt werden kann, ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Dass der Energiemix schon jetzt vielfältiger wird, zeigt sich daran, dass die größten Zuwächse bei den erneuerbaren Energien zu verzeichnen sind. Machen sie heute laut Energy Information Administration (EIA) erst knapp elf Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs aus, wird der Anteil der „Renewables“ bis 2040 auf gut 15 Prozent steigen – in den europäischen OECD-Ländern sogar auf 20 Prozent (EIA 2013). Dabei sind Biokraftstoffe noch nicht einmal enthalten. Die regenerativen Energien sind heute bereits einer der dynamischsten Zukunftsmärkte. Bei entsprechender Weiter- und Neuentwicklung von Umwelttechnologien ist es gut möglich, dass die Sprünge weitaus größer ausfallen, als heute prognostiziert wird.
In der EU ist man beim Ausbau regenerativer Quellen ohnehin vielerorts weiter, als man gemeinhin denkt. Viele Länder werden ihre selbst gesteckten Ziele für das Jahr 2020 nicht nur erreichen, sondern sogar übertreffen. Mit einem Anteil von gut 12 Prozent am gesamten Energieverbrauch ist Deutschland derzeit zwar nur europäisches Mittelmaß, beim Stromverbrauch aber wird immerhin schon rund ein Viertel durch erneuerbare Energien gedeckt. Im Jahr 2020 werden es nach Berechnungen von Prognos, EWI und GWS bereits 36 Prozent sein. Die durch den Atomausstieg wegfallenden Kernkraftkapazitäten können damit vollständig ersetzt werden.
An guten Tagen liefern Wind- und Solaranlagen in Deutschland Analysen des IWR zufolge heute schon mehr als 50 Prozent der benötigten Leistung, speisen also mehr Strom ein als konventionelle Kraftwerke. Unflexible Kohle- und Atomkraftwerke passen immer weniger in den Energiemix der Zukunft Um Überlastungen der Netze zu verhindern, müssen Kohle- und Atomkraftwerke immer öfter abgeschaltet oder gedrosselt werden. In Deutschland umfassten diese sogenannten Redispatch-Maßnahmen 2013 laut Bundesnetzagentur fast 8000 Stunden. Die unflexiblen Kohle- und Atomkraftwerke passen ganz offensichtlich immer weniger in den Energiemix der Zukunft.
Die installierten Fotovoltaikkapazitäten sind in den letzten zehn Jahren um nahezu das Fünfzigfache gestiegen. Allein 2013 wurden rund um den Globus Sonnenkraftwerke mit 37 Gigawatt neu aufgestellt, wie die European Photovoltaic Industry Association (EPIA) berechnete. Das ist neuer Jahresrekord. Dass angesichts dieses gewaltigen Booms inzwischen bei den Branchenumsätzen und Gewinnen etwas Abkühlung eintritt, ist durchaus normal. Denn dass mit den Investitionskosten die Preise sinken, ist das Ergebnis technischen Fortschritts und eben auch der Grund des anhaltenden Erfolgs der Erneuerbaren. Gerade deshalb erleben nun auch die USA und China, die in puncto Klimaschutz kein gutes Image haben, einen enormen Wachstumsschub. Ebenso die Nuklearnation Japan.
Im Frühjahr 2014 nahm NRG Solar, eine Tochter des US-Energiekonzerns NRG, in Arizona den weltgrößten Solarpark Agua Caliente in Betrieb. Auf einer gigantischen Fläche von fast zehn Quadratkilometern liefern die Solarmodule eine Kapazität von 290 Megawatt, so viel wie ein kleines Kohlekraftwerk. Der eine Milliarde Dollar teure Solarpark liefert damit Energie, um den Bedarf von 225.000 Haushalten zu decken.
