In seinem Buch “Risiko” fragt Gerd Gigerenzers auf ungewohnte und produktive Art nach der Zukunft.
Quelle: TREND UPDATE 05/2013
In seinem Buch “Risiko” fragt Gerd Gigerenzers auf ungewohnte und produktive Art nach der Zukunft.
Quelle: TREND UPDATE 05/2013
Sind Menschen dumm? Mit dieser Frage aller Fragen beginnt Gerd Gigerenzer sein neues Buch. Viele würden heute diese Frage sicher mit einem fröhlichen und selbstgerechten „Ja“ beantworten: „Außer mir und meinen Freunden sind alle Menschen dumm!“ Gigerenzer ist einer der wenigen deutschen Professoren, die sich trauen, ein populäres Buch zu schreiben. Seine Thesen wären reines Dynamit in jeder Panik-Paranoia-Alarm-Talkshow, allerdings würde man ihn dorthin gar nicht einladen. Denn Gigerenzer hält uns den Spiegel unserer verzerrten Wirklichkeits- und Risiko-Wahrnehmung vor. Er entlarvt unseren Hang zum Alarmismus ebenso wie die Art und Weise, wie Medien die Ängste der Menschen und Börsen-Gurus die Sehnsucht nach der „Schmusedecke der Gewissheit“ ausbeuten.
Gigerenzers Disziplin ist gar nicht so einfach zu beschreiben – er ist, wie jeder wahrhaft innovative Wissenschaftler, Universalist. Er ist Psychologe, Bildungsforscher, Risikoforscher, Probabilistiker und in der Eigen-Beschreibung „Heuristiker“. Das heißt, er versucht herauszubekommen, wie Menschen unter komplexen Bedingungen „richtigere“ Entscheidungen treffen können: „Können wir eine einfache Lösung für ein komplexes Problem finden?“
Gigerenzers Heuristik-Vorschläge beziehen sich auf alle Bereiche, von der Medizin bis zum Management. Den Tonnen von Managementliteratur setzt er drei simple Prämissen gegenüber. Erstens: Stelle gute Leute ein und lass sie ihre Arbeit tun, zweitens: dezentralisiere Vorgänge, dezentralisiere Strategien, sowie drittens: befördere intern. Unter allen Markt- und Umweltbedingungen, in jeder Firma und jeder Branche funktionieren diese drei simplen Modi. Heuristische Prinzipien lassen sich auch für die Partnerwahl anwenden. In der schlichten Formel: Erstens: Lege dein Anspruchsniveau fest, zweitens: Wähle die erste Alternative, die dein Anspruchsniveau erfüllt, und beende deine Suche.
Auf diese simple Weise, so Gigerenzer, kann man einen Partner, ein Haus oder andere wichtige Dinge finden. Ist das nicht banal? Nicht wirklich. Erstens verhalten sich die meisten Menschen bei der Partnerwahl ganz anders – sie optimieren, changieren und wissen eigentlich nicht, was sie wollen, bis sie in völliger Liebesverwirrung enden. Zweitens führt die bewusste Methodik zu einem Selbstreflexionsprozess – und darauf kommt es Gigerenzer eigentlich an. Wir werden gezwungen, uns mit unseren Erwartungssystemen auseinanderzusetzen. Und alles gute Leben, aller Erfolg, alle Zukunft ist im Grunde Erwartungsmanagement.
Woran scheitern Gesellschaften, Kulturen, Unternehmen? Immer an falschen Risiko-Einschätzungen und den damit verbundenen Fehlallokationen. An überkomplexen Strategien und ignoranten Planungen, die auf falschen Sicherheiten beruhen. An übersteigerter Panik, die auf Überzeichnungen von Risiken basiert. Gigerenzer fordert stoisch mehr „Risiko-Kompetenz“ ein, die man bereits in der Schule lernen sollte und die zu einer Art Grund-Kulturtechnik in komplexen Gesellschaften gehört.
Wie also ist das mit der Dummheit? Was treibt uns dazu, uns vor den falschen Dingen zu fürchten? Zunächst einmal sind wir aus guten Gründen angstgesteuert. Gigerenzer fordert stoisch mehr „Risiko-Kompetenz“ ein, die zu einer Art Grund-Kulturtechnik in komplexen Gesellschaften gehört „Angst wurde erfunden, damit wir in Gefahrensituationen nicht zu viel nachdenken“, formuliert Gigerenzer. Gleichzeitig schielen wir immer nach den anderen, den „Peers“. Auch das haben wir in der Ur-Situation gelernt, vor 100.000 Jahren, als es sinnvoll war, gemeinsam mit den Nachbarn vor denselben Dingen (Säbelzahntiger, Nachbarstämme, Geister) Angst zu haben. In einer Massen-Medien-Kultur werden Ängste damit ausbeutbar und manipulierbar. Und deshalb müssen wir unser Risiko-Entscheidungs-Modul „upgraden“.
Wir irren, weil wir intelligent sind. Irrtum gehört zu einem komplexen Gehirn, das dazu optimiert ist, Muster zu erkennen, aber dabei nicht unbedingt Kontexte zu verstehen. Neben Daniel Kahnemanns „Schnelles Denken, Langsames Denken“ und Talebs „Antifragilität“ gibt uns Gigerenzer einen weiteren wichtigen Baustein auf dem Weg zu tieferer Zukunftserkenntnis in die Hand.
Gerd Gigerenzer: Risiko - Wie man die richtigen Entscheidungen trifft. C. Bertelsmann Verlag (2013)