In “Widerstand” hält Harald Welzer ein Plädoyer für den Mut zum neuen Denken - und macht Lust auf viele mögliche Zukünfte, die sich dadurch eröffnen können
Die Möglichkeit einer Zukunft
Vielleicht hätte dieses Buch lieber „Widerstand. Eine Anleitung zum selbst Denken“ heißen sollen. Denn diese Anleitung ist tatsächlich darin enthalten: Futur Zwei nennt Harald Welzer die gedankliche Perspektive, aus der heraus ein neuer Blick auf die Gegenwart, die Gesellschaft und einen selbst entstehen kann. Nicht „Wer bin ich?“ und „Was will ich?“ soll man fragen, sondern: „Wer werde ich gewesen sein?“ Welche Figur macht mein heutiges Ich in einem fiktiven Blick zurück aus der Zukunft? Aus dieser Fragestellung heraus ergibt sich eine ganz neue Perspektive auf die Gegenwart.
Doch das Buch heißt nun einmal „Selbst Denken“, und der Untertitel lautet „Eine Anleitung zum Widerstand“. Welzer bleibt auch nicht bei dem theoretischen Konstrukt seiner Futur-Zwei-Perspektive stehen. Das Buch hat am Ende vielmehr, tatsächlich, so etwas wie eine Aufzählung von Best-Practice-Beispielen zu bieten, in der auch subversive Genies wie die Performancegruppe „Yes Men“ vertreten sind.
Bestehende Machtstrukturen sollen also erschüttert werden. Und dann? Die Frage drängt sich auf, wird aber nicht wirklich beantwortet. Aus Sicht eines Digital Native erscheint Welzers Technik-Skepsis an manchen Stellen eher drollig, und seine Vorstellungen einer „postkapitalistischen Wirtschaft“ und einer „reduktiven Kultur“ bleiben seltsam nebulös. Aber man muss ihnen auch gar nicht unbedingt zustimmen, um von diesem Buch begeistert zu sein. Das „Wie“ erscheint hier wichtiger als das „Was“. Der Ton macht die Musik, und die Begeisterung für die Möglichkeit einer Zukunft überwiegt bei Weitem die (durchaus vorhandene) Unzufriedenheit mit der Gegenwart. Allein das kurze Kapitel über Utopien ist eine Perle, wie man sie selten in der deutschen Sachbuchliteratur findet.
Harald Welzer outet sich als Anwalt der Möglichkeit einer Zukunft, die nicht von Anpassung, Gleichförmigkeit und „Alternativlosigkeit“ leben kann. Ein mit dem Bestehenden unzufriedenes und doch optimistisches Buch, das wieder Lust auf Zukunft macht – nicht obwohl, sondern gerade weil es gedanklich eigentlich in der 68er-Vergangenheit verhaftet ist.
Harald Welzer: Selber Denken. Eine Anleitung zum Widerstand, Fischer 2014