Vom Waschbrettbrauch bis zu perfekt geformten Muskeln: Ist der Mensch körperlich aus-optimiert? Die Ära nach der Sportsucht ist spirituell – und treibt ein neues Statusdenken an.
Von Verena Muntschick (02/2016)
Vom Waschbrettbrauch bis zu perfekt geformten Muskeln: Ist der Mensch körperlich aus-optimiert? Die Ära nach der Sportsucht ist spirituell – und treibt ein neues Statusdenken an.
Von Verena Muntschick (02/2016)
Sportlichkeit hat als Statussymbol Hochkonjunktur: Geschichten von den eigenen sportlichen Aktivitäten haben es an die Spitze der gesellschaftsfähigen Salonthemen geschafft und sind allgegenwärtig – am Stammtisch, im Meeting, in den Medien. Sport gilt als Indikator für Leistungsfähigkeit und Selbstdisziplin, ein sportlich aussehender Körper symbolisiert Macht und Kontrolle über sich und über die Welt. Diese Verheißung, von der Werbewelt fleißig befeuert, hat bald 10 Millionen Menschen auf die Sportgeräte oder mindestens auf die Mitgliederlisten deutscher Fitnessclubs getrieben.
Doch die Sportlichkeit der Zukunft ist keine reine Form-Sache mehr. Die Regeln der Symbolik werden diffiziler, denn einen sportlich geformten Körper kann sich mittlerweile fast jeder erarbeiten oder einfach leisten – beim Thema leistungssteigernde Nahrungsergänzungsmittel, Schmerzmittel und Doping kennen sich mittlerweile nicht nur Spitzensportler, sondern auch Amateur- und Hobbysportler bestens aus. Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse hat jeder fünfte Sportler keine Hemmungen, beim Training zu Schmerzmitteln zu greifen. Die Zahl der Fitnessstudiobesucher, die ihrem Fleiß mit leistungssteigernden Mitteln unter die Arme greifen, wird in verschiedenen universitären Studien auf rund 20 Prozent geschätzt. Muskelimplantate machen ein sportliches Erscheinungsbild käuflich. Der sportliche Körper ist gewöhnlich geworden und die Menschen sind von diesem omnipräsenten Bild gesättigt.
So hat der durchtrainierte Körper seine Eigenschaft als Distinktionsmerkmal verloren. Er kann den Einzelnen nicht mehr aus der Masse herausheben – und ist daher nicht mehr als echtes Statusmerkmal zu verkaufen.
Das höchste Ideal, das sich im darauffolgenden Wertewandel herausgebildet hat, ist das einer gesundheitsbewussten Gesamterscheinung. Wo die reine Form zum Täuschungsobjekt geworden ist, ist die neue Disziplin im Ringen um soziale Anerkennung eine überzeugende gesunde Ausstrahlung – und zwar von innen heraus. Das erinnert an das frühere "Mens sana in corpore sano", eine ganzheitliche Idee vom Menschen, bei dem Körper und Geist im Einklang sind. Übertriebener Ehrgeiz, Freizeitstress, Erschöpfung und Kränkeln als Folge eines unmäßigen Fitnesswahns kann ein perfekt erscheinender Körper heute nicht mehr wettmachen. Statussymbol ist vielmehr eine Aura der Fitness, Vitalität und Gesundheit, einer lässigen, genussfähigen Ausgeglichenheit – genauer gesagt deren Inszenierung, inklusive einer obligatorischen Prise Spiritualität.
Fitness als Ideal bleibt dabei als Statusindikator erhalten, allerdings von der manifesten Form ins spirituell-moralische transformiert: Es geht um mentale Fitness, und die lässt sich schlechter vortäuschen, sie muss authentisch sein und erarbeitet werden. Dadurch hat sie einen Exklusivitätswert, der das verlorengegangene Machtgefälle reinstalliert zwischen denen, die sie haben, und denen, die sie nicht haben.
Achtsamkeitstraining und Meditation treiben heute die Menschen, die darauf hoffen, dass die gewonnene innere Ruhe in ihrem Habitus nach außen strahlt. Nicht umsonst wächst dieser Markt seit Jahren rasant. Auch das Thema Ernährung ist zu einem Merkmal geworden, das für Selbstverantwortung steht und über das besonders viel gesprochen wird, weil es auf die Wahrnehmung der körperlichen Erscheinung zurückwirkt: Der wertende Blick unterscheidet (mit dem nötigen Hintergrundwissen) fundamental zwischen einem dünnen Körper, der auf Verzicht und Diätpillen basiert, und einer Schlankheit, die auf eine gesundheitsbewusste Ernährung zurückzuführen ist. Auf diese Weise kann ein Verantwortungsbewusstsein für die eigene Gesundheit zur Schau getragen werden – wobei auch hier immer der Gesamteindruck stimmen muss, damit die Erscheinung als Statussymbol gültig wird.