Ökostrom aus dem Plattenbau
Im Gelben Viertel, einem riesigen Plattenbau-Komplex in Berlin-Hellersdorf, betreibt der Ökostromanbieter LichtBlick das größte Mieter-Solarstromprojekt Deutschlands. Auf den Dächern von 50 Wohnblöcken, in denen rund 3000 Mietparteien leben, wurden Solarmodule installiert. Seit März 2014 werden 1000 Haushalte direkt mit dem lokal erzeugen „Zuhause- Strom“ versorgt. „Die Vermarktung von Ökostrom vor Ort ist das Zukunftsmodell der Energiewende“, ist Heiko von Tschischwitz, CEO von LichtBlick, überzeugt. Denn während Hausbesitzer schon lange vom Eigenstrom profitieren können, waren Mieter bisher nur Zuschauer und Zahler der Energiewende.
Ähnlich der Trend in der Windenergie: Seit dem Jahr 2000 wurden die globalen Kapazitäten um mehr als das Siebzehnfache ausgebaut. Die Zahl an Anlagen steigt rapide und sorgt dafür, dass europaweit inzwischen eine beachtliche Gesamtleistung von über 121 Gigawatt durch Windkraft erreicht wird – rund 34 Gigawatt davon in Deutschland (EWEA 2014). Im globalen Ranking landet die Bundesrepublik damit auf Platz drei, hinter China und den USA.
Neue Dimensionen in der Windkraft
Mittlerweile werden Windkraftanlagen der 7,5-Megawatt-Klasse gebaut, deren Größe vor Kurzem noch unvorstellbar erschien. Der Hersteller Enercon hat bereits 56 seiner weltweit leistungsstärksten Onshore-Windenergieanlagen vom Typ E-126 errichtet. Rund elf Millionen Euro teuer, überragen sie mit einer gewaltigen Höhe von 198 Metern übliche Windräder bei Weitem. Mit ihnen lassen sich jährlich bis zu 20 Millionen Kilo wattstunden Strom erzeugen, genug für den Bedarf einer Kleinstadt mit rund 7000 Haus halten. Doch damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Einige Hersteller entwerfen bereits 10-Megawatt-Anlagen. Rund 100 von ihnen könnten rechnerisch ein Kernkraftwerk ersetzen.
Neue Logik von Energie und Mobilität
Das Energiekonzept der Zukunft ist ohne Elektromobilität nicht denkbar. Elektroautos sind der Beginn einer anderen Logik von Energie und Mobilität. Hybridfahrzeuge liefern derzeit die Brückentechnologie beim Übergang ins Zeitalter postfossiler Mobilität. Der Weg dahin ist jedoch noch lang. Nach Prognosen des Center Automotive Research (CAR) wird die globale Produktion von Pkws mit alternativen Antrieben im Jahr 2015 erst bei 4,5 Millionen Fahrzeugen liegen. Danach aber geht es schneller voran: 2020 wird bereits mit einem Absatz von rund 24 Millionen gerechnet. Im Jahr 2025, wenn laut CAR auch erstmals eine nennenswerte Zahl von circa 300.000 Brennstoffzellenautos auf den Straßen rollt, wird der Markt rund 56 Millionen Pkws mit neuen Antriebsarten umfassen.
Die Ladeinfrastruktur für E-Autos wird zunehmend ausgebaut. In Deutschland kommen auf 14.270 konventionelle Tankstellen dem BDEW zufolge inzwischen rund 4500 öffentlich zugängliche Ladepunkte für Elektrofahrzeuge. In Österreich gibt es bereits deutlich mehr E-Tankstellen als konventionelle.
Elektromobilität wird für die Energiekonzerne nicht zuletzt zum lukrativen Wachstumsmarkt, weil der Ausbau der erneuerbaren Energien flexible Speicher erfordert. Vehicleto-Grid lautet daher die Zauberformel der Zukunft, die Akkus von E-Autos zu Stromspeichern macht.
Der springende Punkt: Stromspeicher
Das Problem mit Strom aus Sonne und Wind ist, dass er ungleichmäßig anfällt. Diese fluktuierende Energie in großen Mengen zu speichern, um bei Bedarf Schwankungen auszugleichen, ist eine der größten Herausforderungen. Daher setzen immer mehr Unternehmen große Anstrengungen daran, intelligente Zwischenspeicher zu entwickeln.
