Aufbruch in die neue Wirtschaft

Corona löst keinen Neustart aus, sondern eine Wachablöse. Die Lockdown-Folgen zwingen uns weniger in ein Reset der Wirtschaft, vielmehr erleben wir einen Durchbruch einer nächsten Generation von Unternehmen, die schon längst in den Startlöchern stehen: die Next Generation of Business.

Ein Kommentar von Harry Gatterer und Prof. Dr. Stefan Tewes

Illustration: Julian Horx

Die Wirtschaft braucht einen Neustart. So zumindest postuliert es das Weltwirtschaftsforum (WEF). Und es soll auch gleich ein großes Neujahrsfest des WEF im Januar 2021 geben, mit dem schillernden Titel „The Great Reset“. Aber stimmt das auch? Zwingt uns die Folge des Lockdowns wirklich in einen Neustart? Laut WEF braucht es den Neuanfang für eine gerechtere, nachhaltigere und widerstandsfähigere Zukunft. Oder anders gesagt: Man feiert den Start in eine Wirtschaft, die – etwas überraschend – die Welt ernst nimmt, in der sie agiert.

Aus Sicht der Zukunftsforschung ist dieser Schwenk der „Ökonomie-Elite“ begrüßenswert, keine Frage. Gleichwohl bleibt ein Staunen: Warum gerade jetzt? Bei näherer Betrachtung des WEF-„Global Risks Report“ wird klarer, was das ökonomische Kalkül hinter derlei Neu-Fokussierung ist. Laut diesem sind die Top-Zukunftsrisiken für die globale Wirtschaft in der Natur zu sehen. Waren 2010 die Risiken noch primär wirtschaftlich bedingt (Anlagepreise, China-Absturz und Fiskalrisiken), sind diese nun vor allem umweltbedingt (Wetter, Klimakatstrophen, Biodiversität etc.). Dazu kommt, dass die wirtschaftlichen Prognosen zur Relevanz westlicher Volkswirtschaften rückläufig aussehen – unabhängig von Corona: Die alten Riesen, USA und Europa, wanken. „Neue“ Spieler wie Indien drängen vermehrt auf den Markt. Damit wird das Momentum des Schwenks hin zum „Reset“ deutlich: Corona liefert die Steilvorlage für eine Aufbruchserzählung, die auch ohne Corona schon längst fällig gewesen wäre.

Im Reset liegt die Hoffnung

Die Wirtschaft der letzten Jahrzehnte hat den „Die Wirtschaft der letzten Jahrzehnte hat den Bezug zur Welt über weite Strecken ignoriert und sabotiert.“ Bezug zur Welt über weite Strecken ignoriert und sabotiert. Solange man den Plastikmüll nach China schippern konnte, war alles in Ordnung. Nun aber, wo das Corona-Virus uns an den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kollaps gebracht hat, stehen die Zeichen auf Umdenken. Und zwar global. Nun gilt es, die Grundlage der Wirtschaft in einem Reset neu zu konstruieren. Die Welt und ihr Funktionieren können nicht mehr nur vorausgesetzt werden – das Bewusstsein zur notwendigen Rettung, eben nicht nur der Wirtschaft, sondern der Welt, nimmt in Entscheiderköpfen anscheinend zu. Dieses neue Narrativ vermittelt gerade im Corona-Herbst einen Hoffnungsschimmer. Wenn schon die realwirtschaftlichen Daten nach unten zeigen, ein Reset schürt Hoffnung und liefert Bilder von neuen Erfolgschancen. Aufbruch!

Im Zukunftsinstitut sehen wir die systemischen Zusammenhänge etwas differenzierter. Die Lockdown-Folgen zwingen uns weniger in ein Reset – einen Neustart – der Wirtschaft. Vielmehr erleben wir einen Durchbruch einer nächsten Generation von Unternehmen, die schon längst in den Startlöchern stehen: die Next Generation of Business. Corona löst keinen Neustart aus, sondern eine Wachablöse. Wer den Schuss in den vergangenen Jahren nicht gehört hatte, wurde plötzlich wach. Die Nischenmodelle der Vor-Corona-Zeit reifen nun zu wahren Zukunftshoffnungen heran: Im sozialen Kontext werden wir den Gesellschaftsvertrag neu denken. Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit werden vermehrt in den gesellschaftlichen Fokus rücken; Arbeitsplätze können zunehmend sinnvolles Handeln ermöglichen. Die gesellschaftliche Spaltung findet evolutionäre Chancen ihrer Überwindung in einer aufkommenden Wir-Kultur. Ein neues Mindset zieht in die Gesellschaft und fordert uns auf, den alten Erfolg loszulassen und Zukunft neu zu denken.