Zu einer gesundheitsbewussten Gesamterscheinung kann auch sportliche Kleidung beitragen. Sie wirkt aber nicht mehr alleine, sondern unterstützt vielmehr den Eindruck einer inneren Gelassenheit, den Health Look. So hat sich Sportmode mittlerweile völlig vom tatsächlichen Sporttreiben gelöst. 47 Prozent der Deutschen kaufen mittlerweile Sportbekleidung. Dabei treiben 28 Prozent von ihnen nie Sport (VuMA 2015). Das kommt in der Sportbekleidungsindustrie langsam an: Manche Labels wie Sweaty Betty oder Lululemon entschließen sich bewusst dazu, sich gar nicht mehr so sehr um den Sport zu kümmern, sondern als Modemarke mit Designerstücken auf die Fashion Week zu drängen und das perfekte Identitätsdesign zu verkaufen.
Auch die Datenmessung – beziehungsweise: ihre Sichtbarmachung – unterstützt den Health Look. Laut der GfK wurden allein im vergangenen Jahr (bis September 2014) mehr als 570.000 Fitness-Tracker in Deutschland verkauft. Das Interesse für Activity Tracking ist in der Gesellschaft mit 73 Prozent bereits sehr hoch – und die Posts aus Fitness-Apps wie Runtastic sind in den Facebook-Streams nicht mehr zu übersehen. Gesundheitsdaten kehren das Innere nach außen, die Sharing-Option erzeugt unmittelbare Sichtbarkeit der körperlichen Verfassung.
Den Bemühungen um Sportlichkeit und eine gesunde Gesamterscheinung diametral gegenüber steht das Phänomen des Alterns. Vom natürlichen Alterungsprozess entfremden sich immer mehr Menschen: Altern wird zum grausamen Hinweis auf die große menschliche Schwäche, die eigene Gebrechlichkeit und Sterblichkeit, gleichbedeutend mit einer Krankheit, die unweigerlich in die soziale Isolation führen muss. Dass Jugendlichkeit in diesem gestörten Verhältnis zum Altern zum Statussymbol geworden ist, überrascht nicht.
Anti-Aging-Programme boomen. Menschen greifen nach allem, was der Markt hergibt, um, besonders mit steigendem Alter, das Statussymbol Jugend nicht zu verlieren und das wahre Alter optisch zu verbergen. An Schönheitsoperationen und anderen Möglichkeiten der modernen Medizin zeigt sich, dass das Altern zum Störfall, zur unbedingt zu behandelnden Krankheit geworden ist. Zwar lassen sich Alterungserscheinungen immer besser verdrängen, jedoch steigt parallel dazu die latente Panik vor immer kleineren physischen und psychischen Veränderungen des Alterns. Schon 20-Jährige warten ängstlich auf ihre ersten grauen Haare und beäugen kritisch ihr Gesicht auf der Suche nach den ersten Falten.
Ein jugendliches Erscheinungsbild auch im Alter – dieser Wert wird sich künftig ändern: Der als latente Bedrohung empfundene demografische Wandel entfaltet in den kommenden Jahren seine volle Wirkung in der Gesellschaft und wird diese grundlegend transformieren: Ist momentan jeder Fünfte in Deutschland im Rentenalter, wird die Zahl bis 2060 rapide steigen. Dann wird jeder Dritte über 65 Jahre alt sein. Das gefürchtete Alter wird zur unübersehbaren Realität und dadurch zur neuen Normalität werden.
Damit wird der Gesellschaft die Angst vor dem Alter und der Jugend der Reiz der angeblichen Makellosigkeit genommen. Altern wird immer weniger mit Erkrankungen und Funktionseinschränkungen zusammen gedacht und immer mehr als wertvolle, geschenkte Lebenszeit verstanden werden. Und diese wird immer häufiger genutzt um einen ganzheitllich gesunden Lebensstil zu pflegen, abseits der Vorgaben des oberflächlichen “Health Looks”. Damit rehabilitiert sich das Bild vom Alter(n) von einer zu bekämpfenden Krankheit zu einem natürlichen Prozess im Leben, der einher geht mit dem Streben nach ganzheitlicher Gesundheit im Sinne von Vitalität, Achtsamkeit und Fitness.