Wasserstoff als Stromlückenfüller: Der Kraftwerksprojektierer GP Joule und seine Tochterfirma H-Tec haben einen „Stromlückenfüller“ entwickelt. Wenn mehr Strom aus erneuerbaren Quellen produziert wird, als gerade benötigt wird, weil zum Beispiel der Wind besonders stark bläst, landet er nicht im überlasteten Netz, sondern wird mithilfe der PEM-Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt und so zwischengespeichert. Wirkungsgrad: Das Power-to-Gas-to-Power-Kombikraftwerk bis zu 75 Prozent. Kern der Anlage ist ein Elektrolyseur, der mit überschüssigem Strom Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff spaltet. Letzterer wird bei Bedarf dann zusammen mit Biogas aus einer Biogasanlage in einem Blockheizkraftwerk wieder verstromt. Vor zwei Jahren stellten die Unternehmen auf der Hannover Messe den ersten serienreifen PEM-Elektrolyseur vor. Jetzt wird das Modellprojekt für dieses Kombikraftwerk Power-to-Gas-to-Power realisiert. Derzeit werden zwölf solcher Elektrolyseure in Schleswig-Holstein installiert. Als Folgeprojekt ist ein Kombikraftwerk aus PEM-Elektrolyseuren im Megawattmaßstab und einem Biogas- Blockheizkraftwerk geplant. „Bis 2020 wollen wir eine Jahresproduktion von über zehn Megawatt Leistung erbringen – damit können mehr als 6000 Haushalte mit Strom versorgt werden“, so Ove Petersen, Geschäftsführer von GP Joule.
Dezentralisierung: Mehr Konkurrenz
Die Umstellung auf erneuerbare Energien führt dazu, dass wir uns langfristig von der heutigen Struktur der Energieversorgung verabschieden. Die Produktion liegt nicht mehr bei wenigen großen Konzernen, sondern wird durch viele kleine Erzeuger erreicht. Diese Dezentralisierung ist ein Paradigmenwechsel. Der Trend zum Prosumenten bestimmt unübersehbar auch den Energiemarkt: Konsumenten sind zugleich Produzenten. Aus Energieverbrauchern werden Erzeuger, die den Strom, den sie selbst nicht benötigen, im Gegenwert von zig Milliarden Euro in öffentliche Netze einspeisen.
Dass das den Konkurrenzdruck auf die etablierten Versorger erhöht, zeigt die Situation in Deutschland: Laut aktueller Marktanalyse von Trendresearch und der Universität Lüneburg waren bereits 2012 rund 43 Prozent der Ökostromerzeugung sogenannte Bürgerenergie. Sie stammt aus Anlagen von Einzeleigentümern, Bürgerenergiegesellschaften und Bürgerbeteiligungen. Die klassischen Energieversorger stellen nur 21 Prozent der erneuerbaren Energien bereit, der Rest entfällt auf institutionelle Investoren. Eine neue Klasse von Erzeugern – Bauern, Kooperativen und Banken – produziert viel mehr Ökostrom als die Konzerne. So hat sich etwa die Zahl der Energiegenossenschaften in Deutschland seit 2010 auf über 880 mehr als verdoppelt.
Smart Grid: Das Internet des Stroms
Dieser Strukturwandel erfordert die Entwicklung sogenannter Smart Technologies, um von einer zentralen Steuerung hin zu einem intelligenten dezentralen Versorgungssystem zu kommen. Denn zur besseren Integration dezentral erzeugter Energie ist der Ausbau von Smart Grids, also intelligenter Stromnetze, unvermeidlich. Entsprechend ist der Markt für Technologien rund um Smart Grids und Smart Metering von hohen Wachstumsraten gekennzeichnet. Allein in Europa werden einer Studie von GTM Research zufolge bis 2016 jährlich 6,8 Milliarden Euro im Smart-Grid-Markt umgesetzt. Die Smart Energy Demand Coalition prognostiziert gar Investitionen in Höhe von 120 Milliarden Euro bis 2030. Laut Goldman Sachs werden die Ausgaben für den Netzausbau, Informations- und Kommunikationstechnologien, Smart Meters und Stromspeicherkapazitäten bis 2040 auf 187 Milliarden Dollar steigen.