 

Eine Next Generation of Business setzt sich durch

Wenn wir von der Wirtschaft sprechen, klingt das oft, als wäre diese eine einheitliche Masse. Dem ist aber nicht so. Was „die“ Wirtschaft ausmacht, ist schon längst bunt und vielfältig. Klassische Unternehmen, Social Businesses, Vereine, Genossenschaften, DAOs, Start-ups und Institutionen – um nur einige zu nennen. Die Wirtschaft ist eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Player. Selbst das Feld, in dem gespielt wird, ist nicht eindeutig – die einen sind nur digital, die anderen analog. Die einen sind auf Gewinn aus, die anderen auf Wirkung. Inmitten dieser Melange arbeiten schon längst die Pioniere der Zukunft an den Konzepten von morgen. Der Neustart in die Wirtschaft kommt nicht aus einem Vakuum – vieles ist schon längst da und tritt nun in den Vordergrund. Corona ist dafür nicht die Ursache, sondern vielmehr ein Treiber, ein Beschleuniger von bereits vorhandenen Tendenzen. Dieser Zukunftssprung zwingt der Ökonomie eine neue Erzählung auf – den Aufbruch, den Reset.

Bifurkation, nicht Neuanfang

Im Zentrum der Corona-Krise bildet sich eine Weggabelung – eine Bifurkation. Ein Teil der Wirtschaft will schnell wieder Normalität und business as usual. Ein anderer Teil kann oder will nicht mehr zurück und drängt stattdessen nach vorne. Dies ist das eigentliche Momentum der Krise: Die Entscheidung für einen Weg. Die Richtung, die wir weitergehen. Als Individuum, als Gesellschaft, als Unternehmen. Und sogar als „Ein Teil der Wirtschaft will schnell wieder Normalität und business as usual. Ein anderer Teil kann oder will nicht mehr zurück und drängt stattdessen nach vorne.“ Europa. Vieles ist notwendig: Investitionen in Zukunftstechnologien und -skills. Angefangen vom Bildungs- über das Gesundheits- bis zum Rentensystem. Dabei können wir europäische Werte als Leitindikatoren heranziehen und ein neues Spiel, ein neues System, erwirken, das für soziale Gerechtigkeit und auch für eine integrative und innovative Wirtschaft steht. Für echten technologischen Fortschritt und Mut, aber auch für einen stabilen und schützenden Raum in chaotischen Zeiten.

Die Entscheidung für ein neues Spiel ist die Entscheidung gegen kurzfristige Ziele und für ein langfristiges Überleben. Die Fähigkeit, vernetzt und systemisch zu denken, ist die Grundbedingung dafür in einer global-komplexen Welt. Systeme wandeln sich nur langsam und mit viel Widerstand. Der Weg in ein neues Wirtschaften entsteht in der Dämmerung von wachsenden Staatsschulden, hinkenden Technologiekompetenzen, einer global schrumpfenden Relevanz führender Volkswirtschaften sowie komplizierten europäischen Verhältnissen – Stichwort Brexit und steigender Populismus. Und dennoch liegt im Glauben an ein neues Spiel die Kraft für einen Aufbruch zur Sonnenseite. In Europas Genetik steckt die Kraft einer Next Generation of Business: einer Vereinigung von Wirtschaft und Gesellschaft, der Zusammenführung von Teilen und Fragmenten zu einer größeren Idee einer lebenswerten Welt.

Entscheidung für die Zukunft

Die Zukunft ist eine Vorstellung. Sie bildet sich in unserem Denken und Fühlen und leitet unsere Entscheidungen. Andererseits entsteht sie aus Entscheidungen und realisiert das, was Bedeutung in uns hat. Daher ist es am Ende egal, ob wir von einem Neustart der Wirtschaft ausgehen oder eine Bifurkation erleben. Wichtiger ist, dass wir uns „für“ eine Zukunft entscheiden und diese als Haltung im Alltag manifestieren. Wir sind die Zukunft. Wir formen die Gesellschaft und wir schaffen Möglichkeitsräume. Und so ist es eine Entscheidung, das eigene Unternehmen zum Teil einer Next Generation of Business zu machen. Oder eben nicht.

Die Wirtschaft „vor dem Neustart“ ist an eine Grenze gestoßen, welche durch Corona deutlicher wurde als je zuvor. Der vom WEF geforderte Reset beschreibt das Momentum unserer Zeit. Aber weder der WEF noch das Zukunftsinstitut machen Wirtschaft – oder Zukunft. Die Entscheidung für Zukunft braucht den Mut, über sich selbst hinauszuwachsen. Als Mensch, als Organisation, als Gesellschaft. Und bei all dem können wir nur bei uns selbst anfangen. Erfolg ist das, was folgt! 


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