Smart City Wien
Inmitten des 22. Wiener Gemeindebezirks entsteht Aspern – die Seestadt Wiens, eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas. Bis 2030 soll das Areal zur intelligenten Stadt ausgebaut werden. Auf rund 240 Hektar werden Wohnungen für 20.000 Menschen und Büros für zusätzlich 20.000 Arbeitsplätze entstehen. Aspern, das zugleich ein Gewerbe-, Wissenschafts-, Forschungs- und Bildungsquartier sein soll, wird mit dezentral erzeugter Energie aus erneuerbaren Quellen versorgt und nutzt moderne Speichertechnologien. Es entwickelt sich ein fruchtbarer Wettbewerb vieler flexibler Firmen Der Stadtteil dient als lebendiges Labor, in dem Energieversorgung, Gebäudetechnik, intelligente Stromnetze sowie Informations- und Kommunikationstechnik optimal zusammenspielen. Die eigens gegründete und mit knapp 40 Millionen Euro ausgestattete Forschungsgesellschaft Aspern Smart City Research soll anhand der realen Infrastruktur ein integriertes Konzept für einen energieoptimierten Stadtteil entwickeln.
Ziel der Kooperation von Forschern, Gebäudetechnikern, Smart-Grid-Experten, Partnern örtlicher Versorger und Entwicklungsgesellschaften ist es, mehr Intelligenz ins Gesamtsystem zu bringen. Künftig werden Gebäudemanagementsysteme den Energieaustausch zwischen Häusern regeln und so den Energieverbrauch lokal optimieren. So können Gebäudebetreiber aktiv am Energiemarkt partizipieren. Durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die Datenauswertung sollen dann Fehler, ineffziente Nutzung und Energiesparpotenziale erkannt werden.
Als „Internet des Stroms“ wird das Smart Grid die Energienutzung, -produktion und -versorgung nachhaltig, effizient und bedarfsabhängig regulieren. Um die Stabilität eines solch komplexen Energie- und Netzmanagements zu gewährleisten, müssen Energie- und Telekommunikationsnetze systematisch miteinander gekoppelt werden. Das heißt, Stromerzeugung und -verbrauch sowie künftig auch seine Speicherung müssen digital vernetzt werden. Das bietet enorme Chancen für innovative Unternehmen auf einem Markt, auf dem die Karten neu gemischt werden. Der Markt öffnet sich immer weiter für einst branchenfremde Player. Es entwickelt sich ein fruchtbarer Wettbewerb vieler flexibler Firmen. Das Rennen werden diejenigen machen, denen es gelingt, Kunden die besten Preise zu bieten und ökologisch zu entlasten.
Smartes Energiemanagement
Für ein intelligentes Energie- und Netzmanagement ist das Smart Metering unerlässlich. Bis 2020 sollen 80 Prozent der privaten Haushalte in der EU mit solchen intelligenten Stromzählern ausgestattet sein. Doch das wird erst der Anfang sein. Denn Smart Meter zeigen Kunden künftig nicht nur den Energieverbrauch und die Nutzungszeit an. Sie werden zu Multi-Utility-Communication-Controllern, mit denen sich neben dem Strom- auch Wasser-, Gas- und Wärmeverbrauch erfassen und intelligent steuern lassen. Vor allem ermöglichen sie durch die Übertragung von Daten eine optimierte Energienutzung, die Bedarfsanpassung an die Erzeugung und damit variable Entgelte. Waschmaschinen etwa werden sich erst dann einschalten, wenn der Strompreis besonders günstig ist, da z.B. gerade viel Windenergie zur Verfügung steht.
Intelligentes Energiemanagement: Das Smart Grid muss künftig das schwankende Stromangebot mittels moderner Informations- und Kommunikationstechnologie mit dem Verbrauch in Einklang bringen. Ein internationales Konsortium schafft hierfür in dem mehrjährigen Forschungsprojekt Web2Energy die Grundlagen. Mehrere Hundert Stromkunden werden dazu mit Smart Metern ausgestattet. Neben vielen innovativen Anwendungen bieten die intelligenten Zähler Schnittstellen zur Verbrauchsvisualisierung, zu Funktionen der Gebäudeautomatisierung sowie des Energiemanagements. Den Stromkunden werden erstmals variable Tarife angeboten. Sie können so ihren Verbrauch entsprechend den Kosten steuern. Viele Kleinerzeuger können koordiniert werden, sodass eine planbare und bedarfsgerechte Erzeugerleistung Smart Meter bilden die Infrastruktur zur Einbeziehung der Bürger in die grüne Revolution möglich wird.
Die Verbindung neuer Kommunikationstechnologien mit neuen Energiesystemen bewirkt eine „dritte industrielle Revolution“, prognostiziert der Ökonom Jeremy Rifkin, Chef der Foundation on Economic Trends, in seinem gleichnamigen Buch. Smart Meter bilden die Infrastruktur zur Einbeziehung der Bürger in diese grüne Revolution. Auf sie wird es entscheidend ankommen, will man der Technik und erneuerbaren Energien zur breiten Marktdurchdringung verhelfen und Kunden Einsparungen und günstigere Preise ermöglichen.
Energieautarkie versus Vernetzung
Immer mehr Gemeinden können sich inzwischen im Strom- und/oder Wärmebereich zu 100 Prozent selbst versorgen – angefangen von Dörfern mit ein paar Hundert Einwohnern bis zu mittelgroßen Städten. „In Deutschland gibt es bereits weit über 500 solcher energieautarken Kommunen“, so Nils Boenigk, stellvertretender Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien, gegenüber dem Zukunftsinstitut. Tendenz steigend. In einigen Jahren werden es selbst große Metropolen schaffen, das Ziel einer „nachhaltigen Energieautonomie“ umzusetzen und ihre Bürger mit Strom aus erneuerbaren Quellen versorgen, irgendwann auch sämtliche Unternehmen.
Klimaneutrale Metropolen: Die Stadtwerke München (SWM) wollen bis 2025 so viel Ökostrom in eigenen Anlagen produzieren, wie die gesamte bayerische Millionenstadt verbraucht. Heute sind es bereits knapp 39 Prozent – deutlich mehr als alle rund 800 000 Münchner Haushalte, U- und Straßenbahnen benötigen. Bis 2025 investieren die SWM rund neun Milliarden Euro in die Ausbauoffensive und geben dabei Projekten in München und der Region den Vorrang. Doch weil sich dort allein nicht so viel erneuerbarer Strom erzeugen lässt, wie die Metropole benötigt, setzt man beim Bau neuer Anlagen auf weitere energetisch und wirtschaftlich geeignete Standorte in Deutschland und Europa.
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat jüngst in einer Machbarkeitsstudie nachgewiesen, dass selbst Berlin – trotz Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums – bis 2050 seine CO2-Emissionen so weit reduzieren kann, dass die Stadt Klimaneutralität erreicht. Die größten Potenziale bestehen in der Energieversorgung. Die Forscher prognostizieren, dass Berlin sich zu über 90 Prozent selbst mit Energie versorgen könnte und im Strombereich für einen Großteil Die Zukunft der Energieversorgung liegt in der regionalen und überregionalen Vernetzung des Jahres gar zum Energieexporteur werden kann.
Die Energieautarkie von Städten und Regionen wird also nur eine Übergangslösung zur Beschleunigung der Energiewende sein. Gerade der Ausbau des Smart Grid wird dazu beitragen, dass man langfristig verstärkt auf die Europäisierung des Strommarkts setzt und internationale Allianzen schließt. Mehr als in der Autarkie wird die Zukunft der Energieversorgung daher in der regionalen und überregionalen Vernetzung liegen.
Reverse Innovation: Neue Logik im Energiegeschäft
Energieversorger werden in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen künftig neue Anreize zum Energiesparen schaffen, um die Nachhaltigkeitsbilanz von Haushalten, Betrieben und technischen Anlagen zu optimieren, damit zu - gleich aber mehr Kunden gewinnen und hochprofitabel sein. Denn die Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsmechanismen werden sich deutlich wandeln. Auch das wird Teil der Energiewende sein: Die Logik des Energiegeschäfts kehrt sich zum Teil um. Die Devise wird in Zukunft nicht mehr lauten: größere Menge gleich größerer Umsatz. Im Gegenteil: Wer Kunden hilft, ihren Verbrauch zu senken, und es schafft, dass sie sich beim Thema Energie und Klimaschutz selbst keinerlei Gedanken mehr machen müssen, wird einen Wettbewerbsvorteil und größeres Kundenwachstum generieren.
In Zukunft werden nicht mehr diejenigen die günstigsten Preise bekommen, die möglichst viel verbrauchen und eine konstante Stromabnahme fordern. Stattdessen werden jenen Vorteile eingeräumt, die möglichst wenig verbrauchen oder mit einer flexiblen Stromabnahme aus fluktuierenden Quellen auskommen. Das liegt auf den ersten Blick konträr zu dem, was man heute für wirtschaftlich hält. Allerdings werden genau diese Anbieter vermehrt Kunden gewinnen, weil sie ihnen helfen, Kosten zu sparen. So wird es innovativen Unternehmen gelingen, ihren Kundenkreis systematisch zu erweitern und zugleich ihre Investitionen zu senken.
Langfristig wird der Preis nicht mehr das alleinige Kriterium für Konsumenten sein. Der Trend hin zu mehr Ökologie und Energieeffizienz schafft ein enormes Potenzial für neue, profitable Angebote jenseits der Commodity-Lieferung. Im Jahr 2030 wird nicht mehr der Vertrieb Unternehmen werden von reinen Versorgern zu Energiemanagern von Energie im Vordergrund stehen, sondern das Angebot an technischen Lösungen, die Kunden helfen, ihre Energie- und Nachhaltigkeitsbilanz zu optimieren. Unternehmen werden dabei zusätzlich eine neue Rolle übernehmen: Sie werden von reinen Versorgern zu Energiemanagern. Möglich wird das nicht zuletzt weil der Energiesektor stärker mit anderen Branchen zusammenwächst.
Will die hiesige Wirtschaft im globalen Wettbewerb weiter die Nase vorn haben, müssen Unternehmen nicht nur innovative, sichere und effiziente Anlagen, sondern auch intelligente Businesslösungen entwickeln. Denn die technischen Hürden auf dem Weg ins postfossile Zeitalter sind zwar hoch, aber keineswegs so schwer zu überwinden, wie es oft geschildert wird. Klar ist aber auch: Ambitionierte Ziele zur CO2-Reduzierung, zur Effizienzsteigerung und zum 100-Prozent-Anteil der Erneuerbaren erreicht nur, wer die Weichen mutig auf Zukunft stellt und Investitionen kompromisslos in Innovationen für die Energieversorgung von morgen lenkt.
Quellen:
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU): GreenTech Made in Germany 3.0. Umwelttechnologie-Atlas für Deutschland (2012)
Energy Information Administration (EIA): International Energy Outlook 2013 (2013)
European Photovoltaic Industry Association (EPIA): Market Report 2013 (2014)
European Wind Energy Association (EWEA): Wind in Power. 2013 European Statistics (2014)
Frankfurt School-UNEP Centre/BNEF: Global Trends in Renewable Energy Investment 2014 (2014)
Prognos/EWI/GWS: Energieszenarien 2011 (2011)
REN21: Renewables 2013. Global Status Report (2013)
Trendresearch/Leuphana-Universität Lüneburg: Definition und Marktanalyse von Bürgerenergie in Deutschland (2013)